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Selbstversuch: Wie man fremde Menschen auf einer Party anspricht, ohne sich zu blamieren

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Teil 1: Augen zu und durch Normalerweise wäre ich niemals auf diese Party gegangen. Weil mir Leonies Einladung sofort ziemlich verdächtig vorkam: „Der Tobi hat seinen Abschlussfilm fertig und feiert, komm doch auch vorbei, das wird sicher total nett.“ Ja klar, nett. Ich weiß, wie solche Partys ablaufen: Ich komme auf der Party an, Leonie schmiegt sich an ein Sektglas, begrüßt mich zunächst so euphorisch, als hätte gerade George Clooney mit mehreren Flaschen Martini geklingelt – und drei Minuten später stehe ich alleine da und schleiche wenig später mein Weinglas umklammernd zum Buffet.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Aber diesmal muss ich hin. Und die ersten Anzeichen von Panik und Verzweiflung melden sich bereits, als ich die U-Bahn verlasse. Mit flauem Magen steige ich eine Treppe hoch. Eine lächelnde Frau hakt meinen Namen auf der Gästeliste ab und wünscht mir viel Spaß. Willkommen in der Hölle. Ich stehe in einer riesigen Altbauwohnung in Berlin. Es ist kurz nach zehn, die Party beginnt sich zu füllen, und mir wird heiß. Mein Experiment kann, nein, ich fürchte: muss jetzt losgehen. Ich kenne auf diesem Fest niemanden (außer Leonie, die aus oben genannten Gründen nicht zählt). Um das in den nächsten Stunden zu ändern, werde ich verschiedene Methoden anwenden. In den letzten Wochen habe ich folgende Literatur gelesen und verinnerlicht: „Small Talk – nie wieder sprachlos“, „Smart Talk – sag es richtig“, „Die Kunst des Small Talk“. Und ein Buch mit dem schönen Originaltitel „The Art of Mingling“ der New Yorker Autorin Jeanne Martinet, in deutscher Übersetzung „Die hohe Kunst, Kontakte zu knüpfen“. Mir fällt niemand ein, der gerne alleine auf eine Party geht, auf der er niemanden kennt. Alle Freunde und Kollegen, denen ich von meinem Experiment erzählt habe, waren entsetzt. Ich tat ihnen leid. Einige, das merkte ich, freuten sich schon aufs Fremdschämen während späterer Partyberichte. Sonderlich schüchtern ist keiner von ihnen. Und doch hätten sie allein auf einer Party genau wie ich sofort das Gefühl, dass ausnahmslos jeder mit interessanten und schönen Menschen zusammensteht und mit dieser schlimmen Mischung aus Mitleid und Verachtung auf einen starrt, während man sein Bier umklammert und sich elend fühlt. Alleine Herumstehen wirkt im schlimmsten Fall isoliert, unsouverän und kontaktunfähig, im besten Fall arrogant oder gelangweilt. Wir haben Hemmungen, die nichts mit klassischer Mauerblümchen-Schüchternheit zu tun haben. Sondern mit der Angst, Leute zu belästigen, die sich vielleicht mit ihrem eigenen Kram beschäftigen wollen. Sämtliche Lehrbücher ermutigen mich jedoch, genau diesen Denkfehler nicht zu machen. Möglicherweise freuen sich die Leute sogar sehr darüber, von mir angesprochen zu werden, weil sie sich nämlich selbst nicht trauen. Ich beschließe, mir zur Auflockerung einen Drink zu genehmigen. Nur einen, denn die Autorin Jeanne Martinet rät, auf keinen Fall zu viel zu trinken oder zu tanzen, „um seine Würde nicht zu verlieren“. Ich bestelle Sekt und bin immer noch aufgeregt, aber entschlossen. Mit meinem Glas in der Hand zwänge ich mich an einem Mann mit Basecap vorbei, lächle ihn an und sage „Hallo, ich bin Lisa, warst du gerade auf der Filmpremiere?“ Fragenstellen ist „der Königsweg zur gepflegten Unterhaltung“, wie ich Frank Naumanns „Die Kunst des Small Talk“ entnommen habe. Das Gute daran ist, dass der Angesprochene zu einer Antwort gezwungen wird. Der Mann blinzelt. „Nee, aber ich kenne die Sonja, die hat mich eingeladen“, sagt er und weist in Richtung einer blonden Frau. Ich schalte blitzschnell: einmalige Chance für die „Huckepack-Methode“ nach Jeanne Martinet: neue Bekanntschaften nutzen, um wiederum deren Bekannte kennen zu lernen. „Äh, wer ist denn die Sonja?