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Zum Online-Besuch in die alte Heimat

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Die Deutschen haben Vorbehalte gegenüber Google Street View, sie fürchten um ihre Privatsphäre. Nun kann es natürlich sein, dass ich ganz gut ins Klischee des easy-going American passe, aber mal ehrlich: Ich versteh’ das nicht. Street View ist jetzt seit dem Start in Amerika im Jahr 2007 Teil meiner Onlinewelt und soweit ich weiß, gibt es bislang keine ernstzunehmenden Berichte darüber, dass die Privatsphäre von Irgendwem durch dieses Angebot verletzt worden wären. In Wahrheit heißen viele Amerikaner, mich eingeschlossen, den Dienst willkommen, mit dem man fast jede bewohnte Straße in den USA und viele Straßen in der ganzen Welt erkunden kann. Wir haben uns schnell an die Post-Street View-Welt gewöhnt. Ich habe den Eindruck, dass es Street View (abgesehen von dem Ärger, den der Dienst in Deutschland hat) eigentlich nur noch in die Nachrichten schafft, wenn bemerkenswerte Bilder auftauchen. Neulich lief den Menschen in England ein kurzer Schauer über den Rücken als jemand Street View-Bilder von einem kleinen Mädchen entdeckte, das mit dem Gesicht nach unten auf einem Gehsteig lag. Journalisten fanden dann heraus, dass es dem Mädchen gut geht. Sie hatte einfach nur gespielt und in dem Moment fuhr das Foto-Auto des Internetkonzerns vorbei.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Meine erste eigene Erfahrung mit Street View hatte ich kurz nachdem der Dienst raus kam. Ich habe in den USA in den vergangenen fünf Jahren ziemlich weit von meiner Heimat entfernt gelebt. Um von meiner Wohnung in einem Ort in den nördlichen Rocky Mountains zum Haus meiner Eltern nach Louisiana im Süden des Landes zu kommen, brauchte man mit dem Auto 26 Stunden. 26 Stunden! Deshalb flog ich meist zu meinen Eltern und wahrscheinlich brauche ich nicht extra darauf hinweisen, dass ich sie nicht öfter als ein-, höchstens zweimal im Jahr besuche. Nachdem aber Google Street View meinen Heimatort fotografiert hatte, kann ich mich nun, wann immer ich will, am Computer in meiner alten Nachbarschaft umschauen. Gut, besonders oft mache ich das nicht. Schließlich sind die Fotos in den vergangenen drei Jahren nicht aktualisiert worden. (Ich bin mir da sehr sicher, weil man noch einen Baum im Vorgarten des Anwesens meiner Eltern sieht, der vor einem oder zwei Jahren gefällt worden ist.) Aber auch wenn die Bilder manchmal ein bisschen verschwommen aussehen und die Perspektiven begrenzt sind – es hat was, dieses Panorama anzuschauen. Es fühlt sich lebendiger an als wenn ich nur ein altes Foto in der Hand hätte. Ich glaube, dass einige Amerikaner ähnliche Erfahrungen kennen. Wir leben in einem derart großen Land und viele von uns ziehen weit von zu Hause weg, wenn sie anfangen erwachsen zu werden und ihr eigenes Leben aufzubauen. Wenn dann, weit weg von Zuhause die Sehnsucht kommt und du an deine Kindheit denkst, an all das, was du hinter dir gelassen hast, dann kannst du dich mal eben auf eine Reise begeben. Am Computer. Natürlich gibt es auch sehr einfache Gründe, warum der Dienst praktisch ist. Er hilft bei der Reiseplanung, weil man ein Gefühl für die Gegend bekommt, in der vielleicht das Hotel steht. (Zumindest wirbt der Konzern in seinen Anzeigen mit diesem Nutzwert.) Im August schaffte es dann ein Brite in die Nachrichten, der innerhalb von zehn Tagen einmal quer durch England „gelaufen“ ist. Am Bildschirm. Mit Street View. Was ich damit nur sagen will, ist, dass der Dienst auch die Kreativität der Menschen belebt. Vor ein paar Wochen hat mich zum Beispiel die Website thewildernessdowntown.com umgehauen, die offenbar eigens für eine neue Single der Band Arcade Fire gestaltet wurde. Dabei werden die Dienste Google Earth und Google Street View so kombiniert, dass man sich im Ergebnis ein sehr persönliches Musikvideo anschauen kann. Ich will nicht den ganzen Aufbau der Seite erklären (bei dem sich, habe ich den Eindruck, die Band vielleicht auch von Google hat unter die Arme greifen lassen). Aber man muss sich nur mal vorstellen, wie es ist, ein Musikvideo anzuschauen, bei dem man wie ein Vogel über die Orte seiner eigenen Kindheit fliegt . . . Deshalb habe ich nun, unabhängig davon, was viele Menschen in Deutschland über Street View denken, nur einen Ratschlag für jene Zeit in der Zukunft mitgebracht, in der dieser Dienst auch in Deutschland funktioniert: Habt einfach Spaß damit!

Text: benjamin-cannon - Foto: ddp

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