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Haare für Deutschland

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Schon klar, die Zeiten, in denen ein Bart ein politisches Zeichen des Unangepasstseins war, sind seit langem vorbei. Bärte sind inzwischen nicht mal mehr ein Merkmal der Alternativkultur, sondern modischer Mainstream. Eigentlich könnte man sagen: Barttragen ist das neue Glattrasiert. Doch möglicherweise wird die Gesichtsbehaarung in den nächsten Wochen auch noch zum neuen Schwarz-Rot-Gold, was mit dieser Gaga-Werbekampagne eines Rasierapparatherstellers zu tun hat:  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



„Dein Bart für Deutschland“ fordert dazu auf, den Rasierapparat in den nächsten Wochen nicht zu verwenden – als Zeichen der Unterstützung für die deutsche Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft. Begründet wird die Aufforderung damit, dass Bärte als Glücksbringer im Sport eine lange Tradition hätten. „Wir brauchen jeden Mann und jeden Bart“ heißt es reichlich pathetisch auf der Homepage zur Aktion.

Seit der Fußball-WM 2006 werden bei jedem großen Turnier erneut die Nationalfahnen an die Autos geheftet. Damals freuten sich hierzulande viele über das neue, entspannte Verhältnis zur eigenen Nation: Wie schön, dass es endlich wieder möglich sei, sich zu Deutschland zu bekennen und stolz zu sein, ohne Schuldgefühle zu empfinden! Und zwar in allen Belangen, nicht nur im Sport: In den Jahren zuvor war schließlich auch in der Popkultur ein neues Wir-Gefühl deutlich geworden: MIA hatten mit „Was es ist“ ein Liebeslied an Deutschland geschrieben und Sängerin Mieze hüllte sich auf Konzerten gerne in eine Deutschland-Fahne, Sampler wie „Neue Heimat“ erschienen und eine Radioquote für Musik aus deutschen Landen wurde diskutiert.

Andere dagegen – allerdings wenige – fanden das wieder erstarkte Nationalbewusstsein und das Fahnenmeer befremdlich. Das Unbehagen war zum Teil in der deutschen Geschichte begründet. Manche Kritiker des neuen Patriotismus erinnerten auch daran, dass das Konzept Nation an sich ein ausgrenzendes sei, und fragten, warum man eigentlich auf seine Staatszugehörigkeit stolz sein wolle. Künstler wie Tocotronic und Blumfeld schlossen sich der Initiative „I can’t relax in Deutschland“ an, die damals auch auf jetzt.de intensiv diskutiert wurde, Egotronic schrieben den Song „Raven gegen Deutschland“.  

Der Slogan „Shaven gegen Deutschland“, mit dem nun zum Boykott der Bartaktion aufgerufen wird, klingt nicht nur sehr ähnlich, sondern spiegelt auch die gleiche Haltung wieder: Bitte keine Deutschtümelei. Aber beginnt die schon beim Fußball-Fantum? Und ist "Vaterlandsverrat" per Rasierapparat nicht fast noch alberner?           

Klar ist eigentlich nur: Der Rasierapparathersteller wird wegen bärtiger Fans höchstens minimale Einbußen an verkauften Klingen zu beklagen haben. Der Gewinn durch die Aufmerksamkeit für die Kampagne dürfte das mehr als ausgleichen. Doch für Fans, Bartträger und Patriotismus-Befremdete stellen sich nun einige Fragen, die wir heute im Ticker diskutieren wollen: Ist ein Bart als Zeichen der Unterstützung unproblematischer als eine Nationalflagge? Fühlst du dich als Bartträger vereinnahmt? Kann man jetzt noch bedenkenlos Gesichtsbehaarung tragen? Und was machen eigentlich weibliche Fußball-Fans? Achselhaare wachsen lassen?

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