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„Sie versprach mir in Honig gebackenes Hühnchen“

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Die jetzt.de-Redaktion widmet sich eine Woche lang dem Thema „Essen“ - den Auftakt des Schwerpunkts macht dieses Gespräch mit Questlove, dem Schlagzeuger der US-Hip-Hop-Band The Roots. Es dreht sich im Grunde nur um eine Begebenheit, in der es um Soulfood geht. Aber diese Geschichte sorgt dafür, dass einem das Wasser im Munde zusammen läuft; ein Interview wie ein Aperitif. (Unser kleines Glossar erklärt die handelnden Personen - kannst du nachlesen, wenn du auf den jeweiligen Namen klickst) jetzt.de: Angeblich haben Veranstalter von Roots-Auftritten mit Strafen zu rechnen, sollten sie kein vegetarisches Essen bereitstellen . . . Questlove: Nun, das ist wegen dreier unserer Bandmitglieder, die aus religiöser Überzeugung nur vegetarische Kost akzeptieren. Ich selbst richte mich zwar nach der Mehrheit in der Band, esse aber durchaus auch Rind, Huhn oder Truthahn. jetzt.de: Und das, obwohl Sie von Ihren Eltern vegetarisch erzogen wurden? Questlove: Ja, viele Jahre lang gab es daheim nur Gemüse und Vollkorn. Was nicht heißt, dass meine Eltern überzeugte Vegetarier waren. Sie wollten mich einfach nur gesund ernähren. Doch dann wohnte ich, während meine Eltern als Entertainer auf Tournee waren, oft bei meiner Großmutter. Die kommt aus dem tiefen Süden und kochte mir hervorragendes Soulfood – mit viel Fett und Zucker. Da konnte die Küche meiner Mutter nicht gegen an. jetzt.de: Was verstehen Sie genau unter Soulfood? Questlove: Soulfood heißt die traditionelle Küche der armen Schwarzen in den Südstaaten. Wenn etwa ein Schwein im Herrenhaus geschlachtet wurde, haben die Sklaven oft nur die Schlachtabfälle abbekommen – Innereien etwa, die Füße und die Ohren. Später waren die guten Teile einfach zu teuer. Aus diesem Grund sind Spareribs eine Spezialität der Soulfood-Küche. Oder Chicken Wings. Um trotzdem Geschmack zu bekommen, wird alles mit viel Fett, Zucker und Gewürzen aufgepeppt. Daher kommen die Barbecue-Saucen. Kuh-Euter haben wir übrigens auch in Pennsylvania! Es wird dort zum Frühstück serviert und heißt „Scrapple“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Zur Zeit wird Soulfood und Südstaaten-Barbecue vom weißen Großstadt-Publikum als Delikatesse entdeckt. In Downtown New York eröffnen ständig neue Läden, und selbst Rapper wie P Diddy und LL Cool J gehören zu den Stammkunden von „Fried Chicken“-Tempeln wie dem Restaurant Sylvia’s in New York. Questlove: Ja, so war das doch mit allen schwarzen Moden: Sie kamen aus der Unterschicht und wurden später vom Mainstream entdeckt. Soulfood hat viel mit Liebe und Selbstliebe zu tun. Hör’ nur in die schwarze Musik: Ist doch kein Zufall, dass so viele Soulsongs vom Essen handeln: „Green Onions“, „Shortnin’ Bread“, „Bar-B-Q Ribs“. jetzt.de: Was ist Ihre prägendste Erfahrung mit Essen? Questlove: Ich muss da immer an Patti LaBelle denken: Sie ist berühmt für ihre Kochkünste. Wann immer Elton John, Prince oder die Rolling Stones nach Philadelphia kommen, bindet sie sich ihre Kochschürze um und bringt das Essen dann backstage zu deren Konzert-Garderobe. Eines Tages traf ich Big Daddy Kane und er konnte sich vor Begeisterung nicht bremsen: Guter Gott, Patti LaBelle macht den besten Kartoffelsalat, den du auf dieser Welt finden kannst! Wenn du noch irgendetwas in deinem Leben vorhast: Probier’ ihren Kartoffelsalat! Sieben Jahre später landeten die Roots zufällig bei der selben Plattenfirma wie Patti LaBelle. Auf einer Party mit Jazzy Jeff traf ich sie dann: Ich konnte mir nicht verkneifen, ihr von den Gerüchten über ihren unglaublichen Kartoffelsalat zu erzählen. Und dass ich, bevor ich sterbe, davon kosten müsse. Patti stieß einen Entzückensschrei aus: „Sobald ich zu Hause bin, werde ich meinen Chauffeur damit losschicken – und dazu ein paar Blaubeerküchlein, hausgemachte Eiscreme, und meine Maismehlwaffeln.