Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Der 364-Euro-Ticker

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

„Der Sozialstaat darf nicht aus dem Ruder laufen, er muss bezahlbar bleiben. Die CSU wird einer Regelsatzerhöhung nur zustimmen, wenn es verfassungsrechtlich überhaupt nicht anders geht.“ (Horst Seehofer, CSU) „Wenn der Regelsatz bei rund 370 Euro liegen soll, dann wird das Prinzip Armut per Gesetz fortgeschrieben. Dieses zutiefst ungerechte, verfassungswidrige und asoziale Geschacher und Getrickse der Koalition darf nicht Gesetzeskraft erlangen.“ (Klaus Ernst, Die Linke) „Haushaltskonsolidierung zu Lasten der Schwachen stellt das Sozialstaatsprinzip in Frage.“ (Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland) „Die Regelsätze für Kinder sind eigentlich zu hoch, die müssen sinken. Das hat eine Verbrauchsstichprobe ergeben.“ (Heinrich Kolb, FDP)

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Spätestens seit wir wissen, dass 359 Euro im Monat zu „spätromischer Dekadenz“ einladen und vom „geistigen Sozialismus“ zeugen, der unser Land durchweht, ist die Höhe des Arbeitslosengelds II ein hierzulande viel- und heißdiskutiertes Thema. Nun steht fest: Zukünftig dürfen sich die 6,5 Millionen Hartz-IV-Bezieher in Deutschland über fünf Euro mehr im Monat freuen, Kinder erhalten je nach Alter weiterhin 251 bzw. 287 Euro. Die Reaktionen auf den Beschluss von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen sind wenig überraschend. Seitens der Koalitionsregierung wird die Entscheidung begrüßt, die geringfügige Erhöhung trifft auf nahezu ungeteilte Zustimmung. Demgegenüber herrscht Empörung bei Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbänden. Man spricht von einem „sozialpolitischen Skandal“, hier werde „Politik gegen die Armen“ gemacht und ein „schäbiges Spiel“ betrieben, das mit dem „Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum unvereinbar“ sei. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2010 entschieden, dass die bisherige Berechnung willkürlich sei und die Regierung so in Zugzwang gebracht. Die derzeit 359 Euro setzen sich aus vielen unterschiedlichen Einzelposten zusammen. So darf ein Erwachsener täglich 4,70 Euro für Nahrungsmittel und Getränke ausgeben, rund 1,20 Euro für Freizeit, Unterhaltung und Kultur investieren und ihm steht immerhin noch ein Euro für Schuhe und Bekleidung zu Verfügung. Inwieweit solche Summen die Bezeichnung „anstrengungsloser Wohlstand“ verdienen, die arbeitende Bevölkerung zu „den Deppen der Nation degradieren“ (abermals Westerwelle) und ob die beschlossene Erhöhung nun tatsächlich nicht mehr ist, als ein „Anschub für die Tabak- und Spirituosen-Industrie“ (Philipp Mißfelder, JU-Vorsitzender), das sei an dieser Stelle mal dahingestellt. Fernab von populistischer Sprücheklopferei frage ich mich: Wie viel Geld braucht es, um das Grundrecht auf menschenwürdiges Leben und gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten? Laut einer kürzlich veröffentlichten Emnid-Umfrage sprechen sich lediglich 36% der Deutschen für eine Anhebung der Regelsätze aus, der Rest ist dagegen oder befürwortet gar Leistungskürzungen. Eine Erhöhung um 10 Euro hätte mit Mehrkosten von knapp 700 Millionen Euro pro Jahr zu Buche geschlagen – das ist fraglos kein Pappenstiel, erst recht nicht in Anbetracht gähnend leerer Kassen und Sparvorhaben an allen Ecken und Enden. Gleichzeitig leisten wir uns aber den Luxus, für Pleitebanken wie die Hypo Real Estate mal eben 140 Milliarden Euro locker zu machen und geben alljährlich mehr als 30 Milliarden Euro für unsere Landesverteidigung aus. Allein die Anfang des Jahres beschlossenen Steuergeschenke für Hoteliers hätten gereicht, um die Grundsicherung um weitere 12 Euro anzuheben. Aber vielleicht sind das ja zwei vollkommen unterschiedliche Themen. Was meinst du dazu, brauchen wir in Zukunft mehr „fordern statt fördern“ und weniger „soziale Hängematte“? Hältst du den gefundenen Vorschlag für einen guten Kompromiss? Denn sparen müssen wir ja bekanntlich alle – und jetzt gibt es sogar mehr Geld, da könne man sich doch wirklich nicht beklagen? Oder wird hier Haushaltskonsolidierung auf Kosten der Ärmsten betrieben und das Existenzminimum an der Kassenlage ausgerichtet? Der Hartz-IV-Ticker!

  • teilen
  • schließen