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Vier Füße fliegen raus

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Es ist bald Mitternacht, sie hat den ganzen Tag geschlafen und es pocht in ihrem Kopf. Aus einer Abstellkammer fischt sie einen weißen Kittel, geht zum Ende des Kellerflurs, setzt sich breitbeinig auf ihren Stuhl, legt den rechten Arm auf den Tisch und sagt: "Immer dieses Bumm Bumm. Das hat meine Nerven, meinen Kopf kaputt gemacht."
  Pelka Kostic hasst das Wummern der Bässe. Doch es ist die Tonspur ihres Berufs: Die 61-Jährige ist Toilettenfrau im Harry Klein, Münchens bekanntestem Technoclub. Sie greift nach ihrer Thermoskanne, die sie vor jeder Schicht mit Kaffee füllt und beginnt sie zu erzählen. Wie vor fünfzehn Jahren alles begann, wie sie in einer Diskothek im früheren Kunstpark Ost als Putzfrau jobbte, wie sie sonntags erst zum Dienst kam, als die Abflüsse längst verstopft waren und das Erbrochene verkrustet. "Das war eine Katastrophe! Da habe ich gesagt: Chef, so geht das nicht weiter." Pelka überzeugte den Clubbesitzer von ihrer Idee und machte sich praktisch selbst von der Putzfrau zur Toilettenfrau. "Ich war die Erste, sagt sie, dann haben das alle nachgemacht. Und heute? Findest du in München keine Diskothek mehr ohne Klofrau."

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


  Ihr Tischchen hat Pelka dort platziert, wo es am engsten ist. Am Fuße der Treppe, die vom Tanzraum in den Keller hinab führt. Sie sitzt auf dem schwarzen Stuhl wie ein Jäger auf dem Hochstand und überschaut ihr Revier. Vor ihr steht das Schälchen mit den Münzen. Nur Ein- und Zwei-Euro-Stücke liegen darin, das Kleingeld lässt Pelka direkt in ihre schwarze Gürteltasche wandern.
  Um kurz nach Eins ist das Harry Klein gut gefüllt. Wer aufs Klo muss, kommt durch die Tür oberhalb der Kellertreppe. Jedes Mal wenn sich die Tür öffnet, werden die Toilettenräume vom Bass geflutet. Ein Anfang-Zwanziger mit Spiderman-T-Shirt kommt aus der Herrentoilette, versucht sich an Pelka vorbei zu schleichen, den Blick fest auf den Boden geheftet. Doch sie hat ihn längst bemerkt: "Hey, junger Mann", ruft Pelka kaugummikauend, greift ihm kurz an den Arm und deutet mit der anderen Hand auf ein DIN-A-4-Blatt, das an der Wand über ihrem Tischchen klebt. Trinkgeld macht die Pelka glücklich steht darauf in gedruckten Großbuchstaben. Etwas rot wird er schon, der junge Mann, dann aber gibt er bereitwillig 50 Cent. Als er über die Treppe zurück nach oben steigt, wirft ihm Pelka eine Kusshand hinterher.

  Pelka gehört zu jenen Menschen, die gerne übersehen werden. Sie weiß das. Und sie weiß zu verhindern, dass sich jemand vor dem Bezahlen drückt. "Ich hab leider nur 'n Zehner", sagt ein Mädchen mit sehr hohen Schuhen und sehr großer Tasche, das bedauernd mit den nackten Schultern zuckt. "Kein Problem, sagt Pelka mit barmherziger Stimme, ich kann schon wechseln." Dann greift sie mit der offenen Hand in ihre Gürteltasche und schaufelt ein paar Münzen heraus. Das Mädchen hat schon verstanden und findet irgendwo in der großen Tasche doch noch Kleingeld. "Ich hab genau gesehen, dass sie noch was hat", sagt Pelka hinterher, zieht mit der Fingerspitze ihr Augenlid nach unten und zeigt ein Siegerlächeln.
  Seit 40 Jahren ist Pelka in Deutschland, doch ihr Akzent ist noch immer da. Geboren ist sie in Bosnien, in den Sechzigern lebt sie ein paar Jahre in Serbien. Die Schule darf sie nicht besuchen, sie schuftet schon als Kleinkind auf dem Bauernhof der Eltern: Schweine füttern, Kühe melken, Mais hacken. Mit 21 Jahren bricht sie aus der Trostlosigkeit aus, sucht ihr Glück in Niedersachsen. Dort arbeitet sie viele Jahre an Fließbändern, hat Hilfsarbeiterjobs. Als ihr Mann sie für eine Andere verlässt, beginnt Pelka in Tegernsee ein neues Leben. Die ersten Jobs: Putzen und Müll sortieren. Dann folgen jene 15 Jahre als Toilettenfrau im Ultraschall und im Nachfolge-Club Harry Klein. Zwischendurch lernt sie ihren zweiten Mann kennen, wird mit Fünfzig endlich Mutter. "Ich liebe die Kinder. Eine Arbeit mit Kindern hätte mir gut gefallen", sagt Pelka, lässt ihren Blick durch den Toilettenflur wandern und grinst: "Aber irgendwie ist das hier ja auch wie im Kindergarten."

