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Radikal jung im Theater

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Hast du früher davon geträumt, Schauspielerin zu werden? Nie. Ich wollte Musikerin werden. Alles Mögliche wollte ich werden. Tontechnikerin. Und katholischer Pfarrer. Das ging aber nicht – bei uns in Österreich. Es gibt ungefähr 100 Wege ans Theater. Du hattest schon am Theater Phönix in Linz und am Schauspielhaus Wien als Regieassistentin gearbeitet, bevor du dich für ein Regie-Studium in Hamburg entschieden hast. Das war alles Zufall. Als Linz mir eine Inszenierung angeboten hat, war ich 22. Damals dachte ich, das kann ich nicht. Ich hatte nur ein paar Vorlesungen in Philosophie, Politik und Theaterwissenschaft besucht. Nach Hamburg bin ich dann vor allem wegen der Musik gegangen und zufällig konnte man dort Regie studieren. Das Studium war allerdings ein ziemlicher Rückschlag: Du kommst aus der Praxis und willst was machen, sitzt aber im Unterricht, redest über Theater und liest Stücke. Einmal im Jahr hast du dann ein Projekt. An der Schule gibt es aber nicht mal einen Kostümfundus und erst recht keine Schauspieler. Da ist alles sehr heilig, aber auch ziemlich verstaubt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

War die Aufnahmeprüfung so hart, wie man sich das vorstellt – mit Workshops und mehrtägigem Auswahlverfahren? Ich glaube, die Nervosität vor solchen Prüfungen ist immer größer, als das, was kommt. So hart war es gar nicht. Nach der ersten Stufe – Mappe, Regiekonzept – schaut man zusammen eine Theaterinszenierung auf Video an. Wir haben „Antigone“ gesehen. Lustigerweise. Mit dem Stück hatte ich mich vorher nicht beschäftigt. Ich weiß auch nicht, warum die mich so verfolgt. Letztes Jahr hast du „Antigone“ am Hamburger Thalia Theater inszeniert. Wieso eine antike Tragödie? Boah, Antigone! Sophokles hat eine so musikalische Sprache. Das Stück kann man rappen, und ein 15-Jähriger versteht es. Es ist eine bilderreiche Sprache. Die Figuren sind nicht psychologisch kompliziert: Der eine will dies, der andere will das – und daraus entsteht ein Konflikt. Sophokles’ Texte sind wie ein Hörspiel geschrieben: Sie sind simpel und wenn man sie meint, wie sie da stehen, muss man nicht viel dazu gestalten. Ich habe das Stück bewusst abstrakt gehalten, um es nicht zu aktualisieren. Eine Aktualisierung kann dem Text nicht gerecht werden. Mir geht es um eine Darlegung der Konfliktlinien: Bis zum katastrophalen Ende, weil niemand nachgibt. Was bedeutet dir die junge Frau Antigone? Ich habe aus „Antigone“ absichtlich kein Hauptrollen-Stück gemacht. Alle Figuren haben einen starken eigenen Konflikt. Du kannst der Fundamentalistin Antigone oder dem Staatsmann Kreon folgen. Aber da ist zum Beispiel auch Haimon, der Verlobte von Antigone, der versucht, gegen den Übervater Kreon anzukommen. Jede Figur glaubt, Recht zu haben. Das mag ich an allen Figuren – dieses Einstehen für das, was man für wichtig hält. Antigone steht für ein Prinzip ein, das größer ist als sie und das außerhalb ihrer persönlichen und egoistischen Motive liegt. So was gibt es viel zu selten. Die bekannten Regiegrößen sind meist Männer. Zu „Radikal Jung“ sind genau so viele junge Regisseurinnen wie Regisseure eingeladen. Ändert sich da gerade was? Gefühlsmäßig würde ich sagen, ja. Ich glaube, dass Mädchen sich mehr für Theaterregie interessieren – an den Schulen sieht das zumindest so aus. Am Theater sitzen nach wie vor die Männer auf den Entscheidungspositionen. Das müsste man mal herausfinden, ob an Häusern, an denen Frauen Intendanten sind, mehr Frauen inszenieren. Wenn du dir die Stücke von den Kollegen anguckst: Inszenieren die anders? Ja, weil Männer und Frauen die Welt anders sehen. Ich würde, glaube ich, eine Inszenierung von mir für die eines Mannes halten. Männer haben einen derberen, roheren Humor. Und seid ihr Jungen radikaler als die Alten? Radikal sein ist für mich kein Anspruch. Man muss sich schon was trauen, was ausprobieren, bei jeder Arbeit eine neue Welt erfinden. Aber ich muss nicht radikaler sein als ein Vorgänger. Du spielst Geige, Klavier, Saxophon und Schlagzeug und hast Platten mit Bernadette la Hengst und Ted Gaier aufgenommen. Würdest du manchmal nicht doch lieber auftreten und performen als inszenieren? Ich trete sehr gerne mit Musikern auf. Das mache ich eigentlich immer, wenn ich Zeit habe. Musik hat sehr viel mit Zuhören zu tun. In meinen Inszenierungen versuche ich, die Schauspieler dazu zu bringen, dass sie musizieren, also dass sie auf der Bühne aufeinander hören. Wie bei einem Konzert: Man hat gemeinsam fünf feste Verabredungen, aber darum herum ist jede Vorstellung anders. Musik lebt davon. Theater auch. Foto: Arno Declair

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