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Jetzt in Sansibar (7): Der Abschied

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Man beginnt, Dinge zu tun, die man nicht für möglich gehalten hätte, wenn man sich lange genug in einer fremden Gesellschaft aufhält. Ich habe zum Beispiel aufgehört, meinen Müll in die Fahrradkörbe fremder Menschen zu werfen, wenn nicht die richtige Tonne aus dem Mülltrennungssystem vor meiner Nase steht. Ich lasse den Müll stattdessen ehrlicherweise einfach auf den Boden fallen oder bringe ihn maximal ums Hauseck zu den Plastikeimern, über die ein Witzbold „Ubalozini“, auf deutsch Botschaftsgegend, geschrieben hat. Das machen alle so in Sansibar; allerdings wühlen nachts die Katzen in den Eimern, so dass die Unterschiede zwischen Entsorgen und Fallenlassen marginal sind.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jeden Morgen gegen sieben beginnt dafür das eifrige Kehren. Mein Mülltrennungstrieb – sortierbar in Neurose, Schuldgefühl, Idealismus und Reflex – wurde von der sansibarischen Gesellschaft, die allerdings so viel weniger Rohstoffe und Energie verbraucht und weniger Abfall produziert als meine eigene, dass es geradezu hochmütig wäre, sich darüber zu beschweren, vorübergehend einfach auf den Müll gekickt. Unsortiert. Das ist das Eine. Das Zweite: Ich interessiere mich hier nur bedingt für die neuesten Alben von Blumfeld und Thom Yorke, dafür sehr für Songs, die „Loverboy“, „Fadhila za Punda“, „Nipepe“ oder „Kwa Fitina Huniwezi“ heißen. Außerdem für Freundschaftsspiele des FC Liverpool. Erstaunlich, gerade letzteres.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nipepe-Sänger Omar Kopa Drittens: Ich esse Reis mit der Hand. Es gilt, damit dies ordnungsgemäß gelingt, mit der Handfläche eine Mulde zu formen, diese mit dem noch heißen zu sich zu Nehmenden aufzufüllen, selbiges in der Faust zusammenzupressen und den auf diese Art entstandenen Nahrungsballen mit dem Daumen aus der Mulde über die Finger in den zuvor geöffneten Mund zu schieben. Als ich diese Technik zum ersten Mal beobachtete, empfand ich sie als ästhetisch gewagt. Ein Freund sagte: „Wir tun das, weil man so nicht den Geschmack des Löffels schmeckt.“ Als ich die Technik dann zum ersten Mal anwandte, hinterließ ich einen prächtig anzusehenden Saustall. Mittlerweile aber bin ich diesbezüglich im Grunde angepasst genug, um jeden einen Barbaren zu schimpfen, der statt der rechten die linke Hand benutzt. Und noch etwas: Ich bin bis vor kurzem der unfundierten, aber festen Meinung gewesen, Hochleistungshandys seien nichts als ein Akku betriebener Fuchsschwanz, ein Potenzersatz mit Display. In Sansibar aber sind tragbare Multifunktionsfunktelefone nicht nur verbreitet, sondern auch nahezu unumstritten beliebt. Mittlerweile finde ich mein Handy funktional und ästhetisch betrachtet – eine Empfindung, zu der ich einem Telefon gegenüber zuvor nicht imstande gewesen war – tatsächlich hässlich. Form follows da offenbar function, oder umgekehrt. Mein Handy besitzt weder eine Kamera - noch eine Videofunktion, ich kann nicht einmal Radio damit hören. Ich kann mir keine Bob-Marley-Hintergrundbilder und keine arabischen Koransprüche darauf laden. Die Menschen in Sansibar akzeptieren dies zwar. Doch ich weiß nun, dass ich damit in der Evolution eigentlich hintendran bin.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Telefonzellen gibt es zwar noch, aber mittlerweile gibt es mehr Handys Und so verändert sich mit den Monaten dieser und auch jener Blickwinkel. Dieser Text handelt also von Veränderungen, die ich über die Monate erfuhr. Davon, dass man vieles auch ganz selbstverständlich anders sehen kann, als so, wie es selbstverständlich scheint. Aber er handelt auch von der Schließung des Kreises. Ich will daher mit dieser letzten Geschichte enden, mit der die Kolumne auch begann: auf dem kleinen Platz in der Nachbarschaft, in den Stunden, die man die Stunden der Jugend nennen kann. Der Tag neigt sich in diesen Stunden dem Ende entgegen, die älteren Männer, die tagsüber unter der Palme auf Steinbänken sitzen, Domino spielen und über Politik debattieren, sind bereits nach Hause zu ihren Familien gegangen; der kleine Kohleofen, auf dem Kaffee gebrüht wird, ist längst weggeräumt, und nur der Playstation-Laden, in dem Fußball und Wrestling die beliebtesten Spiele sind, und der Tante-Emma-Laden, den der alte Mann führt, haben noch geöffnet. Mukrim steht mit Mohammed an der Ecke und drückt auf seinem Organizer herum. Man kann sagen: Alles ist wie immer. Man kann aber auch sagen: Nichts ist wie damals. Fast fünf Monate zuvor war ich in den zweiten Stock des Eckhauses gezogen, und Mohammed hatte gelacht, als ich beim Einzug mit meiner Tasche in der Haustür stecken geblieben war. Als ich ihn und Mukrim kennen lernte, sprachen wir nur darüber, was uns trennte; über die Differenzen zwischen islamischen und westlichen Gesellschaften. Über die Karikaturen, die europäische Zeichner vom Propheten Mohammed angefertigt hatten. Über Terror. Über einen Kampf der Kulturen. Das heißt: Eigentlich sprach nur Mukrim. Er redete sich, verärgert über die Verurteilung des Islam, die er als pauschal empfindet, in Rage, und ich dachte: Das kann ja was werden. Was ich damals nicht wusste, ist: Es sollte in fünf Monaten der nahezu einzige Abend bleiben, an dem wir über diese Themen sprachen.

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Illustration: Julia Schubert

New York und Mekka Diesmal sagt Mohammed: „Morgen geht es nach Hause.“ Und Mukrim fragt: „Wann kommst du wieder?“ „Das kommt darauf an“, sage ich, und das ist die Wahrheit. Mukrim ist mit dieser Antwort zufrieden. Er nickt, presst mich an seine Schulter und drückt mir einen Zettel in die Hand. Dann verschwinden er und Mohammed in der Dunkelheit einer kleinen Gasse. Auf dem Zettel stehen seine Postfachnummer, die Telefonnummer, die ich längst hatte, und seine E-Mail-Adresse. Und darunter: „Nicht vergessen!“ Ich meine zu wissen, was ich nicht vergessen soll: ihn gelegentlich anzurufen. Und dass er eigentlich gerne von mir ein paar neue Sandalen der Marke Keen bekäme, die es in Sansibar nicht gibt, Größe zehn; dass er mich aber eigentlich nicht direkt um sie bitten will. Aber ich glaube, er meint auch: Dass wir immer noch verschieden sind. Und trotzdem Freunde. Fotos: klaus-raab

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