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Was passiert afrodeutschen Künstlern im Osten? Eine Umfrage

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Noah Sow – Moderatorin, Schauspielerin, Sängerin „Als ich 1998 zu Dreharbeiten in den Osten reiste, spürte ich schnell den Unterschied zu meiner Heimat St. Pauli. Schon am Hauptbahnhof Rostock: Sechs Glatzen bedrohen mich. Im Hotel heißt es freundlich: „Tut mir leid, Sie sind hier nicht gebucht“. Bis die Produzentin einschreitet. Zum Glück. Denn die sechs Glatzen warten vor dem Hotel. Auf der Fahrt zum Drehort weigert sich eine Mitarbeiterin, ins selbe Auto mit mir zu steigen: Als sie mit einem senegalesischen Kamerateam unterwegs war, hätten Rechte bei einer Ampel versucht den Bus umzukippen. Auch bei den Dreharbeiten laufen dauernd Glatzen durchs Bild. Ob man die denn nicht des Ortes verweisen könne? Nein, sagt die Drehleitung, das gäbe nur noch mehr Ärger. Als ich Jahre später mit dem ICE nach Potsdam fahre, stürmt eine Gruppe Glatzen mein Abteil und verriegelt die Tür. Zu Hilfe gerufene BGS-Beamte befreien mich zunächst, um dann umgehend den Zug zu verlassen – und mich somit den Glatzen auszuliefern: Über die psychischen und physischen Misshandlungen möchte ich nicht näher reden. Ich war danach mehrere Wochen in Behandlung und arbeitsunfähig. Trotzdem wäre ich gern mit meiner Rockband einer Einladung zu einem Festival nach Chemnitz gefolgt. Weil ich weiß, dass dort auch viele Gleichgesinnte leben. Wenn die Anfahrt nur nicht so umständlich wäre: Im Westen voll tanken, damit man die als Nazi-Treff genutzten Tankstellen im Osten vermeiden kann. Die Hotelzimmer aus Sicherheitsgründen alle nebeneinander buchen. Und vom Auftritt zum Hotel nur in Begleitung von Security-Leuten. Aber ich lamentiere nicht nur: Auf Grundlage dieser Erfahrungen engagiere ich mich beim Verein derbraunemob.info.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Adé Bantu – Produzent, Musiker „2002 tourten wir mit Brothers Keepers durch ostdeutsche Schulen: Es war oft extrem schwierig, mit den Schülern offen über Ausländerfeindlichkeit zu diskutieren. Entweder bagatellisierten sie das Problem oder sie trauten sich nichts zu sagen. Wie etwa in Pirna: Eine Gruppe Glatzen hörte vor dem Klassenzimmer laut rechtsextreme Musik. Nicht einmal die zu unserem Schutz abkommandierte Polizisten griffen ein. Danach erfuhren wir, dass die Schule vor unserer Ankunft über und über plakatiert worden war: „White Arian Brotherhood Against Alien Brother’s Keepers“, dazu Ku-Klux-Klan-Symbole. Das mag zwar die Meinung einer rechten Minderheit spiegeln, aber die hat mancherorts genug Macht, um alle einzuschüchtern. So halte ich auf ostdeutschen Bahnhöfen immer mindestens fünf Meter Abstand zu den Gleisen. Weil ich genügend Geschichten kenne: Von Glatzen, die Schwarze vor den einfahrenden Zug stoßen. Und wie oft bin ich selbst schon auf Bahnhöfen angepöbelt worden – beim Versuch zu beschwichtigen, tritt schon der erste auf mich ein. Im Grunde aber geht das Problem weit über die von Rassisten ermordeten Alberto Adriano und Amadeu Antonio hinaus. Die Frage ist doch: Darf ich schwarz und deutsch sein? Wie viele Opfer muss es geben, bis sich die Menschen hier der Tatsache stellen, dass ihr Land multiethnisch ist?“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Chima – Sänger, Hiphop-Produzent „Wenn mich daheim in Frankfurt Rechte anrempeln, geht mir das am Arsch vorbei. Weil ich weiß, dass die Mehrheit keine rechten Pöbeleien billigt und mir notfalls jemand zu Hilfe eilen würde. Dieses Vertrauen habe ich in den neuen Bundesländern nicht: Ich gehe dort mit Scannerblick durch die Straßen. Immer auf der Hut: welche Frisur, welches Abzeichen tragen die anderen? Einmal haben mir drei Neonazis in der Berliner U-Bahn einfach so Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Sofort sprangen mir Passanten bei und haben die richtig vermöbelt. Für mich eine positive Erfahrung: 30 Jahre lang habe ich versucht, auf Angriffe mit vernünftigen Reden zu reagieren, und immer den Kürzeren gezogen. Da war es befreiend, einmal selbst reinhauen zu dürfen. Dennoch möchte ich differenzieren: Der einzige Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland besteht in der Gewalt. Die Vorurteile aber sind die gleichen. Als mich eine weiße Freundin zu sich nach Hause einlud, haben mich die Eltern an der Türschwelle abgewiesen. Sie rechneten wohl nicht mit einem Schwarzen. Das ist tausendmal verletzender als Pfefferspray.“ Mehr über die Debatte "Was ist deutsch?" auf jetzt.de: - Ein Interview mit einer Lehrerin fürs Deutsch-Sein. - Ein Überblick über die Beiträge zur Debatte in aktuellen Zeitschriften - Ein Interview mit dem Macher der Kampagne Vorrundenaus 2006, der hofft, dass Deutschland bei der WM ganz früh ausscheidet - Ein Porträt der Kampagne "Deutschland muss kicken" und "Deutschland Kickt", die beide mehr Mut und Selbstbewusstsein nach Deutschland bringen wollen.

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