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Verbotene Liebe im Libanon

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Ranas Lippen suchen Rayans Mund. Rayan, der ein ganzes Stück größer ist als Rana, neigt seinen Kopf und küsst sie auf die Wange. Dann dreht er das Gesicht und sieht Rana in die Augen - küsst sie direkt auf den Mund. Der Menschenstrom, in dem Rana und Rayan stehen, fließt weiter. Unbeeindruckt. Niemand guckt, keiner fragt. Ein Kuss. Rana kramt einen Stapel Flyer aus einem Karton. "Für ein Zusammenleben ohne Trauschein!", "Für zivile Ehe!" steht auf den Flyern. Mensazeit, Stoßzeit für den Wahlkampf an der "Amerikanischen Universität" von Beirut. Ein Riesengebäude in gehauchtem Rosa, Palmenalleen, liebevoll geschorene Rasenflächen. Beverly Hills im Nahen Osten. "More! More! More!", klatscht eine Studentenmeute vor einer Steintribüne. Eine Coverband mit libanesischen Studenten spielt Oasis.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Fotos: Merlin Nadj Torma Der Libanon gilt als das westlichste der arabischen Länder. Viele libanesische Frauen sind berufstätig. Vielerorts, wie hier an der Uni, ist die Liebe frei. Und dann ist da noch Beiruts tabuloses Nachtleben. Dort gibt es unverheiratete Pärchen, One-night-stands, Homosexuelle, Transvestiten. "Warum stehen wir hier eigentlich? Wir gewinnen ohnehin", sagt Rana, eine 22-jährige Studentin. , zierlich, mit kratziger Stimme. Ihr Freund Rayan kneift ihr in die Hüften, sie kichert. Rana und Rayan werben für "No frontiers, keine Grenzen" - damit sind die Religionsgrenzen gemeint, die den Libanon zerteilen. Das Konzert ist zuende, die Band stöpselt die Verstärker aus. Muezzin-Gesang wird leise hörbar, dazu Hupen und Schreie - orientalisches Straßenchaos, das vor den Campusmauern herrscht. Wir sind ein ungewöhnliches Liebespaar!", sagt Rana. Offiziell gehört sie den Maroniten an, einer christlichen Kirche. Ihr Freund Rayan ist Schiit. Eine Maronitin, die mit einem Schiiten geht? Ein verbotenes Pärchen im Libanon. Es sind harte Bedingungen für die Liebe: Ein ganzes Land muss aufpassen, dass es sich nicht in den Falschen verguckt. Eine Liebesbeziehung, in der sich unterschiedliche Religionen mischen, gilt als verpönt. Eine Einschränkung, die Verwicklungen garantiert - denn im Libanon leben 18 verschiedene Religionsgemeinschaften. Ehen zwischen den Konfessionen sind sogar verboten. Unehelicher Sex gilt als schmutzig, dass man ohne Trauschein zusammenwohnt wird nicht geduldet. Je weiter man sich von der Hauptstadt Beirut entfernt, desto mehr dominieren die Vorurteile. "Wenn ich nachhause komme, in den Südlibanon, gibt es da keine Christen", erzählt Rayan, Mitte zwanzig, athletische Figur, Dreitagebart. "Angenommen, ich komme aus einer traditionellen schiitischen Familie aus dem Süden und ich erzähle meiner Mutter, dass ich mit einer Christin zusammen bin. 'Aha? Und wie willst du heiraten?'" Ein Zungenkuss zwischen Rayan und Rana im schiitischen Süden? Das wäre ein folgenschwerer Spaß. Der Religion aus dem Weg gehen - das ist möglich im Libanon. Aber in der Familie, in der Nachbarschaft, im Job ist die Gretchen-Frage nach der Konfession meist entscheidend. "Hey you guys, was macht ihr so?", fragt ein Student, der die Flyer in Ranas Hand gesehen hat. "Wir engagieren uns für Demokratie und Menschenrechte. Dieses Semester haben wir die Filme "Requiem for a Dream" und "Bowling for Columbine" gezeigt, mit anschließender Diskussion", erzählt Rana. "Cool", grinst der Interessierte. Was hält er von der zivilen Ehe? "Das wäre natürlich schön, wenn es das gäbe", antwortet er lakonisch. Dann geht er schulterzuckend weiter. Heiraten ohne Kirche oder Moschee - im Libanon bis dato bloß ein frommer Wunsch. Die Spuren des libanesischen Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 sitzen tief. Damals kämpften die Religionsgemeinschaften offen gegeneinander. Spannungen, die sich über Jahrzehnte aufgebaut hatten, kamen zum Ausbruch. Seit 1990 herrscht ein kalter Frieden. Die Religion ist weiter der Dreh- und Angelpunkt im Libanon. Doch die eigene Konfession wählt man nicht, man erbt sie von den Eltern. In welchem Stadtviertel man wohnt, welche Partei man wählt, bei welchem Jobangebot man reelle Chancen hat - alles hängt von der Glaubenszugehörigkeit ab. Ob man sich selbst als Atheist bezeichnet, wie Rana, spielt dabei keine Rolle. "Ich glaube an einen Wechsel", gibt sich Rana kämpferisch. Sie investiert mehr Zeit für die Partei als für das Studium. Sie hat bereits für den "Daily Star" geschrieben, eine angesehene Tageszeitung in Beirut. "Die eigene Heimat", sagt sie " ist wie ein Kindheitsfreund. So intensiv ist es später mit niemandem mehr. Man lässt sie nicht im Stich." Ranas Partei "No frontiers" wird bei den Uniwahlen zu den Gewinnern gehören. Die Partei ist beliebt. Ein liberales Leben nach westlichem Vorbild, wie die Partei es propagiert, gilt unter den Studenten als schick. Doch die amerikanische Universität, mit ihrem internationalen Flair, ist nicht der Libanon. 15 000 US-Dollar zahlt Rana für ihr Politologiestudium pro Jahr. Die Mehrheit der Libanesen ist arm. Die Schuhputzer, die vor dem Campuseingang darauf warten, die Schuhe der reichen Studenten auf Hochglanz zu bringen, verdienen zehn Dollar pro Tag - und müssen damit eine mehrköpfige Familie finanzieren. Die libanesische Wirtschaft hat sich seit dem Krieg nicht wieder erholt. Es gibt nur wenig Jobs. Das gilt selbst für Elite-Absolventen wie Rana. Wer kann, verlässt das Land: "In unserer Clique waren wir ursprünglich sieben Freunde", rechnet Rana vor. "Vier von uns arbeiten inzwischen im Ausland." Rana und Rayan schließen sich in die Arme, betäscheln einander. Die Mittagspause geht zuende. Rana hält ihre Nase an Rayans Wange. Rayans Lippen suchen Ranas Mund. Ihre Zungen finden sich.

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