Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Unterwegs mit der eigenen Bude: Laura und ihr Schaustellerleben

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Laura ist pünktlich, wie immer. Es hat Minusgrade, doch sie ist bestens vorbereitet – Fleecejacke, Rollkragenpullover, Winterstiefel. Sie hat bereits die Rollos hochgezogen, den Tresen abgewischt und die Getränke angerichtet. Das Klirren von Geschirr durchbricht die Ruhe, es riecht nach frisch geröstetem Kaffee. Um 10.30 Uhr biegt der Gas-Transporter ein: Laura bestellt zwei Flaschen. Das reicht für den ganzen Tag, weiß sie. Auch bei dieser Kälte. Laura ist Schaustellerin auf dem Christkindlmarkt am Rosenheimer Platz. Die 20-Jährige arbeitet im Imbissstand ihrer Eltern, in der „Pfanne“ – und trägt die Verantwortung für das Geschäft, vom Einkauf bis zur Vermarktung. Den Stand haben ihre Eltern gebaut: innen zwei riesige Wok-Pfannen und eine kleine Küchennische, außen weiß angestrichenes Holz, geschmückt mit geschwungenen, bunten Schriftzügen und Jahrmarktkitsch. Zu Essen gibt es immer dasselbe: Champignon-Gemüsepfanne, Schmankerlpfanne mit Schwein und chinesische Bratnudeln mit Gemüse. Laura ist das gesamte Jahr übermit diesem Menü unterwegs – auf Rummelplätzen, Jahrmärkten und Volksfesten. Wenn sie mit ihrer „Pfanne“ fernab ihrer Dachauer Heimat unterwegs ist, lebt sie in einem Wohnwagen. Wahlheimat Wohnwagen Laura stammt aus einer echten Schaustellerfamilie: Schon mit vier Jahren tobte sie auf Rummelplätzen, auf denen ihre Eltern ausstellten. Mit elf Jahren half sie der Großmutter hinter der Kasse ihres Fahrgeschäftes, eines Riesenrads. Das turbulente Schaustellerleben ihrer Eltern hatte Konsequenzen für ihre Schullaufbahn: In der sechsten Klasse wechselte sie auf eigenen Wunsch hin auf ein katholisches Internat. Sie wollte nicht von Schule zu Schule ziehen, wie viele Schaustellerkinder. Auf Drängen ihrer Mutter absolvierte sie mit 17 Jahren eine Ausbildung zur Kinderpflegerin – zur Sicherheit, falls es mit der Schaustellerei nichts werden sollte.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Dieses Jahr läuft das Geschäft viel besser als letztes Jahr“, weiß sie zu berichten. „Das liegt am Wetter.“ Laura erzählt laut und gerne. Die einzelnen Arbeitsschritte des Kochens am Stand laufen beiläufig und routiniert ab: Nudeln in den großen Wok, Gemüse, Sojasprossen, Salz, Pfeffer, Öl und ihre spezielle Gewürzmischung dazu – fertig. Jeder Handgriff sitzt. Die Nudeln sind ihr am lästigsten, da sie schnell austrocknen und deswegen ihre gesamte Aufmerksamkeit verlangen. Laura konzentriert sich viel lieber auf ihre Umgebung, die Menschen, die Gespräche rundherum – das ganze Leben, das auf einem Christkindlmarkt herrscht. Sie versteht sich in ihrem Beruf auch als Unterhalterin. Sie berichtet dann gerne von spannenden Erlebnissen aus ihrem Leben. Wie sie damals als Kind mit einer Freundin auf einer Nordseeinsel Urlaub machte und der Tierpfleger eines Zirkus die beiden Mädchen bat, für kurze Zeit auf ein Kamel aufzupassen. Die Mädchen passten auf – aber nicht zu sehr: Das Kamel ergriff die Flucht. Stundenlang musste Laura gemeinsam mit ihrer Freundin nach dem entflohenen Tier suchen, ehe die beiden es in der Nähe des Zirkuszeltes wieder einfangen konnten. Schausteller kannst du nicht lernen, sagt Laura. Warum? Weiter geht es auf der nächsten Seite.


