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„Reiche Söhnchen“ gegen „linke Zecken“

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Die Botschaft ist unmissverständlich. „Lieber Herr Präsident der LMU,“ heißt es in einem der letzten Einträge auf der Internetplattform Facebook, „machen Sie von Ihrem Hausrecht Gebrauch und lassen Sie die Polizei das Audimax räumen!“ Die Gruppe, die derzeit solche Drohkulissen im Netz aufbaut, trägt bezeichnenderweise den Arbeitstitel „Bitte werft die Hippies aus dem Audimax der LMU!“. In den letzten Tagen hat sie fast 1 000 Mitglieder rekrutieren können, die meisten davon BWL-, VWL- und Jurastudenten. „Dem Spuk ein Ende setzen“, fordert einer, eine massive „Gegenfront“ bilden, ein anderer. Die Unterstützer des Bildungsstreiks reagieren zum Teil ähnlich gereizt: „Kann ja nicht jeder reiche Eltern haben!“ Die Bedrohung wird ernst genommen. Die „WIWIs“ (Wirtschaftswissenschaftler) könnten „zu einem sehr gefährlichen Faktor für uns werden“ schreibt der Autor „shadowman“ auf dem Blog zum LMU-Protest. Und weiter: „Bald kann alles vorbei sein.“ „Wir bezahlen die Zeche“ Der Konflikt hatte sich schon in den ersten Tagen angebahnt. Am 11. November versuchte eine Handvoll Studenten erstmals, eine Vorlesung im Audimax zu stürmen. Was sie nicht wussten: Dort saßen BWL-Erstsemester. Es wurde gebuht, mit Papierkugeln nach den Demonstranten geschmissen. Die „linken Zecken“, wie sie beschimpft wurden, mussten kleinlaut wieder abziehen. Zwei Wochen später, der Audimax ist besetzt, Zehntausende gehen in Deutschland auf die Straße, Merkel und Landespolitiker signalisieren Einlenken. Der interne Streit unter den Studenten hat aber weiter an Fahrt gewonnen. Inzwischen machen die ersten Unterschriftenlisten für ein Ende der Audimax-Besetzung die Runde. Für Unmut sorgt besonders die Tatsache, dass die Veranstaltungen im größten Vorlesesaal der Uni weiter ersatzlos ausfallen. „Elf von 18 Vorlesungen, die hier stattfinden, werden von uns besucht“, sagt Rafael von der Fachschaft der Wirtschaftswissenschaftler (WASTI): „Wir bezahlen die volle Zeche für den Streik.“ Die Stimmung unter den Kommilitonen sei am Boden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Problem: Ersatzräume sind schwer zu organisieren. Im Audimax tragen Dozenten vor mehreren hundert Studenten ihren Stoff vor. Räume in vergleichbarer Größe gibt es nicht. Die Forderungen der Besetzer sind ein weiterer Streitpunkt: Zu „unrealistisch“ sei das aktuelle Positionspapier, sagen die Gegner, zu „weltverbesserisch“ der Anspruch. Statt ein Lernendengehalt für alle und die Abschaffung des NCs zu fordern, solle man sich auf machbare Kernforderungen konzentrieren, zum Beispiel eine Überarbeitung des Bachelors oder mehr Transparenz bei der Verwendung der Studiengebühren. In einer offiziellen Stellungnahme des WASTI beklagt man sich darüber, dass im Audimax immer noch kein offizieller Forderungskatalog zustande gekommen ist. „Erstaunlich ineffizient“ liefen die Plenumssitzungen ab, es werde „zu wenig über Inhalte und zuviel über Formalien diskutiert“. Dass man sich in einigen Studiengängen nicht mit dem Protest identifiziert, hat außerdem mit dem ideologischen Graben zu tun, der sich zwischen den Gruppen aufgetan hat. Die VWL-Studentin Anna ist genervt von den, wie sie sagt, „Trittbrettfahrern der Antifa“. Die Ziele des Streikes könne sie unterschreiben, aber: „Mit manchen Leuten im Audimax will ich nichts zu tun haben.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das ist inzwischen bei den Leuten im Audimax angekommen. „Im Plenum ist jeder erwünscht“, sagt Dominik, Theaterwissenschaftsstudent. Er ist seit Beginn der Proteste aktiv, moderiert gelegentlich die Sitzungen im Plenum. Linke Gruppen hätten einen großen Anteil daran gehabt, den Streik überhaupt auf die Beine zu bringen, erklärt er. Eine „Entideologisierung“ der Forderungen sei jetzt aber bestimmt sinnvoll, um einen Konsens unter den Studenten zu schaffen und jene, die sich bislang nicht beteiligen wollten, zu mobilisieren. „Unser Ziel ist größer“ Worte wie „Neoliberalismus“ habe man mittlerweile aus dem Positionspapier gestrichen. Zur Fortführung der Besetzung sieht er allerdings keine Alternative: „Unser Ziel ist größer, als dass manche ihre Vorlesungen nicht besuchen können. Wenn wir da Ausnahmen machen, können wir gleich einpacken.“ Man versuche einen Kompromiss zu finden, etwa Professoren dazu zu bewegen, ihre Vorlesungen als Skript oder Stream im Internet anzubieten. Andere Stimmen fordern ebenfalls, die „WIWIs“ besser in den Protest zu integrieren. „Die fachspezifischen Fertigkeiten der WIWIs wie Verhandlungsgeschick und Durchsetzungsfähigkeit sind genau das, was der Besetzung bisher fehlt“, kommentiert jemand auf www.unsereunibrennt.de. Auch die Fachschaft der BWLer versucht jetzt, sich so gut wie möglich von der Hippies jagenden Facebook-Gruppe zu distanzieren. „Dass ausgerechnet wir BWLer die Leidtragenden der Besetzung sind, hat sicher nicht dazu beigetragen, sich gegenseitig ernst zu nehmen“, sagt Rafael vom WASTI. Auf der nächsten großen Münchner Demo am Mittwoch wird er aber trotzdem mitlaufen.

Text: xifan-yang - Fotos: ddp

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