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Jetzt in Sansibar (6): Was haben Frauen bloß mit Türen zu tun?

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Ich bin jetzt viereinhalb Monate in Sansibar. Zu wenig, um alles verstanden zu haben. Aber genug, um wenigstens so tun zu können. Aus diesem Grund will ich gerne auch etwas zum Thema Frauen sagen. Sansibar ist eine weitgehend islamische Gesellschaft. Das bedeutet, dass es für Frauen einen intimen Bereich gibt, in dem fremde Männer wie ich gefälligst nichts zu suchen haben, denn die Geschlechter sind sehr stark voneinander getrennt. Zur äußeren Abgrenzung gibt es eine große Menge Türen in allen Häusern, hinter denen Frauen in geheimnisvolle Zimmer verschwinden, wenn Männer zu Besuch sind. Wenn Frauen diesen intimen Bereich verlassen, tragen sie zum Beispiel ein Kopftuch oder einen Schleier. Manchmal tragen sie auch Bauchfreies, dann sind sie aber in der Disko und lassen gegen den Willen ihrer Eltern gerade die Sau raus. Meine schwer über einen Kamm gescherte Situationsanalyse lautet: In der Disko sind sie schlecht ansprechbar, weil sie entweder zu betrunken sind oder sich gerade an jemandem reiben. Deswegen kann man dort als Mann eigentlich nicht ungezwungen mit Frauen reden. Auf der Straße mit ihnen plaudern geht leider auch nicht, denn Kopftuch und Schleier bedeuten: „In dieser Kleidung stecken Dinge, die dich nichts angehen“ – und: „Plaudere mich nicht voll, du Mann!“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ungefähr drei Frauen lernte ich aber trotz allem kennen. Da ist zum einen das Zimmermädchen aus dem abgeranzten Hotel, in dem ich in meiner ersten Woche wohnte. Sie bestand darauf, den Staub in meinem Zimmer umzuverteilen, wofür sie notgedrungen mein Zimmer betreten musste. Einmal schloss ich die Tür hinter ihr, weil es zog. Sie schrie, als ob ich ihr ein blutiges Schweinesteak vor die Nase gehalten hätte, rannte zur Tür, riss sie auf und war nie wieder gesehen. Ich hoffe, es geht ihr gut. Ich schrieb in mein Tagebuch: „Merke – niemals Türen hinter Frauen schließen!“ Dann ist da Maryam, die in einem Laden arbeitet, in dem ich Stammkunde geworden bin. Maryam ist die einzige Frau in Sansibar, die ich aufgrund ihres leicht wippenden Gangs sogar mit Ninja erkenne. Die Ninja ist ein Gesichtsschleier, der nur die Augen nicht verhüllt. Früher hieß die Ninja Kizoro, nach den Zorro-Filmen mit dem maskierten Held, aber genau genommen ist der Kizoro nicht nur ein anderer Name, sondern auch ein anderes Modell. Die Ninja ist nach den maskierten japanischen Kämpfern benannt. Ich persönlich finde, dass es für diese Namensgebung einen Preis geben müsste. Als Maryam heiratete, wollte ich ihr etwas zur Hochzeit schenken. Mein Bekannter Edi, der einen Elektroladen führt, sagte: ein Küchengerät, für Frauen auf jeden Fall ein Küchengerät. Sicherheitshalber fragte ich noch ein paar Frauen. Eine sagte: Mixer. Eine andere: Topfset. Maryams Schwester sagte: Rührstab. Es klang für mich wie: „Rührstab! Rührstab! Her mit so einem geilen Rührstab!“ Maryam ist daher die erste und vielleicht einzige Frau, der ich jemals einen Rührstab schenkte. Ich finde, er sieht ein bisschen aus wie ein Phallus, was mir zunächst Sorgen bereitete. Aber zum Glück findet das offenbar außer mir niemand. Zum Dank lud mich Maryam zu sich nach Hause ein. Drinnen wurde ich im Empfangsraum abgestellt und Maryam zog zwar ihren schwarzen Mantel aus, unter dem sie Jeans und Bluse trug, verschwand dann aber schnell hinter einer Tür und kam nur heraus, um mir eine Mango hinzuklatschen und um später Tschüss zu sagen. Ich unterhielt mich derweil mit ihrem Onkel, den sie extra anrücken ließ. Das ist keine Unfreundlichkeit von Maryam, sondern völlig normal: Ein fremder Mann ist zu Besuch, das heißt, dass Frauen flüchten dürfen. Wenn ich hinter ihr hergehen würde, dann könnte man das missverstehen. Ich schrieb in mein Tagebuch: „Niemals ungefragt durch Türen gehen! Einen Rührstab-Phallus zu verschenken ist allerdings kein großes Ding.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und schließlich ist da Azia. Azia verkauft Antiquitäten, die ihre Brüder kurz vorher geschnitzt haben. Ich interessiere mich eigentlich nur bedingt für auf antik gemachte Neuware. Aber bei Azia ist es immer so nett. Azia war einmal für drei Monate in Deutschland, zu Besuch bei Freunden. Sie sagt, sie habe dort fast nie ein Kopftuch getragen, weil sie sich der Kultur gemäß verhalten wollte. Sie sagt, sie habe es fast nur aufgehabt, wenn sie mit ihren Freunden alleine unterwegs war, weil sie wusste, dass die ihr Kopftuch akzeptierten. Bei den anderen Deutschen war sie sich offenbar nicht so sicher. Azia sagt fast nur Gutes über Deutschland, sie hat dort unter anderem die Wörter „Guten Morgen“, „Schlaf gut“ und „Scheiße“ gelernt. „Aber als ich zurück war“, sagt sie, „war ich schon sehr froh, mein Kopftuch wieder tragen zu können.“ Ohne Kopftuch, sagt Azia, fühle sie sich so nackt und angestarrt. Was nun die Türen im Fall von Azia angeht: Ihr Kopftuch ist ihre Tür, eine Tür aus Stoff. Denn das Kopftuch und die Türen bedeuten fast dasselbe: Beide umgrenzen verbotenes Gebiet, zu dem ich und die anderen Männer keinen Zutritt haben. Im einen Fall sind dieses Gebiet: Frauen. Im anderen Fall: auch. Außerdem verkauft Azia in ihrem Laden kleine Modelle von Türen. Die Originale bestehen aus Massivholz; goldfarbene Klöppel sind darin eingearbeitet. Diese Türen sind sehr berühmt für Sansibar; es gibt dicke Fotobände, in denen ausschließlich massivhölzerne Goldklöppeltüren abgebildet sind. Der Legende nach sind sie gemacht, damit sich sogar Elefanten den Schädel brechen, wenn sie ungebeten hineinwumsen wollen. Ich schrieb in mein Tagebuch: „Finger weg von Türen. Das gilt offenbar für Elefanten, Männer und alle anderen Trampel gleichermaßen.“ Azia empfahl mir neulich, als Mitbringsel für Zuhause ein Tür-Modell zu kaufen. So eine Tür, sagte sie, das sei einfach etwas typisch Sansibarisches. Ich bemühte mich um einen erstaunten Blick und sagte: „Echt, oder.“ Fotos: klaus-raab

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