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„Seit elf Jahren denken wir: Toller geht’s nicht mehr“

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Ein sonniger Nachmittag in München: Die Sportfreunde Stiller geben Interviews, um ihr neues Album „La Bum“ zu bewerben. Während Sänger Peter Brugger am Nebentisch Telefon- und Radiointerviews gibt, treffen wir seine Bandkollegen Florian Weber, genannt Flo, und Rüdiger Linhof, genannt Rüde, zur neuen jetzt.de-Rubrik Gegenstand-Gespräch, die du hier lesen und hier in einem Video anschauen kannst. jetzt.de: Wir haben euch ein paar Sachen mitgebracht. Ihr müsst uns bitte jeweils sagen, was euch dazu einfällt. Wir beginnen mit diesem Ball: Rüde: Ich würde sagen, der leidet unter Unterdruck. Flo: Unter Ball-Apnoe.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bei der WM habt ihr vor 500 000 Leuten gespielt. Das ganze Land hat euren Song „54,74,2006“ gesungen. Habt ihr euch da nicht gedacht: Das war es jetzt? Flo: Lustigerweise stellen wir uns seit elf Jahren alle paar Wochen diese Frage. Als wir vor 100 Leuten gespielt hatten, dachten wir: Mit unserer Musik erreichen wir nicht mehr. Dann machst du ein Video und sagst: Besser geht’s nicht! Auch nach dem letzten Jahr war es so. Wir haben uns gefragt: Wie kann es musikalisch weitergehen, wie kann es überhaupt weiter gehen? Es ist weitergegangen und wir haben diese Pille (zeigt auf den Ball) außen vor gelassen. Das Album ist tatsächlich sportfrei. Habt ihr euren Stil geändert? Flo: Unsere Musik unterliegt keinem Konzept. Wir haben nicht den Anspruch, uns um 180 Grad drehen zu müssen. Wir diskutieren über unsere Musik und haben bei den Aufnahmen zur neuen CD auch viele Zweifel gehabt: Ist das nicht zu einfach? Wiederholen wir uns nicht? Wir haben rumprobiert, umgeworfen und gemerkt: Mensch, viel zu kompliziert, zu verkopft. Das sind nicht wir! Für einen brutalen Stilwechsel fühlen wir uns noch nicht bereit.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Flo Was bei euch auffällt, ist dieses eins sein und verbrüdern mit dem Publikum. Neulich habt ihr ein Spontankonzert vor der Uni in München gegeben. Rüde: Es ist lustig, irgendwohin zu gehen, wo einen die Menschen überhaupt nicht erwarten. Ich werde nie vergessen, wie mir jemand erzählt hat, dass Violent Femmes in München vorm WOM gespielt haben. Ich habe mich so geärgert, dass ich nicht da war! Das ist 12, 13 Jahre her, aber diesen Ärger habe ich immer noch in Erinnerung. Und jetzt freue ich mich, dass ich in einer Band spiele, in der ich so was selbst für die Fans machen kann. Flo: Wir sind keine Stars, wir sind einfach Menschen, die den Beruf haben, Leute zu unterhalten. Und unsere Art ist es nun einmal, auf die Leute zuzugehen. Das ist auch kein Konzept, das kannst du nur machen, wenn du es gern machst. Rüde: Wir haben es aber auch leicht: Wir werden nicht ständig angequatscht. Aber ich kann mir vorstellen, dass man ab einem bestimmten Grad von Prominenz tatsächlich schräg drauf kommt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Rüde Gab es solche Momente bei euch nicht auch schon mal? Rüde: Ich weiß noch, Ende 2004, wo wir wirklich das ganze Jahr unterwegs waren, da hat man die Orientierung im Leben schon irgendwann mal verloren, weil jeder Tag durchorganisiert war. Ständig sind Leute auf einen zu und haben Fragen gestellt. Danach war ich so fertig, dass ich die Straße runter gelaufen bin und einfach nur nervös war. Irgendwie habe ich mich gestört gefühlt, weil ich dachte, ständig schaut mich jemand an. Wenn ich mir Klopapier kaufe, dann schaut sich das jemand an und erzählt seinem Kumpel, dass ich mir gerade Klopapier gekauft habe. Das sind Gedanken, mit denen man sich sonst nicht beschäftigt, die aber hoch kommen, weil man so eine Neurose kriegt – bis es sich wieder einpendelt. So eine Prominenz hört schnell wieder auf, wenn man keine Interviews mehr gibt. Auf der nächsten Seite: Rüde und Flo über Haustiere und Ortsschilder


