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Studentische Hilfskraft

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Der Anruf kam vor einem Jahr, am zweiten Weihnachtsfeiertag: "Wir stellen ein Team zusammen - kommst Du mit?" Eine Stunde vorher hatte ich (noch etwas benommen von Plätzchen, Glühwein und Tannenduft) im Fernsehen die ersten Bilder vom Tsunami gesehen. Bilder der Zerstörung aus Indien, Thailand, Indonesien, Sri Lanka. Die Hilfsorganisation Humedica, für die ich im Sommer 2004 im Nordirak gearbeitet hatte, stellte binnen 24 Stunden ein Team und Materialien für die erste Nothilfe in Sri Lanka zusammen. Alles zog mich dorthin: das Mitleid, das Bedürfnis, das Grauen zu teilen und der Wunsch, zu helfen. Ich habe mich dagegen entschieden, weil ich wusste, dass ich nicht nur die zwei Wochen bleiben würde, die im Nothilfeplan vorgesehen waren. Und mein Professor wartete auf meine Magisterarbeit. Neun Monate später, kam ich dann doch hier an, auf Sri Lanka, der Träne Indiens, wie die Insel wegen ihrer Form und ihrer topografischen Lage genannt wird, um für die Dresdner Hilfsorganisation Arche noVa in Battikaloa an der Ostküste Sri Lankas zu arbeiten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Drei Stunden vs. 20 Jahre Tränen gab es viele vor einem Jahr. Tagelang hatten die Überlebenden in den Küstenregionen ununterbrochen gearbeitet, ohne zu essen oder zu schlafen, um das zu retten, was zu retten war - und weinten um ihre Angehörigen. An die 40 000 Menschen, ein Drittel davon Kinder, waren von der Welle verschluckt worden. Innerhalb von drei Stunden starben beinahe genauso viele Menschen wie in über 20 Jahren Bürgerkrieg zwischen singhalesischer Regierung und tamilischen Rebellen.Über 800 000 Menschen wurden obdachlos. Vielfach waren sie zu Fuß landeinwärts um ihr Leben gerannt. Als sie zurückkamen, standen sie vor feuchten Ruinen, zerbrochenen Fischerbooten, die in Palmen hingen, Autowracks, beschädigten Brunnen, die seitdem versalzen sind. Sie suchten in den Trümmern nach Kleidung, nach Erinnerungsstücken an Angehörige, die auf immer verschwanden oder tot gefunden wurden. Da die Versorgung mit Trinkwasser seit der Katastrophe völlig ungenügend ist, hat Arche noVa seit Ende Januar zunächst über 2300 Brunnen gereinigt und vor einigen Wochen begonnen, neue Brunnen anzulegen und Pumpen zu installieren. Außerdem wurde ein Team aus tamilischen Frauen zusammengestellt, das die Familien über Hygiene und Gesundheit aufklärt. Um auch langfristig zu helfen, vergibt die Organisation Kredite an alleinstehende Frauen, damit sie Kleinstunternehmen gründen und dadurch den Lebensunterhalt für sich und ihre Angehörigen sichern können.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Gesichter Sri Lankas In den drei Monaten, in denen ich hier als Projektassistentin mitgearbeitet habe, habe ich die Aufklärungs-Teams begleitet, Vertreter der lokalen Organisation getroffen und in wöchentlichen Meetings unsere Arbeit mit den über 60 anderen internationalen Hilfsorganisationen koordiniert. Dazu kamen Büroarbeit wie Berichte nach Deutschland schreiben und Abrechnungen kontrollieren, aber ich konnte teilweise auch direkt beim Wiederaufbau mitanpacken. Als ein Sichtschutzzaun um ein Mädchen-Waisenhaus gebaut wurde, war ich nicht nur beim Einkauf von Betonpfeiler, Stacheldraht und Wellblech dabei, sondern habe selbst zur Schaufel gegriffen. Jeder, der hier arbeitet, gleitet ständig von einer Welt in die andere. Sri Lanka hat die verschiedensten Gesichter. Die Gesichter der Mitarbeiter von anderen Hilfsorganisationen oder der deutschen Botschaftsangehörigen, die man in der Hauptstadt Colombo im Nobelhotel mit spiegelblanken Fußböden und vornehmen frackgewandeten Kellnern auf ein Glas Wein und zum Billardspielen trifft. Die rotverbrannten Gesichter von Touristen, mit denen man die pilzförmigen roten Felsen in Sigiriya erklimmt und die Aussicht über Regenwald, Seen und Gebirgsgipfel in Wolken genießt. Die ruhigen Gesichter von orange gekleideten buddhistischen Mönchen in Dambulla, während man durch die schummrigen Tempelhöhlen wandert. Und Gesichter von Freunden aus München, die sich in einer der kleinen Strand-Cabanas von Arumgam Bay an einem der besten Surfspots der Insel zum Wellenreiten und Urlaubmachen eingemietet haben. Das alles ist das Sri Lanka des Überflusses und des Tourismus. Das Elend