- • Startseite
- • jetztgedruckt
-
•
Von Beruf dagegen
Hanna ist 2,57 Meter groß und man muss sich strecken, um ihr die Hand zu geben. Sie läuft auf Stelzen vor dem Berliner Hauptbahnhof auf und ab, wo sich gerade mehrere hundert Menschen zur Anti-Atom-Demo versammeln. Ihre überlange blau-gelbe Hose und die contratom-Flagge an ihrem Rucksack flattern im Wind, der ihr schließlich auch den Zylinder vom Kopf fegt. Sie muss jemanden bitten, ihn aufzuheben, weil sie sich nicht bücken kann. Im Tausch bekommt der Mann einen Flyer für die Aktionstage gegen Gentechnik und Atomkraft. An denen soll es Workshops geben, Blockaden und Straßentheater. Denn eine Demo wie hier, sagt Hanna, „ist schon okay, ich will den Leuten das ja nicht kaputt reden. Aber ich finde, man sollte mehr tun als im Kreis laufen und sein Gewissen beruhigen.“ Hanna Poddig ist 23 Jahre alt. Sie isst vegan und bezieht Ökostrom. Ihre Nächte verbringt sie an ein Gleis gekettet oder auf einem Acker, um einen Bundeswehrtransport oder die Aussaat von Genmais zu verhindern. Ihre Tage verbringt sie damit, Kletterer zu organisieren, die dann auf das Brandenburger Tor steigen und ein Banner gegen Kohlekraftwerke aufhängen. Oder sie leitet Workshops und nimmt an Podiumsdiskussionen teil. „Ich mache das Vollzeit“, sagt Hanna. Dabei sieht sie gar nicht so aus. Ohne Stelzen ist sie klein und mit ihren blonden Haaren schaut sie brav aus. Sie hat ein freundliches Gesicht, Härte oder Bitterkeit ist da nicht zu sehen. Wenn man etwas nicht tun sollte, dann zu Hanna sagen, sie sähe nicht wie eine Aktivistin aus. Dann fragt sie sofort, wie eine „typische“ Aktivistin denn auszusehen habe? Mit 16 leitet sie eine Gruppe der Jugendorganisation Bund Naturschutz, bevor sie Mitglied der Umweltorganisation „Robin Wood“ wird. Nach dem Abitur beginnt sie eine Artistikausbildung in Berlin. „Das habe ich aber schnell wieder sein lassen, da ging es mehr um Hochleistungssport als um Kunst“, erzählt sie. Zum Teil ist Hanna dem Stelzenlauf und dem Jonglieren treu geblieben – sie verbindet beides mit ihrem Aktivismus, der nun ihr Leben ausfüllt. Protest ist ihr Alltag geworden. Wenn sie etwas stört, dann geht sie dagegen vor. „Meine Eltern haben mich mit auf Demos genommen und mit mir über das geredet, was uns umgab: geplante Müllverbrennungsanlagen, geplante Autobahnen, bestehende AKW“, erzählt Hanna. Vor allem die Blockade der Rhein-Main-Airbase anlässlich des Irak-Kriegs im Jahr 2003 hat ihre persönliche Rebellion geprägt. Auf Hannas Teilnahme folgte eine Ordnungswidrigkeitsanzeige. „Das hat mir die Hemmschwelle genommen“, sagt sie. Sie hat schon einige Male in einer Zelle gesessen und Kacheln gezählt, weil sie nach einer Aktion in Gewahrsam genommen wurde. Sie sagt, dass sie sich daran gewöhnt hat.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Hanna bei der Arbeit.
Auf der Berliner Demo trifft Hanna alle paar Meter jemanden, den sie kennt, der zu ihr hoch schaut und mit ihr plaudert. Dann geht es nicht immer um Feldbesetzungen oder Kletteraktionen, sondern auch mal darum, wer mit wem Schluss gemacht hat oder was man Samstagabend unternimmt. Aber es ist nicht so, dass Hanna alle Leute auf der Anti-Atom-Demo mag. „Es nervt mich, dass hier alle so tun als seien sie sich einig. Die Grünen laufen auch mit und mit denen bin ich mir absolut nicht einig.“ Sie weist auf die vielen Plakate mit dem Logo der Grünen hin. „Die machen hier Wahlkampf – das finde ich nicht okay. Der ganze Atomkonsens mit Restlaufzeiten wäre doch ohne die gar nicht möglich gewesen. Und sie haben den Widerstand auf der Straße geschwächt. Dabei wird der Atomausstieg nur durch den Druck von außen kommen.“ Als Hanna Pause vom Stelzenlaufen macht und am Brandenburger Tor zum Essensstand geht, trampeln sie und ein Freund fest über ein abgerissenes Grünen-Wahlplakat. Sie lachen sich an dabei. Es ist eine Art ernstgemeinter Scherz.
Hinter Hannas Ärger steckt aber mehr als nur Politikverdrossenheit. Hanna hat bei der Bundestagswahl nicht gewählt. Demokratie ist in ihren Augen nichts, das man unterstützen sollte. „Ich finde die Vorstellung, dass ich meine Stimme abgeben soll, damit mich jemand anderes regiert, gruselig. Ich glaube, es gibt niemanden, der etwas Sinnvolles für mich entscheiden kann. Das kann nur ich selbst“, sagt sie und fasst ihre Meinung in einem Satz zusammen: „Keine Macht – für niemanden“.
