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Von A nach B plus X: Erzähl deine Mitfahr-Geschichte

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Zunächst geht es darum, eine Strecke von A nach B zurückzulegen, so kostengünstig und unkompliziert wie möglich. Aufregend und erzählenswert wird ein Ortswechsel aber erst, wenn das Unvorhergesehene eintritt, wenn sich eben jene Unbekannte x dazugesellt, die das Leben spannend macht. Mitfahrzentralen funktionieren nach diesem Prinzip. Sie folgen der Formel „von A nach B plus x“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

X steht für: bis vor die Tür gefahren werden, Reiseproviant teilen, Spontanurlaub und Liebesgeschichten – für all jene Annehmlichkeiten, die sich ergeben, wenn vergleichsweise unkomplizierte Menschen miteinander Auto fahren. X kann aber auch heißen: Pannendienst, verpasste Ausfahrten, nervtötende Gespräche, Harakiri-Fahrer und Insassen, die ihre Klingeltöne durchprobieren. Martin Buske ist der Gründer von mitfahrzentrale.de, mit 700 000 registrierten Nutzern Deutschlands größte Plattform für Fahrgemeinschaften. Buske ist bis heute selbst praktizierender Mitfahrer: „Meine interessanteste Tour erlebte ich mit einem Touristen aus der Mongolei. An solche Begegnungen erinnert man sich ein Leben lang.“ Es gibt einige Phänomene, die allen Mitfahrzentralen-Reisenden bekannt sind: Da ist dieser besondere Moment kurz nach Fahrtantritt, wenn Fahrer und Mitfahrer dazu übergehen, Details auszutauschen. Die Unentrinnbarkeit der Situation aber auch die Flüchtigkeit der Begegnung führen wohl zu dieser Offenheit. Der Klassiker ist die Geschichte des Fahrers, der – ohne es zu wissen – innerhalb von einer Woche ein verlobtes Paar mitnahm, erst den Mann, dann die Frau. Glucksend erzählte er der nichts ahnenden Frau von der Affäre, zu der er den Mann eine Woche zuvor kutschiert hatte. Die Protagonisten all dieser Mitfahr-Geschichten sind längst ausgestiegen, abgebogen oder weitergefahren. Die meisten Begegnungen verflüchtigen sich. Nur die außergewöhnlichen Anekdoten existieren weiter. Auf jetzt.de wollen wir diese Geschichten sammeln: Erzähle von deinen Mitfahr-Geschichten im Label mitfahren . So wie diese vier Mitfahrer auf den folgenden Seiten.


