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Wo die Kreativität wohnt

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Steffi Müller wohnt seit fünf Jahren in dieser bunten Schwabinger Wohnung gemeinsam mit zwei männlichen Mitbewohnern. „Die Jungs leben in ihren Zimmern im Vergleich zu mir wohl eher spartanisch“, urteilt die 29-Jährige. „Ich habe mich gestalterisch schon ziemlich ausgebreitet, aber solange es nicht völlig ausufert, nehmen sie mir das nicht übel.“ Weiße Wände und leere Flächen sucht man hier vergebens. Kreatives Chaos ist die Devise. „Wenn ich ehrlich bin, fände ich es schon spannend mal in einer sterilen Wohnung zu leben. Sie würde aber nicht lange in diesem Zustand bleiben. Aus meinem Kopf muss einfach alles raus.“ Was da so alles raus muss, beweisen ihre selbst entworfenen rag*treasure-Kleidungsstücke. „Ich betrachte Mode nicht rein funktionalistisch, sondern vor allem auch aktionistisch: Kleidung ist für mich mehr als bloße Körperbedeckung und Schutzhülle, für mich bietet sie eine künstlerische Produktionsfläche.“ Steffi möchte mit ihren, wie sie es nennt, „Kleidercollagen“ Kritik an der uniformierten, konsumverblendeten Gesellschaft transportieren. Ihre Unikate bestehen ausschließlich aus normalerweise für den Müll gedachten Materialien: Ob kaputte Regenschirme, Verbandsmaterial, Flugzeugrettungswesten, undichte Segelanzüge oder zerplatzte Fahrradschläuche – Steffi macht aus allem Mode. So gleicht auch ihr Zimmer einer riesigen Materialsammlung, in dem jedes Möbelstück mögliche Anregung für eine neue Kreation sein kann.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In der Münchner Designerszene ist rag*treasure ein bekannter Name. 2005 gewann Steffi als Quereinsteigerin den renommierten Baltic Fasion Award. Das Nähen hat sie sich selber beigebracht und lange Zeit auch jedes Stück einzeln mit der Hand angefertigt: „Für mich ist das Do-it-Yourself ein politisches Statement, in der Tradition des Punk: sich trauen, auch ohne klassischen Ausbildungsweg wie etwa des Modedesigners, ein Stück Gegenkultur zu schaffen.“ Steffi ist nicht nur der Mode zugetan sondern hat mit der Gruppe beißpony auch ihr eigenes Musikprojekt, das sie dem „experimentellem Indie“ zuordnet. Als Musikinstrumente dienen verstärkte Näh- und Schreibmaschinen, ein sprechender Rock, eine Staubsauger- Stereoanlage und umfunktionierte Kinderinstrumente. „Für mich ist die individuelle Entfaltung befreiend. Vor kurzem habe ich mit jungen Frauen zusammengearbeitet, die das ganz anders erfahren. Sie empfinden den allgegenwärtigen Individualitätsdrang, auf den inzwischen längst auch große Modeketten wie H&M aufgesprungen sind, als Last und würden gerne einfach mal in der Masse untertauchen. Ich finde es spannend, mich auch mit solchen Positionen auseinander zu setzen.“ Im Gegensatz zu vielen Kreativen, deren aufgesetzte Andersartigkeit oft gewollt scheint, wirkt alles an Steffi und ihrer Arbeit authentisch.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

In Steffis Zimmer sind Besucher der Reizüberflutung ausgesetzt. Für sie ist das aber genau die richtige Arbeitsatmosphäre: „In den Stoffen zu wühlen liefert mir immer wieder neue Ideen und Inspiration.“ Leicht von Dingen trennen kann sie sich nicht. „Wenn ich einmal umziehen sollte, muss ich zwangsläufig ausmisten. Oder ich niste mich mit meinem Sammelsurium einfach in einleer stehendes Gebäude ein“, grübelt sie und schumzelt: „Warum denn auch nicht?“

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