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Verführen wie Dita von Teese

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Praktikant Larsi öffnet eine Flasche Sekt. „Für die Inspiration“, sagt Sandra, die an diesem Wochenende unterrichten wird, was sie sonst auf Kleinkunstbühnen in ganz Deutschland betreibt. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen von den Teaserettes, zeigt sie „New Burlesque“, erotischen Showtanz im Stil der Pin-up-Girls der Fünfziger Jahre. Wenn Sandra, 36, auf der Bühne steht, heißt sie „Froilein Sandy Beach“. Im wahren Leben ist sie Schauspielerin und an diesem Wochenende in Berlin ist sie Lehrerin. Teacherette statt Teaserette. Sandra hat sich eine schwarz gerahmte Sekretärinnenbrille auf die gepuderte Nase gesetzt. „Man muss sich schließlich Respekt verschaffen“, sagt sie und lacht. Dass die Brille keine Gläser hat, ist egal, weil es beim „New Burlesque“ genau darum geht: um überzeichnete Charaktere und deren Inszenierung. „New Burlesque“ kommt aus den USA, vor gut drei Jahren fingen die Teaserettes damit an, diese Showform in Deutschland zu beleben. Was sie zeigen, ist eine Reminiszenz ans Varieté der 1930er und 1940er Jahre; an eine Zeit, in der das Ausziehen eines Handschuhs noch Ausdruck höchster Erotik war, und in der das Publikum nicht erwartete, dass am Ende alle Hüllen fallen. Damals amüsierten die Damen auf der Bühne in Mieder und Rüschchenhöschen, vorher und nachher gab es Comedy- und Akrobatiknummern zu sehen. Die Retro-Striptease-Nummer zieht: Fast jedes Wochenende treten die Teaserettes irgendwo in Deutschland auf, kürzlich waren sie auf dem „Burlesque Festival“ in Helsinki. Es scheint, als habe sich das Publikum an nackten, perfekt modellierten Körpern langsam satt gesehen. Eine der vier Schülerinnen, die an diesem Wochenende lernen wollen, ein Showgirl zu sein, ist die 27-jährige Köchin Marlen. „Wie die Dietrich, nur ohne e“, stellt sie sich vor. Gemeinsam mit einer Tätowiererin, einer Kamerafrau und einer politischen Referentin hat sie sich für den Kurs angemeldet. Binnen 24 Stunden wollen die Vier zu Showgirls werden, wollen Straßenschuhe und Jeans gegen Pumps und Strumpfband tauschen. Am Sonntagabend muss die Metamorphose klappen. Dann kommt das Publikum. Doch noch ist es Samstag, früh am Tag, und die Luft in der Rockabilly-Bar riecht nach dem Rauch der letzten Nacht. Zeit, um Auftrittsideen zu besprechen und die Musik zu bestimmen. „Irgendwas mit Vampiren“ will Marlen auf der Bühne zeigen. Am Anfang ganz brav, dann der Exzess. Am besten mit Partner. „Den falle ich an und reiße ihm das Herz raus“, sagt Marlen. Lehrerin Sandra macht sich Notizen und nickt. Dann schaut sie zu Larsi, ihrem Praktikanten, der für die Teaserettes immer das ist, was gerade fehlt: Kellner, Putzfrau oder Bühnenrequisite. Seit er bei einer Show aushalf, ist er mit dabei. „Du wirst gebissen, Larsi“, sagt Sandra. „Du kannst so leidend schauen.“ Larsi lehnt an der Bar und lächelt gequält in seine Tasse Kaffee.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Dita von Teese (unten) ist die bekannteste Vertreterin des „New Burlesque“, einer Tanzform, bei der es unter anderem um „erotische Animation“, vor allem aber um gute Unterhaltung geht. Im Workshop in Berlin schminkt Lehrerin Sandra ihre Schülerin Marlen für den Auftritt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Während die anderen ihre Choreographie besprechen, probiert Marlen ihre Dessous, zieht ein rotes Höschen mit schwarzen Rüschen über die Strumpfhose und knotet den passenden BH im Rücken zu. Auf der Bühne stand Marlen noch nie. Deshalb ist sie hier. „Ich will einfach mal ein bisschen Aufmerksamkeit“, sagt sie. „Was fürs Selbstbewusstsein.