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Suchen junge Menschen, bieten alte Gemäuer

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Bis vor kurzem war das Haus in der Plantage 9 in Bremen einfach weiß. Jetzt ist alles bunt. Graffiti Künstler Markus Genesius alias WOW123 hat die Frontseite besprüht, innen hat er seit neuestem ein Atelier. Mit ihm sind 22 weitere Kreative und Kleinunternehmer eingezogen. Das Ganze heißt „Bricolage Plantage“ und ist die jüngste Zwischennutzung, die die ZwischenZeitZentrale Bremen" (ZZZ) vermittelt hat: Die Stadt Bremen stellt Künstlern und jungen Selbstständigen leer stehende Gebäude zur Verfügung. Das Haus Plantage 9 steht eigentlich auf Abriss, ursprünglich wollte die Stadt über das Grundstück eine Straße bauen. Doch dafür ist momentan kein Geld da. Deswegen hat sie das Gebäude an die ZZZ vermietet. Die gibt die Flächen für vier Euro pro Quadratmeter weiter. Bricolage ist französisch und bedeutet wörtlich übersetzt Bastelei. Der Name ist Programm: In der oberen Etage gibt es geräumige Büros und eine große Halle, im Keller befinden sich Werkräume. Auf insgesamt 1600 Quadratmetern ist viel Platz: Neben WOW123 sind ein Bildhauer, eine Modedesignerin, ein Fotoatelier, eine Bürogemeinschaft aus Lehrern und ein Veranstaltungstechniker eingezogen. Die Warteliste mit Menschen, die einen Atelierplatz haben wollen, ist lang. Vor dem Haus steht Marc Moog mit seinem veganen Imbissstand, innen hat er ein Lebensmittellager angelegt. Er hat sich selbstständig gemacht und ist von seinem Standort begeistert: „Vorher hatte ich mein Lager in einem Industriegebiet. Jetzt freue ich mich darüber, mit anderen Leuten zusammen zu sein, die alternativ, kreativ unterwegs sind.“ Als Zentrum der Kreativwirtschaft ist Bremen nicht unbedingt bekannt. Früher hatte die 500 000 Einwohner-Stadt einen stolzen Hafen, inzwischen sind die Schiffe zu groß für den flachen Fluss geworden, die meisten Werften sind pleite. Vielen jungen Leuten ist Bremen zu klein. Wer sein Studium abgeschlossen hat, zieht weiter, gerne nach Berlin. An Bremens Verwaltung geht der Schwund nicht spurlos vorüber. Tom Lecke-Lopatta, Mitarbeiter im Referat für Stadtentwicklung, sagt: „Wenn die Stadt langfristig wirtschaftlich gut da stehen will, ist sie auf junge Menschen angewiesen.“ Bremen hat seine Hochschulen ausgebaut. Es haben sich ein paar Technologieunternehmen angesiedelt. Doch Lecke-Lopatta ist überzeugt, dass man sich darauf nicht ausruhen könne. „Langfristig profitieren wir davon, wenn wir eine vitale, urbane, kreative Szene haben.“ Was aber braucht eine solche Szene? Leerstehende Gebäude und brach liegende Flächen, lautet die Antwort nicht nur in Bremen. Ursprünglich wurde die Idee der Zwischennutzung aus der Not geboren. In Ostdeutschland waren nach der Wende ganze Industriegebiete leergestanden. Deshalb brachten die Städte dort die häufig mittellosen Kreativen mit den Gebäuden zusammen. Wenn die einziehen, so die Kalkulation, wird der völlige Verfall verhindert und es besteht die Chance, dass ein Areal wieder an Attraktivität gewinnt. Besonders erfolgreich war Leipzig mit dem Ansatz: Dort gibt es mit den Wächterhäusern und der Alten Spinnerei inzwischen bekannte Beispiele für Um- und Zwischennutzung. Doch auch im Westen hinterlässt der wirtschaftliche Wandel Spuren. In Wuppertal wurde 2007 die erste westdeutsche Zwischennutzungsagentur gegründet. Die Konkurrenz durch große Shoppingcenter und Discounter hatte vor allem in den Gründerzeitvierteln viele Einzelhändler zur Aufgabe ihrer Geschäfte gezwungen. Es drohten sich Geisterstadtteile zu entwickeln. Also stellte die Stadt jungen Kreativen Ladenlokale zur