Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Tätowiernadel statt Werbeagentur

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Moni wollte nach ihrem Abitur eigentlich Kunst studieren, hat sich dann aber zunächst für ein Praktikum entschieden. Bis heute ist ihre Bewerbungsmappe für die Akademie der Bildenden Künste nicht fertig geworden. Denn die 27-Jährige hat ihren Traumberuf bereits gefunden: Sie ist Tätowiererin. Eigentlich bin ich eher zufällig zum Tätowieren gekommen. Nach meinem Praktikum in der Grafikabteilung einer Werbeagentur habe ich schnell gemerkt, dass mir die Arbeit am Computer nicht reicht. Deshalb wollte ich etwas machen, das meiner Meinung nach locker und lustig ist, wo man ein bisschen was erlebt. Ich musste dann an einen Freund denken, der mich schon früher einmal gefragt hat: Warum tätowierst du eigentlich nicht?

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mit meiner Zeichenmappe unter dem Arm bin ich losgezogen und habe mich bei verschiedenen Tattoostudios vorgestellt. Die beiden Jungs von „Wild at Heart“ waren sofort einverstanden, denn sie haben durch meine Mappe gemerkt, dass bei mir zeichnerisches Talent vorhanden ist. Nachdem es auch menschlich zwischen uns sehr gut funktioniert hat, habe ich sofort mit meinem Praktikum angefangen. Nach ein paar Tagen war ich total angesteckt, weil ich das einfach klasse fand, wie meine Kollegen hier arbeiten und ich war fasziniert, was eigentlich alles auf der Haut möglich ist. Denn hier werden Tattoos nach Wunsch gestochen, die speziell auf die Person zugeschnitten werden. Das hat mir gefallen und so ist aus meinem Praktikum eine Lehre geworden. Nichts für Zartbesaitete Ein Jahr lang habe ich nur zugeschaut und gezeichnet, Entwürfe angefertigt oder Schablonen vorbereitet, die man vor dem Tätowieren auf die Haut drückt. Ich musste aber auch Kunden verpacken, denn das Tattoo wird nach dem Stechen mit einer Frischhaltefolie abgedeckt, um es vor Schmutz zu schützen. So bin ich, auch im Umgang mit den Kunden, immer geübter geworden. Mein erstes Opfer war ich selber – ich habe mir ein Blumenmotiv am Fuß gestochen. Danach kamen viele Freunde und Bekannte dran, die auch heute noch mit mir befreundet sind. Später habe ich mit freiwilligen Modellen gearbeitet, die nur die Materialkosten zahlen mussten. Die Kunden wussten natürlich Bescheid, dass ich noch nicht soviel Erfahrung habe, aber ich konnte sie immer durch meine Zeichnungen überzeugen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Man muss schon Mut haben, um dann irgendwann einfach ernst zu machen und sich an das lebende Objekt zu wagen. Für Zartbesaitete ist das natürlich der falsche Beruf. Auch meine Eltern waren zuerst nicht so richtig begeistert, aber mittlerweile haben sie sich damit arrangiert. Beide sind heute froh, dass ich einen Job gefunden habe, der mir Spaß macht, mit dem ich Geld verdienen kann. Meine Mutter hat sogar ihrer besten Freundin zum sechzigsten Geburtstag einen Gutschein für eine Tätowierung bei mir geschenkt. Tätowieren ist für mich eine Form von Kunst auf der Haut. Man ist zwar Handwerker, aber es gibt Tattoos, die sehr künstlerisch sind. Natürlich nicht jedes chinesische Schriftzeichen, aber wenn es um Bilder geht, ist das für mich Kunst. Der Malerei habe ich nie ganz den Rücken gekehrt. Es ist für mich keine endgültige Entscheidung, als Tätowiererin zu arbeiten, eher ein vorläufiger Lebensentwurf, der mir eine sichere Grundlage bietet. Wenn ich ein Einkommen habe, kann ich in meiner Kunst freier sein. Das Tätowieren ist nicht nur ein Brotberuf, der Spaß macht. Ich könnte mir vorstellen, das bis zur Rente zu machen. Tätowieren ist tatsächlich mein Traumberuf. Stil dauert Sicherlich werde ich mich noch an der Akademie bewerben, doch ich denke, man muss etwas reifer dafür sein. Frisch von der Schule fühlte ich mich einfach zu jung und war weniger reflektiert als heute. Auf jeden Fall kann mir so ein Studium neue Perspektiven zeigen und Möglichkeiten eröffnen. Auf der Leinwand habe ich einfach mehr Raum zu experimentieren, diese Möglichkeit habe ich auf der Haut nicht.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich tätowiere jetzt seit fünf Jahren, das hört sich lange an, aber in so einem Tätowiererleben ist das gerade mal die Anfangsstufe. Mit der Zeit werden natürlich Vorlieben immer deutlicher, aber ich würde nicht sagen, dass ich schon einen ausgereiften Stil habe. Das wird sicher noch ein paar Jahre dauern. Natürlich war ich schon tätowiert, bevor ich selbst angefangen habe und seitdem werden es immer mehr. Am Unterarm habe ich eine Tattoomaschine, ganz viele Magnolienblüten und einen Schmetterling in der Armbeuge. Das Ganze wird von einem schwarzgrauen Hintergrund abgerundet. So passiert mir es eigentlich ständig, dass Leute auf mich zukommen und sagen: Hey, tolles Tattoo, wo hast du das machen lassen?

Text: franzi-schoenenberger - Foto: Franziska Schoenenberger

  • teilen
  • schließen