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„Träume sind ein wahnsinniges Kapital“

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Unsere Autorin kennt Antú Romero Nunes noch von früher: Die beiden besuchten dasselbe Gymnasium. Antú, erinnert sie sich, wurde angehimmelt, weil er in den Stücken der Theater AG die Hauptrollen spielte. Heute ist Antú 26 und gilt als großes Regietalent. War es zwangsläufig, dass er nach der Schule ans Theater ging? jetzt.de: Antú, der KulturSpiegel lobt dich als „Senkrechtstarter“, weil du es mit deiner Diplom-Inszenierung „Der Geisterseher“ als Absolvent der Berliner Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst zum renommierten „Radikal jung“-Theatertreffen nach München geschafft hast. Ich habe dich das letzte Mal vor zehn Jahren auf der Workshop-Bühne unseres Tübinger Gymnasiums gesehen. Du warst der umschwärmte Hauptdarsteller und eine Schulberühmtheit. War dir das damals bewusst? Antú Romero Nunes: Das war mir schon bewusst. So richtig genossen habe ich die Auftritte auf der Bühne allerdings nie. Mir war das manchmal direkt peinlich. Zieh dir mal als 16-Jähriger vor 900 Zuschauern dein T-Shirt aus. Ich hatte immer Angst, dass mich die Leute gleich laut auslachen. Ich war ja auch nie der talentierteste Schauspieler. jetzt.de: Das ist mir natürlich nicht aufgefallen. Ich fand dich toll. Antú: Klar. Bei Schultheatern finden immer alle alles toll. Dieser Rummel um die Person des Schauspielers war mir irgendwann echt unangenehm. Vielleicht bin ich auch deshalb recht schnell zur Regie gewechselt und war in der Oberstufe Leiter der Theater-AG. Mit der Regie ist es wie mit einem wilden Tier. Erst ist es klein, man füttert es, damit es groß wird und plötzlich entsteht eine Bestie daraus. jetzt.de: Du hast dann auch lieber eigene Stücke geschrieben statt aufs Abitur zu lernen. Stand dein Entschluss damals schon fest, dein Leben dem Theater zu widmen? Antú: Irgendwie schon. Meine Eltern und die Lehrer waren natürlich hell entsetzt. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass meine Liebe zum Theater irgendwie Zukunft haben könnte. Viele Kumpels aus Theater-AG Zeiten haben nach der Schule total schnell gesagt: „Das war ein Hobby und mit dem ist jetzt zwangsweise Schluss, weil ich einen Beruf erlerne.“ Man muss doch aber eine Arbeit finden, die einem Spaß macht im Leben. Und da fiel mir nie etwas anderes ein als Theater. Nach dem Abitur habe ich bei Daimler am Fließband Geld verdient und bin davon rumgereist. Ich weiß noch, dass sich viele Leute total gewundert haben, als ich ein Jahr später die Zusage von der Ernst Busch Schule in der Tasche hatte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Herr Nunes jetzt.de: Die Aufnahme an eine der besten Schauspielschulen Deutschlands gleich im ersten Versuch zu schaffen ist ja auch eher außergewöhnlich. Antú: Das fand ich gar nicht. Für mich war die Chance auf eine Aufnahme als Regie-Student an die Ernst Busch realistischer als die Chance auf einen Studienplatz. Mit meinem Abischnitt wäre ich doch auch nirgendwo rein gekommen. jetzt.de: Hat es dir dort gefallen? Antú: Es war, freundlich ausgedrückt, echt scheiße. Die Lebenszeit dort ist natürlich gut in die Karriere investiert, aber Spaß gemacht haben mir die vier Jahre nicht. Die konnten dort einfach nix mit mir anfangen. Mir wurde zwei Mal nahegelegt, die Schule freiwillig zu verlassen. Die haben mich richtig vor der Öffentlichkeit versteckt. Ich durfte nicht mit auf Festivals fahren, meine Regiearbeiten wurden auf der schuleigenen Bühne sofort wieder abgesetzt. Irgendwann hatte ich die Lust und den Spaß am Theater total verloren. jetzt.de: Und dann? Antú: Dann habe ich eine Auszeit genommen und bin mit zwei Freunden nach Portugal gefahren. Eine Woche Wein, Fisch und Ideen. Ich bin wohl vor allem nicht mit dem Druck klargekommen, der an der Schule herrscht. Ich fand es wahnsinnig schwer, mir treu zu bleiben. Man darf nicht versuchen, gut zu sein, sondern man muss versuchen, seine Geschichte zu erzählen. jetzt.de: Wie bist du aus diesem Tief rausgekommen? Antú: Ich hatte Glück, dass ich einen Mentor getroffen habe: Jan Bosse. Er war der erste und einzige Dozent an der Schule, der meine Ideen gut fand. Durch ihn habe ich die Freude am Theater wiedergefunden. Über ihn kam dann auch meine Diplominszenierung am Maxim Gorki Theater zustande, die diese Woche bei „Radikal jung“ läuft. Aber auch das hat die Ernst Busch Schule anfangs zu verhindern versucht, weil sie meinten, dass ich den Erfolg nicht verdiene. jetzt.de: Folgt man dem Dramaturg des Münchner Volkstheaters, dann gehörst du zu den größten Regie-Talenten, die es momentan in Deutschland gibt. Fühlst du dich in dieser Rolle wohl? Antú: Wir tun die ganze Zeit so als wäre ich irgendwo angekommen. Dabei bin ich doch immer noch total auf der Suche. Ich weiß nicht. Ich versuche da nicht drüber nachzudenken. Klar ist es schön, wenn plötzlich Leute an einen glauben. Wenn man unter den Bedingungen arbeitet, die man sich aussuchen kann. Aber wie viele Leute sind schon gehyped worden und dann wieder von der Bildfläche verschwunden? jetzt.de: Nach welchen Kriterien wählst du denn die richtigen Stücke aus? Welche Themen interessieren dich? Antú: Wenn die Frage, die hinter dem Stück steht, gut ist, fange ich Feuer. Ich kann als 26-Jähriger niemandem die Welt erklären. Ich will keine Missstände anprangern. Wir leben hier schließlich in einer Wohlstandsgesellschaft. Ich kann die Leute nur zum Denken bringen, indem ich Widersprüche aufzeige. Die Leute sollen aus meinen Stücken gehen, Gedanken in ihrem Kopf drehen und wenden und dann darüber sprechen. jetzt.de: Es gibt vielleicht an jeder Schule so etwas wie eine Entsprechung zu dir – einen Schüler, der unbedingt am Theater berühmt werden will. Trotzdem schaffen es am Ende nur die wenigsten. Hast du einfach Glück gehabt? Wie erklärst du dir deinen Erfolg? Antú: Dran bleiben. Das ist das Ding. Talent ist Interesse. In der Schule haben mich viele insgeheim als Träumer abgestempelt, dabei sind Träume doch ein wahnsinniges Kapital, das man hat. Allerdings darf man auch nicht ständig davon phantasieren, in die A-Liga zu rutschen. Man muss Theater machen, weil man es gerne macht. Weil man Spaß dran hat. An Karriere darf man beim Arbeiten nie denken. jetzt.de: Führst du nun das Leben, das du dir damals in der Schule erträumt hast? Antú: Im Moment macht es mir tierisch Spaß, ja. Ich finds saugeil. Es ist der totale Wahnsinn, dass ich mit dem, was mir Spaß macht, meinen Lebensunterhalt verdienen kann.

Text: anna-kistner - Foto: Christian Doppelgatz

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