lokalisiert sich hauptsächlich im Norden und Nord-Osten. Da kommen die Touristen nicht hin, denn auf der Webpage des Auswärtigen Amtes steht, dass von Reisen in diese Gegend abzuraten ist. Dort sind die anderen Gesichter der Insel zu finden. Jene, die Sri Lanka vor der Welt verstecken will. Zum Beispiel das Gesicht eines Jungen, der in meinem Büro steht und Arbeit sucht. Er ist einer der 250 000 Menschen, die in den 50 000 Shelter leben, kleinen Hütten aus Wellblech, die von internationalen Hilfsorganisationen gebaut worden waren. Die Hitze Sri Lankas staut sich so unerträglich in diesen Hütten, dass die Bewohner daraus flüchten müssen. In der Regenzeit sind die Camps dafür hoffnungslos überflutet. Aber das größte Problem: Es gibt nichts zu tun für diese Menschen. Die Arbeitslosigkeit ist in Folge des Tsunamis auf 80 Prozent gestiegen. Enge, Eintönigkeit und Hoffnungslosigkeit sind ebenso Folgen wie Alkoholmissbrauch, Prügeleien, häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch. Geredet wird darüber kaum. Auch der Junge zeigt ein strahlendes Lächeln. Der häufigste Satz auf der Insel passt perfekt in jede Reisebüro-Werbung: "No problem!" Die Augen der Kindersoldaten Es war Weihnachten, als die Welle kam, die Zeit der Apelle an Menschlich- und Barmherzigkeit. Auch dass es sich viele Europäer im Urlaubsparadies Sri Lanka mittels Pauschalangebot gut gehen lassen, erhöhte die Spendenbereitschaft. Nie zuvor hatte eine Naturkatastrophe und deren Opfer eine ähnliche öffentliche Aufmerksamkeit erfahren - danach auch nicht mehr, wie der Vergleich zum eher geringen Spendenaufkommen für die Erdbeben-Katastrophe in Pakistan erkennen ließ. Die Erwartungen der Geberländer sind entsprechend groß: Möglichst schnell soll alles wieder stehen. Die Realität sieht ganz anders aus: Über 100 000 Gebäude müssen wieder aufgebaut, 1600 Kilometer Straße repariert, Wasser- und Elektrizitätsversorgung sowie Telefonleitungen wieder hergestellt werden. Es gibt weder ausreichend Material, noch genügend gelernte Arbeitskräfte. Auf meinen Touren durch die Dörfer sind die Gassen und Hinterhöfe voll von bunt gekleideten, schmutzigen Kindern. Um in die Schule gehen zu können, braucht man Geld für Bücher, Gebühren und die Uniform. Aber der Tsunami ist nicht die einzige Katastrophe, die das Land beutelt. Seit über 20 Jahren leidet Sri Lanka unter Bürgerkrieg. Sofort tauchen wieder die Gesichter auf, über die man nicht nachdenken sollte, wenn man Sri Lanka unbeschwert genießen möchte. Fährt man in eins der Gebiete, die von der LTTE kontrolliert werden, den tamilischen Befreiungs-Tigern, die für einen eigenen Staat kämpfen, und überquert einen etwa 200 Meter breiten Todesstreifen, schauen neugierige Augen ins Auto. Junge Augen aus Milchbubengesichtern. Das Wasser eines starken Monsungusses läuft von den Militärhüten, tropft von der lässig umgehängten Kalaschnikow herab. Die Jungs sind 13, höchstens 15 Jahre. Eine Schule haben sie nie besucht. Einige wachsen in Waisenhäusern auf. Es gibt Gerüchte, dass jede Familie einen Sohn zur Ausbildung bei der LTTE abgeben muss. Im Jahr 2000 konnte eine norwegische Delegation Friedensgespräche einleiten. Offiziell besteht bis heute Waffenstillstand, doch die Gewalt geht weiter, Menschenrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. Rebellen der LTTE sprengen einen Check-Point des singhalesischen Militärs in die Luft, Militärs brechen gewaltsam die Schlösser von streikenden tamilischen Ladenbesitzern auf, Karuna-Truppen im Osten und Prabaharan-Kämpfern im Norden bekriegen sich um die besetzten Gebiete, Steine fliegen in moslemische Geschäfte, nicht selten brennen Häuser von Leuten nieder, die auf der falschen Seite stehen. Die von der LTTE entführten Menschen liegen leblos mit verbundenen Augen am Strand. Mehrmals am Tag piepst mein Handy und teilt mir per SMS neue schreckliche Vorkommnisse mit. Nach der Wahl Mitte November hat sich die Situation verschärft. Der neue Präsident Mahinda Rajapakse gilt als Hardliner. Es besteht wenig Aussicht, dass die Friedensgespräche wieder belebt oder gar zu einem zufrieden stellenden Ergebnis führen werden. Wie soll es da mit dem Wiederaufbau nach dem Tsunami schnell vorangehen? Aber die vielen verschiedenen Gesichter der Insel lächeln schicksalsergeben weiter: "No problem." Text: Claudia Schülein

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