Bamberg – Berlin: Spaß Es musste mal wieder schnell gehen und so habe ich bei der Bemerkung, dass die Rückbank im Wagen etwas ungewöhnlich sei, am Telefon nicht weiter nachgefragt. Das Mädchen klang nett, unkompliziert und, wie es der Zufall wollte, mussten sie und ihre Freundin in die gleiche Straße in Berlin-Friedrichshain wie ich. Die Bemerkung mit der Rückbank fiel mir erst wieder ein, als ich den bemalten VW-Bus am Treffpunkt erblicke. Ungewöhnliche Rückbank heißt: nicht vorhandene Rückbank. Stattdessen ein Matratzenlager. Die Fahrerin (Nasenring, Rastas) zeigt auf den hinteren Teil des Busses: „Meinst du, das geht bis Friedrichshain?“– „Klar“, sage ich, „solange uns die Polizei nicht anhält.“ Wir waren noch nicht aus Bamberg raus, als uns Beamte von der Straße winken. Sarah, das kleine Mädel hinter dem großen Lenkrad, bleibt ruhig: „Keine Panik. Das passiert mir ständig. Die suchen nur Gras.“ Sie lacht. Ich nicht. Sie behält Recht. Akribisch durchsuchen die Polizisten unsere Taschen und Körper nach Drogen. Als sie nichts finden, überlassen sie das Hippiemobil wieder der Straße. München – Frankfurt: Fernweh Fünf Stunden Fahrt liegen vor mir. Als ich den alten VW-Polo und die vier wartenden Mitfahrer mit ihrem Gepäck sehe, überlege ich, ob ich die Fahrt wirklich antreten soll. Kurzzeitig denke ich, der Fahrer will sich mit dieser Aktion für „Wetten dass. . . ?“ empfehlen: „Wie viel passt eigentlich in einen Polo?“ Am besten, ich stelle mich tot oder schlafend, dann spricht mich keiner an, denke ich. Nach zehn Minuten klinke ich mich selbst ins Gespräch ein, denn zwei Dinge haben sich bis dahin herausgestellt: Die vier anderen sind cool und – sie fliegen mit dem selben Flieger nach London wie ich. Der eine besucht seine Freundin, die andere kehrt zu ihrem Erasmus-Aufenthalt zurück, der dritte fliegt zur Arbeit, der Rest in den Urlaub. Als der Keilriemen reißt und wir auf dem Seitenstreifen stehen, ist jedem von uns klar, dass wir keine Zweck-, sondern eine Schicksalsgemeinschaft sind. Die Panne lässt sich beheben, die Angst, den Flieger zu verpassen, weicht der Vorfreude auf London. Während der Polo die linke Spur unsicher macht, stecken wir uns gegenseitig mit Reisefieber an. Die Rucksäcke auf dem Rücken, rennen wir später über den Flughafen-Parkplatz und kriegen den Flieger in letzter Minute.
Frankfurt – München: Freunde Ich habe in Frankfurt eine ätzende Geschichte erlebt und will so schnell wie möglich zurück nach München. Am Hauptbahnhof treffe ich auf drei Jungs. Ich mag die drei Freunde auf Anhieb. Ihr chaotischer, bis oben mit Snowboards bepackter Van, die Art, wie sie miteinander umgehen und die Leidenschaft, mit der sie mir vom perfekten Schnee erzählen. Ihr Ziel: Innsbruck. Mit im Bus: die Morgensonne, die alles in Gold taucht, und Cat Stevens. Durch die verschneite Landschaft fahren wir nach München, während von der alten Kassette „Moonshadow“ und „Father & Son“ knistert. Wir sprechen nicht viel. Aber am Ende fragen sie mich, ob ich nicht Lust hätte, mit ihnen in die Berge zu fahren. Neufahrn – Kassel: Angst Beim vereinbarten Treffpunkt auf einem autobahnnahen Parkplatz begrüßt mich ein gammliger Spätdreißiger mit Augenklappe. Moment: Augenklappe? „Ich hatte gestern eine OP und langes Autofahren wäre nicht so gut. Kannst du vielleicht fahren?“ Mir wird schlecht. Offensichtlich bin ich die Einzige, die auf sein Inserat geantwortet hat. Was tun? Ich entscheide mich für die Variante, das Leben – in diesem Fall das Lenkrad – selbst in die Hand zu nehmen und rede mir die Situation schön. Es hilft für den Moment. Komisch wird es, als ich meine Sporttasche in den Kofferraum hieve und den ganzen Outdoor-Kram bemerke: Seile, Haken, eine Axt. Während ich gedanklich die damit verbundenen Tötungsarten durchspiele, fängt der Kollege mit der Augenklappe an, mir die Eigenheiten des Autos zu erklären: „Den fünften Gang verwenden wir besser nicht, da spinnt der Motor gerne mal.“ Es wird die seltsamste Fahrt, die ich je erlebt habe. In der halben Stunde, in der der Typ neben mir wach ist, entpuppt er sich als harmlos. Er sei nach Schweden unterwegs, wo er einen Campingplatz eröffne. Ob ich wisse, dass die A 7 die Europastraße E 45 sei und bis nach Mittel-Schweden führe? Man müsse nicht ein einziges Mal die Autobahn verlassen. „Oh doch“, denke ich, „das müssen wir, und zwar in Kassel.“ Als ich meiner Mutter die Geschichte erzähle, kauft sie mir eine Bahncard.

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