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Noch 78 Treffen mit Mama und Papa

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Voriges Wochenende habe ich meine Eltern getroffen, wir waren gemeinsam bei einer meiner Schwestern zu Besuch. Alles war wie immer und hätte mich jemand gefragt, wie oft es solche Treffen meiner Meinung nach noch geben wird, dann hätte ich keine Antwort darauf gewusst. „Sehr oft, hoffe ich doch“, hätte ich wahrscheinlich gesagt und schnell über etwas anderes nachgedacht.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Besser als Mama und Papa an der Wand verewigen: Sie besuchen.

Die Seite „See Your Folks“ will erreichen, dass man diesem Gedanken nicht ausweicht. Dem Gedanken daran, dass die eigenen Eltern irgendwann nicht mehr da sein werden, dass sie wahrscheinlich früher sterben als man selbst. Anhand der Angaben, wo man lebt, wie oft man seine Eltern in einem Jahr durchschnittlich sieht und wie alt sie sind, errechnet „See Your Folks“ auf Basis von Daten der Weltgesundheitsorganisation zur Lebenserwartung eine wahrscheinliche Anzahl von verbleibenden Treffen mit den eigenen Eltern. Das wirkt im ersten Moment wahnsinnig morbide, fast zynisch. Aber das Slate-Magazine deutet die kleine Rechenmaschine anders: Sie erinnert einen an Sterblichkeit und Vergänglichkeit und daran, dass man mit der Zeit, die einem mit der Familie bleibt, sorgsam umgehen sollte. Und: Im vergangenen Jahr hat ein Slate-Autor darüber geschrieben, dass solche kleinen Erinnerungen die Menschen glücklicher, mitfühlender und sogar gesünder machen.  

Ich habe meine Angaben auf „See Your Folks“ eingetragen und auf „Show my result“ geklickt. „You will see your parents 78 times before they are expected to die“, stand da. Darüber bin ich erschrocken. Es fühlte sich so an, als sei in meinem Kopf auf einmal ein Countdown gestartet, der sich rasend schnell der Null nähert. Ich bekam Angst, dass ich ab sofort bei jedem Treffen nur noch an diese Zahl würde denken können, dass ich am Ende Treffen vermeide, damit sie nicht schrumpft (was natürlich vollkommen unlogisch wäre). Gleichzeitig war ich plötzlich wahnsinnig froh, dass ich sie beide, Mama und Papa, noch habe.  

Welche wahrscheinliche Anzahl an Treffen errechnet dir „See Your Folks“ und was macht diese Zahl mit dir? Hast du sie erwartet oder bist du erschrocken? Machst du dir manchmal bewusst, dass dir und deiner Familie eine begrenzte Zeit gemeinsam verbleibt? Oder willst du dich damit nicht beschäftigen - und würdest dir darum auch niemals eine Zahl ausrechnen lassen, die dir dann doch nur Sorgen bereitet?

Text: nadja-schlueter - Foto: .marqs / photocase.com

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