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Wieder eine ganze Menge richtig gemacht

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Es ist ziemlich leicht, ihn nicht zu mögen. Er macht zu viel richtig. Er ist höflich, erfolgreich, zurückhaltend und hat zu allem Überfluss auch noch Recht: Jonathan Safran Foer wurde im Jahr 2002 mit seinem Roman „Alles ist erleuchtet“ weltberühmt. Doch der Princeton-Absolvent ist nicht nur ein großartiger Literat, er wird im Laufe dieses Jahres auch dafür sorgen, dass es sehr vielen Menschen unglaublich schwer fallen wird, ohne schlechtes Gewissen in ein Stück Fleisch zu beißen. Der Grund heißt „Eating Animals“, Foers aktuelles Buch, das im Herbst auch auf deutsch erscheinen wird. Darin beschreibt der 32-Jährige die Menge (123 Kilo pro Person und Jahr) und die grausame Art und Weise, in der Amerikaner Fleisch essen und produzieren. Er tut dies aus der schlimmsten, weil glaubwürdigsten Perspektive, die man einnehmen kann: als interessierter Mensch, der Würste mag, dem seine Umwelt aber nicht egal ist. Diese Perspektive ist deshalb so schlimm, weil sie dazu führt, dass Vegetarismus plötzlich keine weltanschauliche Frage mehr ist, die man einmal entscheidet und hinter der man sich fortan verstecken kann. Ob man Fleisch isst oder nicht, sagt der junge Mann mit der kleinen runden Brille, ist eine Entscheidung, die man ständig neu auf Basis einer einfachen Frage trifft: Will ich mit meinem Appetit auf Schnitzel und Burger dazu beitragen, dass das Klima sich weiter erwärmt (51 Prozent der klimaerwärmenden Gase gehen auf die Viehzucht zurück); dass riesige Flächen der Erdoberfläche für Fleischproduktion genutzt werden (fast ein Drittel) und dass Tiere, die zum Teil so gezüchtet sind, dass sie alleine nicht überlebensfähig sind, in Schlachthöfen leiden müssen? Will ich das wirklich?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Diese Frage bekommt man auch deshalb nicht mehr aus dem Kopf, weil Foer die alte ideologische Grenze zwischen Fleischessern und Vegetariern einfach ignoriert. Diese Gegenüberstellung von gut und böse habe bisher nichts gebracht, sagt er, deshalb müsse man sie nicht fortführen. „Ich habe zwanzig Jahre gebraucht, bis ich aufgehört habe, Fleisch zu essen“, hat er unlängst in einem Interview eingestanden. „Ich erwarte von niemandem, dass er von heute auf morgen radikal seine Ernährungsgewohnheiten umstellt.“ Überhaupt wäre es falsch, aus „Eating Animals“ und dem Trend zum bewussten (Fleisch-)Essen eine Erwartung abzuleiten. Es geht viel eher darum, Umstände zu benennen, die vielen irgendwie bewusst sind, die sie aber lieber ignorieren. „Was soll schlecht daran sein, ein Ei zu essen?“, versuchte beispielsweise Anfang des Monats der stets gut gelaunte US-Talkshowmoderator Stephen Colbert den Buchautor Foer zu provozieren. „Die Hühner laufen doch fröhlich über Blumenwiesen und am Ende des Tages machen sie Liebe und aus dieser Liebe entsteht ein Ei, das der Bauer anschließend ganz vorsichtig aus dem Nest nimmt und in den Supermarkt bringt.“ Foer, der einen lustigen Ringelpulli trägt, und ruhig zugehört hat, lächelt Colbert an und antwortet dann: „Das habe ich früher auch immer gedacht. Aber es stimmt nicht.“ In „Eating Animals“ zeigt er, dass die Fläche, die einem Huhn in einer Legebatterie zur Verfügung steht, geringer ist als eine aufgeschlagene Doppelseite des Buchs. Jetzt, als Gast bei Colbert lächelt er und erzählt von Truthähnen, die so gezüchtet sind, dass sie hauptsächlich aus dem guten, weil verkäuflichen Brustfleisch bestehen und deshalb ständig Gefahr laufen, vornüber zu kippen. In dem Moment ist sogar Colbert für einen Moment sprachlos. „Wie bitte?“, fragt er. Und Foer erklärt: „Die Tiere könnten überhaupt keine Position finden, um Liebe zu machen.“ Es wäre vermutlich falsch, den jungen Mann im Ringelpulli dafür verantwortlich zu machen, dass es plötzlich cool wird, kein Fleisch zu essen. Man würde damit wieder in die Muster von gut und böse verfallen – und das hilft nicht weiter. Das beweist „Eating Animals“ zum Beispiel auch dadurch, dass hier ein Veganer im Protokoll zu Wort kommt, der Schlachthöfe baut oder ein Viehzüchter, der selber Vegetarier ist. Die Art wie wir essen, scheint von vielen Widersprüchen gekennzeichnet. Aber immer mehr Menschen wollen sich diesen Widersprüchen stellen und blenden die Folgen ihres Fleischkonsums nicht mehr aus. Immerhin haben 18 Prozent der amerikanischen Studierenden entschieden, kein Fleisch mehr zu essen. „An den Universitäten“, sagt Foer, „gibt es also mehr Vegetarier als Katholiken; mehr Vegetarier als jedes Hauptfach Studenten hat.“ Jonathan Safran Foer scheint wieder eine ganze Menge richtige gemacht zu haben. Warum sonst würde sich plötzlich sogar der Vorstandsvorsitzender von McDonald’s Deutschland um Menschen kümmern, die „kein Fleisch essen oder ihren Fleischkonsum reduzieren wollen“? Um auch die in seine Filialen zu locken, hat Bane Knezevic seit vergangener Woche einen vegetarischen Burger im Angebot – und das liegt vermutlich weniger an moralischen Gründen als an der angenommenen Nachfrage. Weil es offenbar immer mehr Menschen gibt, denen nicht Wurst ist, was sie essen.

Text: dirk-vongehlen - Foto: KaddaKnickKnack/photocase.com

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