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Shops statt Kirche

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„Kann mal jemand kurz auf die Welt aufpassen?", fragt Jochen und wirft die Erdkugel über die Schulter. Der aufblasbare Planet segelt kurz durch die Luft, wird von einem Windstoß mitgenommen, landet dann aber doch in Silvias Händen. Am Südpol, beim Stöpsel, blättert die Farbe schon ein wenig ab. „Da sieht man ja schon den Klimawandel“, sagt Jochen und lacht. „Dann fangen wir mal an.“ Touristen halten die achtköpfige Gruppe für eine gewöhnliche Stadtführung. Aber es geht nicht um Sehenswürdigkeiten, sondern um CO2-Bilanzen und Nachhaltigkeit. Statt der Mariensäule, des Viktualienmarkts und der Frauenkirche sind internationale Ketten wie Starbucks, McDonald's und Footlocker Stationen des Rundgangs. „Konsum Global“ wurde in Hannover entwickelt und soll dazu anleiten, durch bewusstes Verbrauchen die negativen Folgen von Globalisierung zu bekämpfen: Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und Arbeitskräften, Abholzung und unnötige Transportwege. Inzwischen gibt es das Projekt in fast allen großen deutschen Städten von Hamburg bis Freiburg. Die Jugendorganisation Bund Naturschutz (JBN) möchte den Rundgang nun auch nach Bayern bringen: In einem zweitägigen Workshop soll eine Tour speziell für München entwickelt werden. Heute macht es noch Jochen Dallmer vom Jugendumweltnetzwerk JANUN vor. Später sollen die Teilnehmer selbst als kritische Stadtführer arbeiten können. Der Weg einer Jeans Die erste Station ist der H&M in der Kaufinger Straße. Jochen erzählt, dass ein durchschnittlicher Deutscher 40 bis 50 neue Kleidungsstücke – etwa 16 Kilo Textilien – pro Jahr kauft. Dann holt er aus einem uralten Koffer, den er seit dem Beginn der Führung mit sich schleppt DIN-A4-Blätter heraus – sie zeigen den Reiseweg einer Jeans. Jeder bekommt eine Station: Kasachstan, China, Taiwan, Polen, Schweden, Frankreich, die Philippinen, Griechenland, Deutschland. Etwa 30 000 Kilometer legt eine Hose zurück. Die Fußgänger drehen sich im Vorbeigehen oft um. Auch ohne die Zettel in der Hand sehen die acht Jugendlichen ein wenig wie Eindringlinge in der eitlen Einkaufsstraße aus: Niemand hat Shoppingtüten in der Hand. Die meisten Teilnehmer sind tatsächlich nur selten hier – Shoppen finden alle überflüssig. Olli (23) näht seine Hosen zum Beispiel selbst. Der Politikstudent will ein kritischer München-Guide werden, weil er gegen den Konsum kämpfen und seine „Führungsfähigkeiten“ schulen will. „Es macht mir Spaß, zu provozieren.“ Im Großen und Ganzen versucht Olli ökologisch zu leben: „Aber ich befreie keine Tiere und zerstöre keine Pelzmäntel“, sagt er. „Und Müll trenne ich auch nicht.“ Internationale Ketten kann Olli nicht ausstehen, weil sie die Welt uniformieren. Sein Begrüßungssatz: „Bin ich hier richtig beim Kapitalismus-Bashing?“ Das nächste Mal wird der Koffer vor einem Footlocker ausgepackt. Olli holt einen kleinen Umschlag raus. „Lohntüte“ steht drauf. 40 Cent sind drin. „Das ist der durchschnittliche Stundenlohn in einer Schuhfabrik“, erklärt Jochen. Von einem Markenturnschuh, der 100 Euro kostet, gehen nur vier Euro an die Arbeiterinnen in den Billliglohnländern. Die Gruppe schaut betreten auf den Boden, die in Puma und Adidas gehüllte Füße tänzeln verlegen auf der Stelle. Dann klemmt Carin die Erdkugel unter ihre Achsel und die Gruppe bricht auf – zum McDonalds.

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Ein bisschen wie im Zoo Die Schlange vor der Filiale am Stachus ist mehrere Meter lang. „60 Kilogramm Fleisch isst ein durchschnittlicher Deutscher pro Jahr“, referiert Jochen. „Dabei verdrängt Soja für die Ernährung der Rinder andere Pflanzen und ruiniert die Kleinbauern.“ Die Teilnehmer schauen zu, wie BigMacs und Pommes vertilgt werden. Ein bisschen erinnert das ganze an einen Zoo. Nur ist man sich nicht sicher: Wer sind die Zuschauer, wer die Objekte? Am Schluss zaubert Jochen ein Plakat mit flauschigen Küken hervor und hält es vor die Glasscheibe. „We are not Nuggets“ steht über den Köpfen der kleinen Vögel. Letzte Station: Starbucks. Jochen zieht einen leeren Chemikalienkanister und einen Pestiziden-Schutzanzug aus dem scheinbar bodenlosen Koffer. Ein paar Minuten später ist Silvia (27) von Kopf bis Fuß in weißen Stoff gehüllt. Das Gesicht ist von einer Maske verdeckt, die schwarzen Haare stecken unter einer Kapuze. So müsste der Schutz von Pestiziden aussehen, sagt Jochen. Die Bauern in Südamerika verstünden die englischen Gebrauchanweisungen aber nicht und hätten außerdem kein Geld für richtige Kleidung. Wegen der Hitze arbeiteten sie oft oberkörperfrei auf Kaffeeplantagen. 20 000 Menschen sterben jährlich wegen Pestizideneinsätze. Nur Fairtrade-Anbieter kümmerten sich um ausreichenden Schutz. „Starbucks, ich komme“, droht die vermummte Silvia unter der Maske. Seit fünf Jahren arbeitet sie bei Greencity, einem Verein, der sich mit nachhaltiger Stadtplanung beschäftigt. Mit dem Stoff der Führung war Silvia schon vorher vertraut, jetzt will sie herausfinden, wie sie die meisten Leute erreicht. „Es ist erstaunlich, wie viele überhaupt nichts darüber wissen.“ Mit solchen Führungen könne man vielen die Augen aufmachen. „Es ist zumindest ein guter Anfang“, sagt Silvia entschlossen. Die Welt liegt ihr zu Füßen. Die aufblasbare.

Text: wlada-kolosowa - Fotos: wk

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