Auf ihre Herkunft ist Laura stolz: Die Josts sind eine echte Schaustellerfamilie – das verpflichtet. „Schausteller kannst du nicht lernen“, sagt sie. „Das bist du.“ Erfolge sind für sie zufriedene Kunden und gute Gespräche. Der Kontakt mit Schaustellerkollegen ist ihr wichtig. Manchmal geht sie mit ihnen nach der Arbeit etwas trinken, am liebsten Bier. Aber über die Arbeit spricht sie mit Kollegen nie. Das macht man nicht. Ohnehin ist der Konkurrenzkampf hart, Erfolgsrezepte sind unter Schaustellern heiß begehrt. Viele hätten schon probiert, die Speisen der „Pfanne“ nachzuahmen, sagt sie, geschafft habe es aber bislang keiner.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Leben auf den Rummelplätzen hat sie furchtlos gemacht: Aufdringlichen Gästen begegnet sie schon einmal mit einem Eimer Wasser. Sie kann Menschen aber auch nur mit Blicken Respekt einflößen: „Das ist wichtig in diesem Beruf.“ An ihrer Kochkunst hat sie keinen Zweifel: „Ich weiß, dass es schmeckt, und es beschwert sich auch kaum einer.“ Laura macht während der Arbeit kaum Pausen, telefoniert nicht einmal mit dem Handy. Privates und Geschäftliches trennt sie komplett: In der „Pfanne“ finden sich keine persönlichen Gegenstände, nicht einmal ein Foto hängt an der Wand. Das blinde Gefühl für Zeit Ohne Ehrgeiz und Disziplin kann sie ihren Betrieb nicht am Laufen halten. Diese Werte hätten sie in der Zeit auf dem Internat geprägt, sagt sie. Pünktlichkeit lernte Laura schon in ihrer Kindheit zu schätzen. Als Vierjährige musste sie sich, wenn sie auf dem Rummelplatz spielen wollte, einmal pro Stunde bei ihrer Mutter melden, zu einer festgesetzten Zeit. Erschien sie zu spät, wurden ihr sämtliche Privilegien gestrichen. Deswegen hat sie noch heute ein blindes Gefühl für die Zeit: Sie müsse nie auf die Uhr schauen, sagt sie, fühle sich auch nie „nie unter Zeitdruck.“ In ihrer Freizeit arbeitet Laura gerne auf anderen Rummelplätzen, da ihr daheim sonst die Decke auf den Kopf fällt. Mit einer Beziehung hat sie so ihre Probleme, vor allem gleichaltrige Jungs sind ihr zu lasch. Sie fühlt sich zu Männern hingezogen, die wissen, was sie wollen, sagt sie, die „mit beiden Beinen im Leben stehen.“ Auf ihre eigene Unabhängigkeit ist sie stolz: Den Wohnwagen, mit dem sie im Sommer von Jahrmarkt zu Jahrmarkt zieht, hat sie von ihrem eigenen Geld gekauft. Es ist eine Sonderanfertigung, wie sie für Schausteller gebaut werden: weniger ein Wohnwagen als ein wirkliches Zuhause auf Rädern – komplett mit Dusche, eingebautem Fernseher und Platz für ihren Hund. Jetzt, während des Winters, wenn sie auf dem Christkindlmarkt am Rosenheimer Platz in Haidhausen arbeitet, fährt sie jeden Tag von ihrem Zuhause in Dachau zur Arbeit und wieder zurück. Bis zum Heiligen Abend wird das so gehen: Der 24. Dezember ist Lauras letzter Tag auf dem Christkindlmarkt. Sie weiß schon jetzt, wann sie ihre „Pfanne“ schließen wird – spätestens um 15 Uhr. Dann ist auch für Laura Weihnachten. Im Moment spart sie Geld, um in naher Zukunft einen eigenen Imbissstand zu eröffnen – wie die Nudelpfanne, vielleicht mit ein, zwei Spezialitäten mehr. Schulden möchte sie nicht aufnehmen. Sie ist stolz darauf, nur Geld auszugeben, das sie bar in der Tasche hat. Bis sie ihren eigenen Schaustellerstand hat, möchte sie die Zeit als Angestellte bei ihren Eltern genießen. Sie hat unterwegs und auf den Volksfesten ausreichende Rückzugsmöglichkeiten in ihrem eigenen Wohnwagen. Eigentlich kann Laura sich keinen anderen Beruf als den des Schaustellers vorstellen. Sollte sie durch äußere Umstände dazu gezwungen werden, diesen Beruf aufzugeben, bliebe ihr noch ein Traum, sagt sie – Komikerin werden. Es sei so schön, Menschen zum Lachen zu bringen.

Text: sascha-chaimowicz - Fotos: Dana Brüller

  • teilen
  • schließen