Wir ziehen ein Schild aus unserer Tasche, das sagt: „Hunde verboten“. Unser nächster Gegenstand. Es folgt ein kurzer Exkurs über Hundekot und die Frage, ob Hunde sich durch das Schild diskriminiert fühlen. Wir fragen: Habt ihr Tiere?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Rüde: Ich hab eine Katze. Flo: Du hast Katzen? Rüde: Ich hab’ a Katz. Ne dürre mordlustige kleine Sau. Flo: Wie heißt denn die? Rüde: Miezi. Flo: Miezi? Rüde: Mein Gott, ich hab die aus dem Tierheim übernommen und sie hat auf den Namen gehört. In WGs hängen häufig solche Schilder an der Wand. Habt ihr früher auch welche abmontiert? Flo: Wir haben teilweise Ortsschilder abmontiert, die uns lustig erschienen. In der wilden Studienzeit. Oder Schilder mit Eddingstiften verfeinert und dann zum Geburtstag verschenkt. So eines mit einem Bauarbeiter zum Beispiel, der seinen Stock nicht in den kleinen Haufen steckt sondern – da hast halt einen Arsch hingemalt. Der nächste Gegenstand ist das Debüt-Album der Münchner Band Fertig, los!, die schon mit den Sportfreunden auf Tour waren und den selben Manager haben. Rüde: „Das Herz ist ein Sammler“ ist ein sehr schöner Titel. Sehr nette, feine Leute. Ich habe der Bassistin schon mal meinen Bass geliehen. Und der Mist ist, dass ich davor immer dachte, der klingt schlecht. Aber als sie ihn gespielt hat, war er plötzlich super.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Beim Sonnenrot-Festival in Geretsried bei München seid ihr für Fertig, Los! eingesprungen. Habt ihr für diese neue Generation an Bands schon eine Mentorenrolle? Rüde: Wir haben auf jeden Fall den Anspruch, Bands weiterzuhelfen, wenn es irgendwie geht. Dass man Tipps und Adressen gibt, wo sie ihre Demos hinschicken können, oder selbst Verbindungen für sie knüpft. Aber ich weiß nicht, inwiefern wir andere Bands inspirieren. Flo: Als Mentoren würde ich uns auf keinen Fall sehen. Diese Band hat ja einen eigenen Hintergrund, Musik zu machen. Richtig ist, dass wir Fertig, los!, aber auch Roman Fischer und seine Band oder Cosmic Casino gerne mit auf Tour nehmen. Diese Verbindungen gibt es aber überall. In Hamburg mit dem „Grand Hotel van Cleef“ ist es genauso. Gibt es in München eine Szene, die sich gegenseitig unterstützt? Flo: Mittlerweile ja. Die Szene fehlte jahrelang. München hat über Jahre hinweg nicht den Fokus erhalten wie Berlin oder Hamburg. Das liegt auch daran, dass Musik hier nicht gefördert wurde, dass Bands, wenn sie mal einen gefunden haben, für Proberäume mehr bezahlt haben als für ihre eigene Wohnung. In Hamburg gibt es doch so ein Haus . . . Rüde: Haus für Musikwirtschaft. Die Stadt unterstützt Musiker mit Proberäumen und Büroräumen. Kleine Indielabels sind zusammen in einem Haus und automatisch trägt das auch zur Vernetzung bei. Da gibt es in München nicht das Bewusstsein, dass man durch Musik auch kulturelle Botschaften aussendet. Die werden sich selber überlassen. Auf der nächsten Seite erfährst du, wie Flo und Rüde zum Papst und zur katholischen Kirche stehen.


Unser vorletzter Gegenstand: eine Papstkerze. Flo: Habemus Papam. Habemus Album. Ich habe mit ein paar Kumpels einen Fanclub gegründet.

