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Zehn Mal Zukunft, bitte

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Das frühe Aufstehen ist die erste Herausforderung des Tages. Damit sich die Jugendlichen, die im Café future tätig sind, zumindest in der Vorweihnachtszeit ein wenig leichter aus dem Bett schälen, hängt die Girlande mit den 24 Päckchen nicht zur Dekoration über dem Tresen an der Bar. Der Adventkalender ist ein klassisches Lockmittel. Wer morgens um 8.30 Uhr als erstes zum Dienst erscheint, wird mit Süßem in Silberpapier belohnt.

An diesem Tag haben Mika, Steffi und Hassan die ungeliebte Frühschicht übernommen. Sie schmieren Butterbrezen, stapeln Muffins in der Vitrine und schäumen Milch auf. Für günstige 1,20 Euro wird der Cappuccino später über den Tresen gehen. Um Umsatz geht es den Betreibern des Café future nicht. Roger Scharlach-Stahl hat vor einem Jahr den gemeinnützigen Jugendhilfe-Verein future network e.V. - Jugend und Beruf gegründet, um arbeitsuchenden Jugendlichen den Start in die Berufswelt zu erleichtern. Zehn Jugendliche im Alter zwischen 16 und 24 Jahren erhalten im Cafe future ein halbes Jahr lang die Möglichkeit, Arbeitserfahrung in der Gastronomie zu sammeln. Ein Gehalt gibt es nicht, dafür aber Trinkgeld. Der Durchmesser des fußballgroßen Sparschweinebauches signalisiert, dass es durchaus etwas mehr sein darf.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Crew des Café future

Das Café future ist im Foyer des Sozialbürgerhauses Feldmoching-Hasenbergl beheimatet. Wer hier ein halbes Jahr lang hinter der Bar steht, hat meist eine - wie es auf Amtsdeutsch heißt - "erfolglose Maßnahmenkarriere" hinter sich. Die 17-Jährige Steffi ist vom Gymnasium in die Hauptschule abgerutscht, hat die Schule schließlich ganz abgebrochen. Ihr Vater ist schwer krank. Der 17-jährige Hassan hat die Berufsschule geschmissen, saß monatelang gelangweilt zu Hause. Steffi und Hassan sind zwei von knapp 8 900 Münchner Jugendlichen, die allein oder gemeinsam mit der Familie von Hartz IV leben. "Lieber Kaffe kochen als gar nichts tun", sagt Hassan. Er hat den Adventskalender die letzten Wochen schon oft leeren dürfen.

Wenn man den 16-jährigen Mika fragt, ob es etwas gibt, worauf er im Leben stolz ist, überlegt er lange und schüttelt dann den Kopf. "Ich habe doch noch nicht einmal einen Schulabschluss." Im Café, sagt Sozialarbeiter Roger Scharlach-Stahl, gehe es vor allem darum, das Selbstbewusstsein der jungen Menschen zu stärken. "Die haben alle einen Willen. Die wissen nur nicht, wo ihre Stärken liegen und wie sie sich nutzen lassen." Eine Kaffeemaschine zu bedienen, sagt Roger Scharlach-Stahl, sei gar nicht so einfach. Wie zum Beweis, dass auch die anderen Aufgaben am Tresen volle Konzentration voraussetzen, fegt er anschließend mit dem Unterarm eine Porzellantasse von der Bar.

Bis die Scherben zusammengefegt sind, hat sich eine Schlange ungeduldiger Kunden hinter dem Tresen gebildet. Stress und nörgelnde Gäste aushalten zu können ist eine Schlüsselqualifikation für den Einstieg ins Berufsleben. "Die wichtigste Vorraussetzung", sagt die zweite Sozialarbeiterin im Café-Team, Annette Preuß, "ist es allerdings, ein Ziel vor Augen zu haben, das realistisch ist." Autohaus-Besitzer, Musical-Star oder schlicht Millionär das seien häufige Berufswünsche der Jugendlichen am Anfang ihrer Zeit im Café future.

Die 23-jährige Geli hat vor einem Jahr am Tresen des Cafés gearbeitet. Wenn sie sagt "Ich habe aufgehört in die Zukunft zu blicken", klingt das nur im ersten Moment traurig. Dann erzählt sie von ihrer Ausbildung als Bürokauffrau bei einer Kfz-Werkstatt. "Ich habe gelernt: Wenn man sich zu viel vornimmt, kommt am Ende gar nichts dabei raus." Ausbildung beenden, eine eigene Wohnung finden, die Handyschulden tilgen das sind Gelis nächste Schritte.

Geli ist gemeinsam mit Sarah ins Sozialbürgerhaus gekommen. Die zwei Mädchen haben sich während der Arbeit im Café angefreundet. Ihre Clique von früher vermisst Sarah, die alleine einen 8-jährigen Sohn erzieht, nicht: "Wenn man nicht kriminell werden will, lässt man die Freunde von damals lieber außen vor." Über die zwei Sozialarbeiter im Café sagt sie: Roger und Annette waren die ersten, die etwas in mir gesehen haben.

Der laufende Betrieb des Café future wird über die ARGE finanziert, die Café-Einrichtung und die Zusatzangebote über Spenden. So können die arbeitssuchenden Jugendlichen zum Beispiel Bewerbungstrainings und Vorstellungsgespräch-Coachings besuchen. "30 Bewerbungen haben wir gemeinsam pro Woche verschickt," erinnert sich Sarah. Zu Hause hatte sie noch nicht einmal einen Drucker. Die Vermittlungsquote des Café future liegt bei 60 Prozent. Viele der Jugendlichen arbeiten freiwillig häufiger als die vorgegebenen drei Wochentage. Einzig und allein die Sache mit dem Frühaufstehen wird nach Weihnachten vermutlich wieder schwieriger werden.



Text: anna-kistner - Foto: Anna Kistner

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