“, frage ich nicht besonders elegant. Sonja ist die Produzentin des Films. Ich nicke Sonja freundlich zu, sie ignoriert das. Mein Gesprächspartner ist bereits in die Unterhaltung in Sonjas Gruppe einbezogen worden und ich habe versäumt, mich ins Spiel zu bringen. Ich bin hier überflüssig und verziehe mich. Besonders ermutigend war das nun nicht gerade. Auf der nächsten Seite liest du, wie Lisa mit der "Icebreaker-Floskel" einen jungen Mann anspricht


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Im Türrahmen lehnt ein junger Typ mit Trainingsjacke und Dreitagebart. Augen zu und durch, anders geht es nicht. Ich verwende eine „Icebreaker-Floskel“ – die Feststellung des Offensichtlichen, laut Stephan Lermer, Autor von „Small Talk. Nie wieder sprachlos“ ein risikofreier Einstieg. „Jetzt kommen wahrscheinlich gerade alle Leute von der Filmpremiere, deshalb wird’s so voll“, sage ich und komme mir ein bisschen blöd vor. Wir kommen trotzdem ins Gespräch. Er hat Literatur studiert und komponiert Filmmusik. Ich vermittle ihm ein „Wohlfühlgefühl“: Komplimente machen, interessiert nachfragen, Empathie zeigen führt immer zum Erfolg, lautet mein Mantra. Also finde ich das Komponieren von Filmmusik die tollste und interessanteste Beschäftigung überhaupt. Trotzdem kommt mir unser Gespräch irgendwie verkrampft vor. Ich werde den Verdacht nicht los, dass dieser Mann Angst vor mir hat. Weil ihn vielleicht gerade das Gefühl beschleicht, ich wolle mit ihm flirten. Dabei sind Mingling und Flirten unterschiedliche Dinge. Mein Gesprächspartner nickt erleichtert, als ich mich wieder verabschiede. Teil 2: Hingehen, wo es weh tut Ich muss an die Reaktionen einiger meiner männlichen Freunde denken, denen ich von meinem Experiment erzählt hatte. Sie hatten gereizt reagiert. „Klar, das musst natürlich ausgerechnet DU machen“, hieß es säuerlich. Für eine Frau, vor allem eine nicht unattraktive, so ihre missmutige Ansicht, sei dieser Versuch doch ein Selbstläufer. Wenn eine schöne Frau fremde Leute anspreche, komme das im schlimmsten Fall schutzbedürftig rüber. Ein Mann hingegen gelte sofort als krankes Schwein. Eine sehr verbitterte Ansicht. Und außerdem sachlich falsch. „Es kommt nicht darauf an, ob Sie gut aussehen oder nicht oder welches Geschlecht Sie haben. Sondern ob Sie optisch und bezüglich Ihres Verhaltens an die Gesellschaft, in der Sie sich bewegen, angepasst sind“, hat Stephan Lermer mir erklärt. Am Rand der Tanzfläche steht eine junge Frau, die ins Leere starrt. Ich beschließe, Jeanne Martinets „ehrlichen Auftritt“ zu probieren. „Hallo, ich bin neu auf der Party und kenne noch niemanden. Bist du auch alleine da? Ich bin übrigens Lisa.“ Im ersten Moment schaut die Frau ziemlich perplex, dann lacht sie und sagt: „Nein, eigentlich bin ich mit meinem Bruder da, der holt aber schon seit einer halben Stunde Getränke.“ Ich erfahre, dass ihre Familie eine kleine Insel im Rhein besitzt und ihr Bruder dort ein Weingut bewirtschaftet. Als der Bruder nach ein paar Minuten wieder auftaucht, nutze ich meine eben gesammelten Informationen als Aufhänger für ein Gespräch. Sage ihm, wie toll ich das mit dem Weingut finde (was er wahrscheinlich heute nicht zum ersten Mal gehört hat), verstricke ihn gekonnt in eine kleine Fachsimpelei über Weißweine aus Rheinhessen und merke an, dass Silvaner ja der neue Riesling sei. Bestärkt durch meine bisherigen Mingling-Erfolge fühle mich bereit für die „Königsdisziplin des Sich-Bekannt-Machens“, wie es Doris Märtin in „Smart Talk“ nennt: das Einblenden in eine Gruppe. Diese Methode sieht vor, sich