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Illustration: Julia Schubert

Einen Ratzinger-Fanclub? Flo: Nein, nicht Ratzinger, einen „Papst Johannes Paul der Zweite“-Fanclub. Der heißt „Wojtyla Ultras“. Wir wollen, dass unser Papst Johannes Paul der Zweite wieder an die Macht kommt. Dafür setzen wir uns ein mit Merchandising-Artikeln, aber auch mit Hirtenbriefen, die wir veröffentlichen. Und wir sind kurz davor, dass wir es schaffen. Rüde: Da hat doch die katholische Kirche gerade mal wieder ihren Anspruch auf die absolute Vorherrschaft in Sachen christlicher Glaube bekundet, oder? Gerade in heutigen Zeiten finde ich das so daneben, dass mir der Hut hoch geht. Flo: Warst du nicht mal Ministrant? Rüde: Du warst Ministrant, ich nicht. Seid ihr denn katholisch? Flo: Wir sind Heiden. Rüde: Die Menschen sollten einfach ganz klar und mit äußerstem Ehrgeiz darauf hin erzogen werden, selbstständig zu denken. Das ist das einzige, das zu einer besseren Welt führt. Das Leben findet nicht im Paradies statt und auch nicht in der Hölle: Es findet hier und jetzt statt. Und hier und jetzt sind bestimmte Aufgaben zu bewältigen. Wann seid ihr aus der Kirche ausgetreten? Rüde: Vor ein paar Jahren. Nichts gegen die Kirchen als Infrastrukturgeber für soziale Netzwerke. Aber dieses Glaubensdogma an den richtigen Gott und an den richtigen Weg ins Paradies, das finde ich heutzutage einfach pervers. Was ich auch ganz schlimm finde, sind die Kreationisten! Dass Politiker ankommen und anfangen, die Wissenschaft und die Vererbungslehre in Frage zu stellen, dass sie in Frage stellen, dass Wissenschaft und Forschung ein ständiger Prozess ist, der Fragen aufwirft, dass so ein Scheißdreck wie die Kreationisten hier Einzug erhält – in Europa! Ich find’s unglaublich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nochmal zu den „Wojtyla Ultras“: Wie viele Mitglieder habt ihr schon? Flo: Wir sind sieben. Und Novizen sind tatsächlich gern gesehen. Wer gehört zu den Gründungsmitgliedern? Ihr drei? Flo: Nein, das ist außerhalb dieser Band. Rüde: Ist das ein geistiges Nebenprojekt, oder wie? Flo: Du musst eine Mutprobe machen, um dabei zu sein. Rüde: Muss ich bei dir Ministrant sein und dir auch privat zur Verfügung stehen? Der einzige Haken ist, dass Johannes Paul schon tot ist. Flo: Ja, aber wir kämpfen dafür, dass wir ihn wieder ausgraben. Also auf irgendeine Art und Weise wird er wieder (lacht). . . Auf der letzten Seite: Lakritze abrollen mit Flo und Rüde


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Hier der letzte Gegenstand. Die Naschsachen haben wir euch als kleines Dankeschön mitgebracht. Flo: Das ist aber sehr nett. Ich kann da aber auch etwas hinein interpretieren, wenn ihr wollt. Bitteschön. Rüde: Ich mag Lakritze sehr gerne. Flo: Bärendreck? Rüde: Das Abrollen ist schön. Schmecken tut es ja eigentlich nicht, das einzig Gute, ist das Gefühl, wenn man sie abrollt. (rollt Lakritze ab) Flo: Weiße Mäuse. Die gab’s immer im Freibad in Schrobenhausen. Rüde: Ich hab’ mal im Freibad Dachau gearbeitet. Und hab’ auch Mäuse verkauft. Super Job. Sobald man so eine offizielle Tätigkeit bekleidet, lernt man ja auch super (macht Pause und kaut) . . . Was lernt man? Rüde: . . . Mädels kennen. Also Kioskverkäufer im Freibad . . . . . . ist der Chefposten! Rüde: Schon. Weil da jeder mal vorbei kommt: „Da schau: a Cola-Flasche! Kriegst umsonst.“ Flo: Und was kann man zu den Kokoswürfeln sagen? Ist eher so Oktoberfest. Rüde: Ich habe auch mal auf der Wiesn gearbeitet; am Sarcletti-Stand. Da hab’ ich Lebkuchenherzen verkauft. Elf Mark die Stunde. Flo: Und wo bist du jetzt hingekommen? Rüde: Jetzt kriege ich 15 Mark die Stunde. Das neue Sportfreunde Stiller-Album erscheint am 3. August. Die erste Single „Alles Roger“ erschien am Freitag. Fotos: Screenshots, Leonie Haaf

Text: caroline-vonlowtzow - und peter-wagner

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