Hanna Poddig lässt sich nicht einordnen. Was sie macht, wirkt wie eine Mischung aus Greenpeace-Aktionen und den Forderungen der 68er. Doch was ihre Rebellion von all den bestehenden und gewesenen Bewegungen unterscheidet, ist, dass Hanna keiner Bewegung angehört. Bei allem, was sie tut, beruft sie sich nur auf sich selbst. Wenn sie das Recht auf freie Meinungsäußerung nutzt, aber gleichzeitig gegen die Demokratie ist, die ihr dieses Recht gibt, dann, weil sie niemanden will, der Regeln aufstellt; niemanden, der sagt, was sie nicht tun darf oder was ihr alles erlaubt ist. Sie will die Regeln, nach denen sie lebt, selbst machen. Vielleicht liebt sie die Freiheit. Vielleicht ist sie aber auch einfach nur mutiger als andere, wenn sie öffentlich sagt, was sie denkt.
Das Demo-Essen ist senfgelb und breiig, schmeckt aber gut und ist gegen eine Spende zu haben. Aber was isst Hanna, wenn es gerade keine Demo mit einer sogenannten „Volxküche“ gibt? Wie finanziert sich jemand, der hauptberuflich Castortransporte aufhält? Hanna lebt in einer WG in Berlin-Neukölln. „Das wenige Geld, das ich brauche, bekomme ich über Referentinnenjobs“, erzählt sie. Sie hat zum Beispiel bei der Hamburger Ökostromkampagne „Tschüss Vattenfall“ mitgearbeitet. „Außerdem lebe ich sehr sparsam. Vieles lässt sich ohne Geld regeln. Man muss eben Schenk- und Umsonststrukturen aufbauen, Trampen und Containern gehen.“ Containern gehen bedeutet, nachts in Supermarkttonnen zu klettern und die weggeworfenen Lebensmittel herauszuholen, an denen nichts zu bemängeln ist als etwa ein falsches Etikett – sie sind noch nicht abgelaufen und die Container der Supermärkte sind sauber. Für Hanna ist das wie einkaufen gehen und es nervt sie, dass die Medien gerade einen Trend daraus machen. „Ich bekomme oft Anfragen, weil irgendein Sender mich dabei filmen will. Obwohl alles andere, was ich mache, viel interessanter ist.“ Auch der Rotbuch-Verlag war erst auf dieses Thema fixiert: „Ob ich ein Buch übers Containern schreiben will, haben sie gefragt – und ich habe nein gesagt.“ Hanna hat dann aber doch ein Buch geschrieben. Eines, in dem auf ein Kapitel über das Containern dreizehn weitere Kapitel über ihr Protest-Leben folgen. „Radikal mutig“ heißt es. Und auch der Untertitel klingt sehr nach Hanna: „Meine Anleitung zum Anderssein“.
Während der Abschlusskundgebung besorgt sich Hanna bei einer Freundin neue Flyer. Als ein junger Mann auf sie zusteuert, um zu fragen „ob hier denn schon alle Ökostrom haben?“, nimmt Hanna seinen Zettel mit den Angeboten genauer in Augenschein und weist ihn auf einen Anbieter hin, der ihrer Meinung nach nicht astrein ökologisch produziert. „Den müsst ihr echt mal rausnehmen aus eurem Angebot“, sagt sie, und sie sagt es gar nicht besonders freundlich, sondern eher nebenbei, fast ein bisschen herablassend. Der Mann wird verlegen. „Ja, ich weiß“, sagt er. Hanna interessiert das nicht weiter. Sie schnallt sich die Stelzen an und verteilt Flyer. Zwischendurch jongliert sie, Kameras werden gezückt, ein paar Leute belächeln sie. Wenn jemand nicht mag, was sie macht, findet Hanna das nicht schlimm. „Ich bin nicht harmoniesüchtig“, sagt sie.
Nach der Demo trinkt Hanna in einem Café eine heiße Zitrone. „Ohne Honig“ betont sie beim Bestellen, denn Honig ist nicht vegan. Sie ist jetzt heiser. Nicht etwa, weil sie zu viel geschrien hat, sie ist einfach nur erkältet. „Das ist schlecht für mich, ich plappere doch so gerne den ganzen Tag.“ Ist sie stolz auf das, was sie tut?
„Stolz ist kein gutes Wort dafür. Natürlich freut es mich, wenn eine gelungene Aktion groß in der Zeitung erscheint. Aber dadurch fühle ich mich nicht als etwas Besseres.“ Fragt man Hanna nach ihrer Utopie von dieser Welt, antwortet sie, dass sie vor allem weiß, was sie nicht will. Zum Beispiel kein Militär, keine Gefängnisse und keine Atomkraft. Ihr Kampf dagegen wird wohl auch die kommenden Jahre bestimmen. „Gerade fühle ich mich wohl mit dem, was ich mache“, sagt Hanna. „Und es gibt Leute, die mir zeigen, dass man davon leben kann. Aber vielleicht will ich in zehn Jahren was ganz anderes. Eine lange Reise oder ein Studium. Ich hoffe, dass ich auch dann genau das mache, worauf ich Lust habe.“
Nach der heißen Zitrone bricht Hanna auf, um sich den Ausläufern der Demo anzuschließen, bei denen auch ihre Mutter ist. Als Hanna Richtung Brandenburger Tor läuft, trägt sie ihre Stelzen unter dem Arm. Sie ist jetzt einen Meter kleiner als am Morgen. Aber auch 1,57 Meter können ausreichen, um einen Zug aufzuhalten.
Text: nadja-schlueter - Foto: contratom