zunächst als Zaungast zu einer Gruppe dazu zu gesellen, ab und zu zustimmend zu nicken und bei Gelegenheit einen passenden Kommentar einzuwerfen. Ich nähere mich einer Gruppe Männer um die Mitte 30. Erstmal lungere ich etwas unschlüssig außerhalb der Gruppe herum, versuche fieberhaft aufzuschnappen, worüber geredet wird und fange an zu schwitzen. Jeanne Martinet warnt bezüglich der Einblendmethode vor der Gefahr, zum Festgespenst zu mutieren. Zu lange sollte man sich nicht in der Peripherie einer Gruppe aufhalten. Bevor ich zum Festgespenst werde, fliege ich auf. Ein Mann mit wirrer Frisur klinkt sich aus und mustert mich irritiert. Ich rette mich mit dem Klassiker „Wie sind Sie hierher gekommen?“ (laut Jeanne Martinet toll, weil super zweideutig; mögliche Antworten beispielsweise „aus München“ oder „mit dem Taxi“). Er schaut immer noch skeptisch und erzähl gelangweilt, dass er aus Hamburg kommt. Dann will er mich loswerden und wendet sich wieder der Gruppe zu. Das Einmischen in eine Gruppe finde ich überhaupt keine schöne Methode. Ich stelle mir vor, wie irritierend ich es fände, wenn sich eine wildfremde Person in mein Gespräch einmischen würde. Aber ich gebe mir noch einen Versuch und steuere auf eine Dreiergruppe zu. Eine Frau im Etuikleid, zwei Männer im Anzug. Ich habe vorhin mitbekommen, dass sie sich über das Frühwerk Volker Schlöndorffs unterhalten haben. Und dann höre ich mich sagen: „Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass ihr hier die Cineastenrunde seid.“ Der Moment der absoluten Stille dauert ungefähr zwei Sekunden. „Vielleicht sehen Sie, dass wir uns hier gerade unterhalten“, sagt einer der Anzugträger und schaut mich dabei an, als hätte ich gerade mit Hitlergruß salutiert. Mein ganzes Blut schießt in den Kopf, mir wird heiß. Ich nuschle etwas von „Tschuldigung“ und gehe. Erniedrigt und gedemütigt. Ich bin Opfer der so genannten „In-Group-Verzerrung“ geworden: Zufällig zusammen gewürfelte Gruppen entwickeln in bemerkenswert kurzer Zeit ein Wir-Gefühl und reagieren abweisend auf Veränderungen, erklärt „Smart Talk“-Autorin Doris Märtin.

Ich werde wütend auf Jeanne Martinet, von der die „Vögelchen“-Methode stammt. Sollen sich doch überdrehte Amerikaner mit solchen Sprüchen blamieren. Doris Märtin schreibt außerdem, Fortgeschrittene würden eine Gruppe nicht mit einem möglicherweise unwillkommenen Gespräch überfallen, sondern die Lage sondieren und prüfen, ob der Kontakt angenehm ist. Auf dem Flur sehe ich eine Gruppe, zwei Männer und zwei Frauen. „Stört es euch, wenn ich mich zu euch geselle? Ich bin übrigens Lisa.“ Die vier finden das sehr lustig. Bald sind wir in einem Gespräch über die neuesten Cluberöffnungen in Berlin. Fazit: Die Party ist mein Revier Mittlerweile bin ich richtig gut gelaunt. Die Party ist mein Revier. Ich flaniere durch die Räume und fühle mich großartig. Es ist vier Uhr früh, und ich bin hellwach. Normalerweise erreiche ich auf Festen gegen ein oder zwei Uhr einen toten Punkt. Wahrscheinlich, weil das viele Sitzen nicht gut für den Kreislauf ist. Ich habe sechs Visitenkarten bekommen und gut ein Dutzend interessante Menschen kennen gelernt. Am besten funktioniert haben die schlichten, die ehrlichen Ansätze. Die, bei denen ich Angst hatte, ich könnte damit bedürftig wirken. Die meisten Leute waren viel offener, als ich es mir ausgemalt hatte. Ich hatte öfter sogar das Gefühl, dass sie sich richtig über meine Offenheit und mein Interesse gefreut haben. Natürlich gibt es für nichts eine Garantie. Es kann immer passieren, auf die Eisklötze und Mingling-Phobiker zu treffen, die auch den nettesten Versuch kalt abschmettern. Aber mit diesem Risiko, das habe ich heute Abend gelernt, lässt es sich leben.

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