“ In ihrem Job als Köchin arbeitet sie in einem Fitness- und Wellness-Club in Berlin-Charlottenburg. Dort geht es um die Wünsche der Kunden. Nicht um ihre. Als der zweite Sektkorken knallt, stehen die Rollen fest: Marlen wird die hungrige Vampirlady mimen und die Tätowiererin einen irren Clown. Die Kamerafrau verwandelt sich vom bettelnden Tramper zur Luxus-Mieze und die politische Referentin rettet als Stewardess im abstürzenden Flugzeug lieber ihr Kokain als die Gäste. Variationen eines einzigen Themas also: „Frauen flippen aus.“ Oder, wie die Stewardess in spe es nennt: „Aus den gewohnten Rollen ausbrechen.“ Deswegen sind sie hier. Eine Mahnung hat Sandra noch, bevor die Proben beginnen können: „Denkt daran, Mädels, ihr müsst Euch auch noch irgendwann ausziehen.“ Auch darum geht es bei dem Workshop: um das Wagnis, den eigenen Körper im Scheinwerferlicht der Bühne zu entblößen. Nicht ganz, wohlgemerkt, denn das unterscheidet „New Burlesque“ vom Striptease: Die Höschen bleiben an und die Brustwarzen sind mit bunten „Pastys“ bedeckt, mit „Nippelhütchen“, wie Sandra frei übersetzt. Nicht der Männer wegen wollen sich die jungen Frauen ausziehen, sondern um „sich selbst mal ganz weiblich zu fühlen“, so Stella, die Kamerafrau. In ihrem Job müssen die Klamotten vor allem praktisch sein, unauffällig, bequem und schmutzresistent. Sexy sei das nicht. Ein Strip aber, der die intimen Details der Phantasie des Betrachters überlasse, dagegen schon. Auch Marlen will an diesem Wochenende zeigen, was sie kann. „Frauen, die ,New Burlesque; machen, haben Kurven und können sich gut bewegen“, sagt die Köchin. So wie Marilyn Mansons Ex-Frau Dita von Teese, eine der bekanntesten „New Burlesque“-Tänzerinnen, die sich in ihren Shows manchmal in einem überdimensionalen Sektglas räkelt. „Es ist nie schlüpfrig“, erklärt Sandra, „sondern geradezu feministisch.“ Beim „New Burlesque“ könne sich jeder zeigen, wie er will. Auf die passenden Maße komme es nicht an. „Groß oder klein, dick oder dünn, alt oder jung“, Sandra zählt auf: „Das ist doch viel interessanter als die immer gleichen Models.“ Kurz vor der Show am Sonntagabend sind die Frauen im Publikum in der Überzahl. Nervös nippt Marlen in der Geraderobe an einem Glas Sekt. Jeden Schritt der Choreographie hat sie geübt, jede Bewegung ist sie einzeln noch einmal mit Praktikant Larsi durchgegangen. Wieder und wieder hat sie sich in den Bändern ihres Oberteils verheddert und die Schritte durcheinander gebracht. Jetzt muss es klappen. Larsi hat die Tube Kunstblut griffbereit in den Kragen geklebt. In letzter Sekunde will ein Eckzahn nicht gleich halten. Noch ein Tropfen Kleber? Egal. Draußen fängt die Musik schon an. Zu den ersten Takten von Sisters of Mercy schreitet Marlen auf die Bühne. Sie trägt einen weißen Spitzen-Sonnenschirm auf der Schulter; über ihre Dessous hat sie ein weißes Blusenkleid geknöpft; aus ihren zentimeterhohen Absatzschuhen reichen weiße Häckelstrümpe bis unter die Knie. Unschuldig blickt sie zum Himmel und drückt sich eine schwarze Bibel an die Brust. Dann legt sie die Bibel zu Boden und dreht sich um. Vor den Blicken der Zuschauer geschützt, knöpft sie das Kleid auf. Dann, mit dem ersten Beat, dreht sie sich ins Licht und reißt das Kleid entzwei. Langsam lässt sie die Ärmel über die Schulter rutschen und gibt den Blick frei auf ein im Rücken geschnürtes Korsett. Dann ist Larsi an der Reihe. „Larsiiii, lass Dich beißen“, ruft jemand im Publikum und Larsi, der Butler, sinkt mit leidverzerrter Miene zu Marlens Füßen. Halbherzig reckt er ihr die Bibel zum Schutz entgegen. Doch Marlen ist nicht mehr zu bremsen. Als sie ihm schließlich ein rotes Gummiherz aus dem Hemd reißt, johlt das Publikum begeistert. Lüstern entblößt sie die blutverschmierten Vampirzähne. Larsi sinkt ausgesaugt zu Boden. Alles ist gut gegangen.

Text: marlene-halser - Fotos: Iris Weisch, rtr

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