“ Sie fragte, ob ich Vegetarier sei. Als ich den Kopf schüttelte, fuhr sie mit ihrer Speisekarte fort: „Dann pack ich Dir noch in Honig ausgebackenes Hühnchen ein, Krabbenpasteten in Spezialbutter und Collard Greens mit Truthahnschinken dazu.“ Und wenn ich noch ein paar Tage länger in Philadelphia bliebe, würde sie mir auch ihre Pecan-Pfannkuchen backen. jetzt.de: Und selbstgemachte Süßkartoffeltorte servieren? Questlove: Ganz genau. In diesem Moment begannen Will Smith und Jazzy Jeff – sie standen hinter Patti LaBelle – mit den Händen ein Plappermaul zu imitieren und dazu Grimassen zu schneiden. Als mir Patti ihre Telefonnummer gegeben hatte, kamen die beiden zu mir: „Lasst uns raten: Sie hat Dir Blaubeerküchlein versprochen, hausgemachte Eiscreme, Maismehlwaffeln . . .“ Ich nickte die ganze Zeit: „Genau, so ist es. Ja. Ja.“ – „Und sie hat gesagt, ihr Chauffeur wird dich abholen kommen?“ – „Ja, genau.“ – „Und sie hat Dir auch von den Krabbenpasteten in Spezialbutter erzählt?“ – „Ja, aber woher wisst Ihr das alles so genau?“ Sie lächelten nur herablassend: „Man vergiss es!“ sagte Will Smith. „Du wirst nie von ihren Blaubeerküchlein probieren! Sie hat es mir und Jeff schon seit zehn Jahren versprochen und nicht mal ein Stückchen Maismehlwaffel haben wir von ihr gesehen.“ Drei Jahre später fragt mich einer von Patti LaBelles Produzenten, ob ich auf ihrer neuen Platte als Schlagzeuger mitwirken wolle? Okay, sagte ich, ich mache mit – unter einer Bedingung: Ich verzichte auf die Gage. Stattdessen möchte ich im November, an Thanksgiving, ein Stück Truthahnbraten mit Kartoffelsalat an Patti LaBelles Tisch essen. Also ruft er sie an: Oh, flötet Patti, natürlich, und dann mach ich Dir die Blaubeerküchlein und die Maismehlwaffeln und die Krabbenpasteten in Spezialbutter ... Kurz vor Thanksgiving dann trifft Questlove Patti LaBelles Sohn ... lies weiter auf der nächsten Seite.


Eine Woche vor Thanksgiving treffe ich ihren Sohn. Ich frage ihn: „Ist deine Mutter an Thanksgiving zu Hause?“ – „Oh nein, da gibt sie eine Benefiz-Show in Las Vegas“ – „Aber wird es kein Thanksgiving-Essen geben?“ – „Wir sind alle verreist, der Truthahn fällt dieses Jahr aus.“ Verdammt, denke ich mir und hole tief Luft. „Warte mal“, ruft Pattis Sohn: Er würde gerade ein neues Rap-Album aufnehmen. Ob ich nicht ein paar Beats für ihn übrig hätte? Ich sage: „Okay, du kriegst heute noch zwei Songs von mir. Alles was du dafür tun musst, ist deine Mutter rumzukriegen. Sie muss mir diesen Freitag ein Hühnchen mit Kartoffelsalat und einem Biscuit servieren. Sie schuldet mir eh noch ein Essen!“ Er schaut total verdutzt: „Das ist wirklich alles? Kein Problem!“ Also sucht er sich seine zwei Lieblings-Beats von meiner DAT-Cassette aus. „Okay, also bringst Du mir nächsten Freitag das Hühnchen, den Kartoffelsalat und das Biscuit ins Studio?“ – „Cool!“ jetzt.de: Lange Geschichte, gutes Ende . . . Questlove: Von wegen. Zwei Wochen verstreichen. Kein Hühnchen, kein Kartoffelsalat, kein Biscuit kommt im Studio an. Pattis Sohn ist nicht zu erreichen. Ich spreche ihm auf die Mailbox: „Ich habe Dir zwei Beats gegeben, für die ich sonst 20 000 Dollar in Rechnung stelle. Und jetzt warte ich immer noch auf das Hühnchen, den Kartoffelsalat und ein Biscuit.“ In jenem Moment buchte ich das Ganze als Fehlschlag ab. Zwei mal hatte ich mir an Pattis Soulfood die Finger verbrannt. Aber kürzen wir die Geschichte ab: Noch mal zwei Jahre später klingelt früh am morgen mein Telefon. Ich bin noch müde, gehe nicht ran. Aber beim siebten Anruf werde ich dann doch neugierig: Vielleicht ist es meine Mutter, die in Schwierigkeiten steckt. Niemand sonst würde so hartnäckig anrufen. Am anderen Ende der Leitung ist ein befreundeter Journalist, Joe Scott: „Ich schreibe gerade einen Artikel über Patti LaBelle, da brauche ich noch eine Anekdote für den Einstieg. Kannst Du mir weiterhelfen?