  Zwei Uhr morgens. Kontrollgang. Pelka steht im Türrahmen zur Herrentoilette, hat die Handgelenke abgeknickt und in die Hüften gestemmt, beugt ihren Oberkörper nach vorn und späht durch den Spalt unter den Kabinentüren. "Wenn ich vier Füße sehe, dann fliegen die auf der Stelle raus."
  Pelka ist keine Frau, die bei Männern den Instinkt des Beschützers weckt. Eher schon ein Kumpeltyp, mit dem man Bier aus der Flasche trinkt und derbe Witze reißt. "Viele denken, das ist keine richtige Arbeit und sagen: Du, Obdachlose! Oder: Geh arbeiten!", erzählt Pelka, während sie mit den Fingern eine Kugel aus ihrem Kaugummi formt. Früher habe sie schon mal zugelangt, wenn sie beleidigt wurde. Erst mit den Jahren sei sie ruhiger geworden, habe gelernt, mit den Bosheiten gelassen umzugehen.
  Dass sie nach 15 Jahren noch immer als Toilettenfrau arbeitet, überrascht Pelka manchmal selbst. Doch sie kann nicht anders. Sechs Wochen war sie zuletzt im Urlaub in Serbien. Sechs Wochen ohne Bosheiten, ohne Pfützen neben den Pissoirs, ohne das Wummern der Bässe. Trotzdem sagt sie: "Das war zu lang. Mir fehlen irgendwann die Leute." Auch umgekehrt sei das so: "Wenn ich nicht da bin, fragen alle: Wann kommt die Pelka wieder? Obwohl ich so viel schimpfe."

  "Sie ist ein fester Bestandteil unseres Teams", sagt ihr Chef. Aktuell ziert ihr Foto gar ein Plattencover des hauseigenen Labels. Die Plattenhülle hat Pelka wie eine Trophäe auf ihrem Tischchen platziert. Auch im Internet hat sie eine Fangemeinde, etwa 2 000 Freunde bei den Lokalisten. Wer das Profil angelegt hat, weiß sie nicht.
  Halb vier. Es ist jetzt laut und voll. Neben Pelkas Tisch lehnt ein Pärchen knutschend an der Wand, blockiert den Weg zur Toilette. Ohne aufzustehen beugt sich Pelka vorn über, schiebt die Knutschenden beherzt zur Seite. Der Kuss endet mit einem theatralischen "Aua!" des Mädchens, ihr Freund dreht sich um und brüllt: "Ich muss mich von einer Klofrau nicht anfassen lassen, klar?" Dann schiebt er seine Freundin an Pelkas Tisch vorbei, die Treppe hoch, und hört erst auf zu fluchen, als er oben angekommen ist. Auch Pelka sendet dem Pärchen ein paar Worte hinterher, auf serbisch.
  Wie viel Pelka an einem Abend verdient, will sie nicht verraten. "Nicht viel", sagt sie, während es im Minutentakt klimpert und Münze auf Münze ins Schälchen fällt. "Heute läuft es schon gut, aber ich muss das Geld sowieso teilen", sagt Pelka und deutet auf eine Frau am anderen Ende des Flurs. Dort sitzt im gleichen weißen Kittel ihre Schwester. Sie hält heute die Stellung, wenn Pelka kurz verschwindet und vor der Tür eine Zigarette raucht. In ihrer Familie ist Pelka eine Art Pionierin: Schwester, Bruder, Schwägerin, Cousine alle arbeiten inzwischen als Toilettenkraft in Münchner Clubs und Diskotheken.

  Die Welt, der Pelka am Arbeitsplatz begegnet, war ihr lange fremd. Eine Diskothek hat sie in ihrer Jugend nie von innen gesehen: "Als ich jung war, wäre ich nie ohne Kopftuch aus dem Haus gegangen. Da hat mein großer Bruder schon aufgepasst." Ob sie ihrer elfjährigen Tochter später mehr Freiheiten geben werde? "Nein, sagt sie entschieden, schau dir doch die Mädchen hier an: Die trinken zu viel und gehen mit fremden Männern auf die Toilette." Die Sorge um die Tochter ist vielleicht auch der Grund, weshalb Pelka sich besonders fürsorglich um die weiblichen Gäste des Clubs kümmert: "Manchmal kommt ein Mädchen und weint, weil sie sich mit ihrem Freund gestritten hat. Eine wollte schon mal bei mir schlafen, weil sie so traurig war."
  Um halb fünf scheppert es auf der Tanzfläche. Bierflaschen sind zu Bruch gegangen, Pelkas Chef ruft sie nach oben, um die Scherben zu kehren und den Boden zu wischen. Während Pelka wieder in der winzigen Kammer verschwindet und nach dem Putzzeug fischt, verrät sie, bald kürzer treten zu wollen. Warum sie nicht ganz aufhöre? "Mein Mann ist letztes Jahr gestorben und die Rente reicht nicht für mich und meine Tochter. Ich muss arbeiten." Sie klemmt den Wischmop unter die Arme und steigt die Treppe nach oben. Die Tür fällt ins Schloss und Pelka verschwindet im Partygetümmel, verschluckt vom Wummern der Bässe.

Text: andreas-glas - Foto: Juri Gottschall

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