Verfügung, um Leben in die Viertel zu bringen. Vergangenes Jahr hat nun die Bremer Verwaltung zum ersten Mal in Deutschland eine stadtweit zuständige Zwischennutzungsagentur ausgeschrieben. Sie soll für leerstehende Gebäude nach vorübergehenden Nutzern suchen. Den Zuschlag bekamen Architekt Daniel Schnier, 33, und Stadtplaner Oliver Hasemann, 35, vom „Autonomen Architektur Atelier“. Die beiden sind selbst Zwischennutzer in ihrem kleinen Büro in der Zollabfertigung der ehemaligen Bremischen Überseehäfen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Daniel Schnier, links, und Oliver Hasemann vor ihrem Büro. Daniel und Oliver beschäftigen sich schon lange mit Stadtplanung. Beinahe monatlich laden sie die Bremer zu urbanen Spaziergängen ein. Die führen durch Wohn- und Gewerbequartiere und vergessene Winkel. „Wir wollen ein Bewusstsein für die Stadt schaffen. Die Bewohner sollen sehen, was passiert und darüber diskutieren“, sagt Daniel. Er will Stadtentwicklung nicht allein der Regierung überlassen, denn die opfert neuen Gewerbegebieten und Verkehrsadern häufig alte Bausubstanz. „Das Ergebnis ist, dass es überall beleuchtete Wiesen gibt. Ständig werden neue Gewerbegebiete gebaut, während die bestehenden leer stehen.“ Am liebsten regt er sich über das Schicksal des Überseehafens auf: 1998 hatte die Stadt das Hafenbecken zugeschüttet und den Großmarkt darauf errichtet. „So ein Blödsinn“, schimpft der Architekt. Seiner Meinung nach wäre das Hafenbecken sehr attraktiv gewesen, denn zahlreiche andere europäische Städte, darunter Rotterdam und Lissabon, hätten in den vergangenen dreißig Jahren gezeigt, wie man diese Areale kreativ entwickeln könne. In der Stadtverwaltung sagt Tom Lecke-Lopatta: „Wir wollten keine klassische Agentur, die nur die Stadtpolitik weiterverfolgt. Wir wollen, dass die kreative Szene das selbst organisiert.“ Für die ZwischenZeitZentrale haben sich Daniel und Oliver noch Michael Ziehl und Sarah Oßwald ins Boot geholt, zwei weitere erfahrene Zwischennutzer. Jetzt teilen sie die anderthalb Planstellen durch vier. Weil Daniel inzwischen zweifacher Vater ist, braucht er nun einen Nebenjob als Kurator in einem Veranstaltungszentrum, um über die Runden zu kommen. Er arbeitet rund 72 Stunden in der Woche. „Ich wollte etwas Eigenes aufmachen und konnte mir nicht vorstellen, in so einem Großraumbüro zu versauern.“ Daniel will Arbeit und Leben zusammenbringen. Ein Ziel das viele Kreativunternehmer verfolgen. Bremen geht es mit der Zwischennutzungsagentur dagegen um übergeordnete Ziele. Tom Lecke-Lopatta wünscht sich eine junge Stadt. Die Zwischennutzungen sollen die Attraktivität Bremens erhöhen. Das sieht Michael Ziehl von der ZwischenZeitZentrale kritisch: Gesteigertes Ansehen könne zu höheren Mieten und Grundstückspreisen führen, was man am Beispiel Prenzlauer Berg gut sehe. Michael und die Zwischennutzer des Projekts Neuland kamen bei einer Diskussionsrunde zu diesem Schluss: „Wir waren uns einig, dass wir nicht die Marke Bremen stärken wollen. Wir wollen Orte, die den Leuten als Ressource dienen können und so helfen unsere Lebensbedingungen und Lebensqualität hier zu verbessern.“ Das Dilemma in Bremen ist das gleiche wie überall: Die Kreativwirtschaftler bringen Leben an abgestorbene Orte und machen sie wieder attraktiv. Das freut die Stadtentwickler, ist aber wiederum gefährlich für die Kreativen: Ihre Existenz ist dann doch wieder bedroht, wenn neue Investoren mit mehr Geld bei der Stadt vorstellig werden. Vielleicht reden die Kommunen deshalb so gerne von Zwischen- und nicht von Dauernutzung.

Text: clemens-haug - Foto: Cathrin Eisenstein

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