“ Ich sage: „Warte, ich habe da etwas. Die erste Zeile deines Artikels muss lauten: Patti LaBelle ist eine dicke, große Märchentante!“ Dann erzählte ich ihm meine ganze Leidensgeschichte, von den Blaubeerküchlein, den in Honig ausgebackenen Hühnchen, der hausgemachten Eiscreme und dem Kartoffelsalat und wie mich Will Smith und Jazzy Jeff deswegen ausgelacht haben; wie ich auf ihrer Platte ohne Gage getrommelt habe; ihrem Sohn zwei Beats geschenkt habe. Zum Schluß fragte ich ihn: Nun, sie hat Dir bestimmt dasselbe erzählt Joe, als Du sie getroffen hast? „Mmmhh“ machte es am anderen Ende der Leitung. Und sie hat Dir auch von den Krabbenpasteten in Spezialbutter vorgeschwärmt? „Yeah, mmmhh.“ Und sie hat gesagt, sie würde ihren Assistenten schicken, um Dich abzuholen? „Yeah.“ Und sie hat Dir auch gesagt, dass du, wenn du bei ihr übernachtest, noch die Pecan-Pfannkuchen zum Frühstück bekommst, mit diesem Ahornsirup aus dem eigenen Garten? „Mmmh“ murmelte es wieder zustimmend. „Joe, woher rufst du mich gerade an?“ Lange Pause, Schmatzen. „Ich bin in Pattis Haus.“ – „Was machst Du da gerade?“ – „Mmmhhh, ich esse.“ – „Joe, es ist doch früh am morgen.“ – „Sie hat ihren Assistenten um Mitternacht bei mir vorbeigeschickt und mich aus dem Bett geholt.“ – „Und seitdem kocht sie für dich?“ – „Ich kann nichts dafür, sie hat mich mehr oder minder dazu verdonnert.“ Das war der schlimmste Schlag ins Gesicht. Seitdem plagt mich an jedem Thanksgivings Day die Vorstellung von all dem Essen, das ich in Patti LaBelles Haus verpasst habe. jetzt.de: Ich habe mal in Lake Charles, Louisiana, den Zydecomusiker Boozoo Chavis besucht. Sein Häuschen war irgendwo im Scherbenviertel der Stadt, er hatte drei große Autos und ein Boot davor stehen und ein Handtuch in das Loch gestopft, wo früher mal die Klinke der Eingangstür gewesen sein muss. Ich erklärte ihm, ich käme aus Deutschland, liebte seine Musik. Er darauf: „Hör mal zu, ich gebe keine Interviews. Aber setz’ dich hin, ich bring dir ein kühles Bier.“ Danach fing seine Frau das Kochen an: Fried Chicken. Süßer Yams. Schwarze Bohnen. Reis. Und Boozoo telefonierte all seine Söhne zusammen: „Come over! We got visit from Germany!“ Ich verstand kaum etwas von ihrem zungenschweren Patois. Es ging ums Essen und Trinken. Nach einigen Stunden zerrte ich dann doch zaghaft meinen Rekorder raus . . . Gut, sagte, Boozoo, ich gebe dir vielleicht später ein Interview. Aber inzwischen kannst du mir bei der Gartenarbeit helfen. Also jäteten wir die Okra-Beete, rechten zwischen den Bohnen – bis Sonnenuntergang. Danach ließ er mir seine Badewanne ein. Das Interview hat nie stattgefunden. Aber als ich aus der Wanne stieg, stand schon wieder eine Platte mit dampfenden Krabben, Kartoffeln und Mais auf dem Tisch! Questlove: Tariq (von den Roots, Anm. d. Red.) ist auch so einer! Er rührt auch lieber im Topf statt Interviews zu geben. Ich würde ihn in einem Kochwettbewerb gegen jede schwarze Großmutter in den Südstaaten antreten lassen. Außer meiner eigenen vielleicht. Aber abgesehen von ihr gibt es keinen besseren Soulfood-Koch weit und breit! Und das, obwohl er offiziell Vegetarier ist! Seine Krabben und Krebse – fantastisch! jetzt: Mir ist in den Soulfood-Lokalen im tiefen Süden aufgefallen, dass sie selten richtige Teller und Besteck haben, sondern das Essen in Schaumstoffschalen mit Plastikgabeln servieren. Questlove: So ist es real! Meine Großmutter hat früher Stew gekocht und darauf bestanden, dass wir es direkt aus dem Topf essen. Soulfood auf wunderschönen Porzellantellerchen? Nein, das geht nicht. Schließlich waren das die sogenannten „schlechten“ Teile vom Schwein, die da verwertet wurden. Das ist übrigens das einzige Lieblingsessen meiner Großmutter, von dem ich dann doch die Finger lasse: in Essig eingelegte Schweinsfüße. „Pickled Pig Feet“. Mehr zum Thema im Essens-Schwerpunkt auf jetzt.de

Text: jonathan-fischer - Foto: Tibor Bozi

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