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Wie kraftvoll ist große Kunst?

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Um 12.30 Uhr ist sein Gähnen bereits raumgreifend – und ausladend unhöflich. Der alte Mann macht sich nicht einmal mehr die Mühe, die Hand vorzuhalten. Warum auch? Es beachtet ihn ja niemand. Ihn nicht und auch nicht seinen Straßenstand, was ein Unglück für die New Yorker Passanten ist, hinter ihm stapeln sich nämlich Bilder, die – als Laie kann man da nur unscharf schätzen – zusammen eine höhere sechsstellige Summe wert sein dürften. 60 Dollar würde eines kosten. Originalsigniert.

http://www.youtube.com/watch?v=FQ3d-3cwZLQ

Von Banksy natürlich. Dem Straßenkünstler, dem Phantom. Er hat den alten Mann am vergangenen Wochenende geschickt und ihm einen großen Schwung Bilder mitgegeben. Ein einzelnes Gemälde des britischen Graffiti-Künstlers wurde bei einer Auktion jüngst für mehr als eine Million Euro versteigert. Und hier, unweit des Central Parks: umgerechnet knapp 45. Die Aktion könne als Statement zum inflationär teuren Kunstmarkt verstanden werden, heißt es allenthalben. Dabei ist die Frage viel größer: Wie kraftvoll ist große Kunst wirklich? Wirkt sie aus sich heraus - und müsste damit für jeden immer erkennbar sein? Oder wirkt sie nur in einem würdigen Rahmen? Oder stellen sich solche Fragen besonders bei Banksys spezieller Kunst, die ja meist von der theoretisch unendlichen Kopierbarkeit lebt?  

Szenenwechsel: Eine U-Bahnstation in Washington. Kurz vor 8 Uhr morgens – Rushhour. Ein junger Mann – Jeans, langärmeliges T-Shirt, Baseballmütze (Washington Nationals) – spielt Geige. Vor sich sein Violinenkoffer mit ein paar Dollar darin. In 43 Minuten interpretierte er ein paar der ergreifendsten Solo-Violinenstücke, die je geschrieben wurden – darunter Johann Sebastian Bachs Chaconne aus der Partita für Violine solo Nr. 2 d-moll. Nur wenige Menschen können dieses Werk überhaupt erträglich spielen. Am Ende hatte er 32,17 Dollar eingenommen. Es war Starviolinist Joshua Bell. Sein Instrument allein ist mehrere Millionen wert. Die Washington Post hatte den Test erdacht und aufwändig mit Kameras und mehreren Mitarbeitern dokumentiert.  

Die Frage, die über beiden Aktionen und ja eigentlich über Banksys ganzem Oeuvre schwebt (Filmtipp: „Exit Through The Giftshop“), betrifft nicht weniger als den Wert der Kunst an sich. Wie siehst du den? Besteht er für dich unabhängig vom Rahmen, in dem Kunst stattfindet? Ist große Kunst also große Kunst – egal wo sie hängt, tönt oder verkauft wird? Oder braucht Kunst für dich Raum, Zeit und Muße, um wirken zu können? Was ist also für dich, denn darauf läuft es ja hinaus, Schönheit? Eine messbare Größe? Nichts als Ansichtssache? Oder etwas aus beiden Welten, abhängig davon, wer sie in welchem Geisteszustand aufnimmt? Und hättest du – Hand aufs Herz – Bells Spiel oder Banksys Kunst erkannt?

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