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Ungewisse Kulisse

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Wo lernt man besser Theater spielen – in einem frisch renovierten Altbau in der Münchner Innenstadt oder in maroden Produktionshallen am Stadtrand? Sieben Jahre lang war die Otto-Falckenberg-Schule in einem Provisorium am Leonrodplatz untergebracht. Seit gestern findet der größte Teil des Unterrichts wieder in der Hildegardstraße statt, direkt neben den Kammerspielen. Doch die meisten Schauspielschüler trauern tropfenden Decken und bröckelnden Wänden nach.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Lucy Wirth, 21, Schauspielschülerin Als ich aus Zürich zur Aufnahmeprüfung herkam, war ich leicht schockiert: Ich hätte nicht erwartet, dass diese weltbekannte Schule in so einem trostlosen Industrie-Ghetto liegt. Inzwischen habe ich den Ort aber sehr liebgewonnen. Die Gegend fühlt sich irgendwie normaler und echter an als die Innenstadt, wo alles so geschniegelt ist: Ganz in der Nähe ist ein Asylbewerberheim, rundum sind vielbefahrene Straßen und in dem Gebäude war früher sogar mal ein Gefängnis. Ich habe dort gelernt, dass Theater einfach da ist, wo Menschen Theater spielen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mark Solf, 23 Jahre, Schauspielschüler Morgens machen wir immer Körpertraining: Gymnastik, Dehnübungen und Yoga. Im alten Gebäude habe ich dabei immer die Schimmel-Muster an der Decke angeschaut. Zu manchen Mustern hatte ich schon ein richtig persönliches Verhältnis. Auch wenn es einem bei Regen manchmal auf den Kopf tropfte, vermisse den alten Bau schon jetzt. Alles ist dort so schön marode, man kann einfach nichts mehr kaputt machen. Einmal, als ich eine Liebesszene üben wollte, war weit und breit kein Mädchen da, das sich von mir anspielen lassen wollte. Ich habe dann einfach Farbe genommen, die irgendwo rumstand, und eine Frau auf die Wand gemalt, und dann habe ich halt der Wand meine Liebe erklärt. In dem frisch renovierten Bau in der Hildegardstraße ist sowas natürlich unvorstellbar.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Melanie Witteborg, 25, Schauspielschülerin Ich halte das ganze Nostalgie-Gerede für übertrieben, der Umzug hat viele Vorteile: In dem neuen Gebäude in der Stadt sind wir endlich richtig an die Kammerspiele angebunden. Wir treffen erfahrene Schauspieler in der Kantine, können sie ausfragen und Kontakte knüpfen. Ich finde, das ist für unseren Beruf mehr wert als der schönste Schimmelfleck. Ich war auch gerne in den alten Räumen, aber ich verstehe nicht, was dagegen einzuwenden ist, dass das Licht in dem neuen Bau nicht andauernd ausfällt, die Heizung funktioniert und man in fünf Minuten zum Marienplatz laufen kann. Hätte schlimmer kommen können, oder?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Felix Mühlen, 25, Schauspielschüler Ich habe mich bei verschiedenen Schauspielschulen in Deutschland beworben und seitdem weiß ich: je besser der Ruf der Schule, desto hässlicher das Gebäude. Zum Beispiel die Ernst-Busch-Schule in Berlin, auch die ist alles andere als schön. Aber vielleicht sollte das Gebäude einer Schauspielschule auch gar nicht schön sein – sondern so, dass man sich traut, eine Bierflasche an die Wand zu schmettern, wenn es zu der Szene passt, die man gerade spielt. Insofern müsste man sich wegen der schicken neuen Räume vielleicht Sorgen um die Qualität unserer Ausbildung machen. Obwohl, ich bin mir ziemlich sicher, dass die Wände dort in einem Jahr so ähnlich aussehen wie am Leonrodplatz. Wir Schüler bleiben ja dieselben: ausschweifend, rücksichtslos und wild.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ramin Anarahi, 26, Regieschüler Vor allem uns Regiestudenten haben die Räume am Leonrodplatz ständig neue Prüfungen auferlegt. Wir arbeiteten in Hallen, die fürs Theater eigentlich völlig ungeeignet sind: Überall stehen Säulen im Bild, manchmal ist mitten auf der Bühne ein Wasserhahn, und die Steckdosen sind auch immer genau da, wo man sie nicht brauchen kann. Deshalb hat alles, was hier inszeniert wird, einen Touch von Notlösung. Aber ich mag das: Es schützt uns vor Überheblichkeit und bewahrt davor, mit falscher Professionalität unsere Schwächen zu überdecken. Es gibt Schulen, die sehr viel besser ausgerüstet sind, aber ich glaube, dass ein perfektes Bühnenbild, tolle Kostüme und diese ganze Lichttechnik nur vom Eigentlichen ablenken. Ich hätte auf den Umzug gern verzichtet. Florian Stetter, 29, Absolvent der Falckenbergschule (zuletzt zu sehen als Christoph Probst in „Sophie Scholl – die letzten Tage“) Vielleicht zeige ich in ein paar Jahren meinen Kindern das Gelände am Leonrodplatz und erkläre ihnen, dass dort für mich zwei große Lieben begonnen haben: Die zu meiner Frau und die zur Schauspielerei. Die Zeit an der Schule war sehr emotional: Wir feierten wilde Feste und glaubten andauernd, die Liebe unseres Lebens gefunden zu haben. Wenn die dann nach vier Tagen wieder vorbei war, versanken wir in tiefer Depression - bis zum nächsten Fest, bis zur nächsten ewigen Liebe. Und manchmal war es wie in der Villa-Kunterbunt: Wir kletterten auf das Dach einer alten Produktionshalle und sonnten uns dort, kochten in der kleinen Schulküche große Essen und schauten aus dem obersten Stock des Hauptgebäudes auf den Lichterstrom der Dachauer Straße. Wenn die Falckenberg-Schule jetzt wieder in die Hildgardstraße zieht, dann wird sie nicht mehr wirklich „meine Schule“ sein. Aber gut möglich, dass es für die Schüler besser ist, wieder näher an der Theater-Wirklichkeit zu sein. Ich jedenfalls hatte am Ende meiner Ausbildung teilweise zu romantische Vorstellungen davon, wie es am Theater zugeht.

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