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Wie viel "Wir" brauchst du?

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Fangen wir doch mit Tennis an. Der Fußball kann ja nicht immer schuld sein und außerdem ist Philipp Kohlschreiber "ein krasser Idiot". Behauptete Freund J. jedenfalls vor knapp zwei Wochen. Und er sagte es mit der etwas unkontrollierten Inbrunst, die Menschen eher nur entwickeln, wenn etwas in ihnen gegärt hat und sich dann sehr spontan Bahn bricht. Auch laut also.  

Grund für den Ausbruch waren die damals bereits etwas zurückliegenden Querelen um Kohlschreibers fehlendes Davis-Cup-Commitment (die Spiele passten ihm offenbar nicht recht in Turnier- und Trainingsplan und verletzt war er ja auch). "Wenn ich die Möglichkeit habe, für mein Land zu spielen", stellte J. also fest, und sein Ton klang da schon etwas bürstenschnittig, "dann muss das doch das Größte für mich sein." Das befremdete mich.  

Ich kenne J. als grundentspannten, weltoffenen Halodri mit Affinität zu langen Feiern und viel Essen. Patriotismus war mir an ihm bis dato nicht aufgefallen. Ich kann also nicht sagen, ob er immer schon da war (der Patriotismus), oder ob die nahende WM ihn vielleicht weckte. Ich traue mich seither auch nicht, zu ergründen, wie tief das alles geht: "Wenn ich die Möglichkeit habe, für mein Land in den Krieg zu ziehen, dann muss das doch das Größte für mich sein", hat er aber noch nicht gesagt, obwohl es für mich sehr ähnlich klingt. Aber dass "Wir" bei der Fußball-WM in Brasilien jetzt dann dieses oder jenes tun oder dringend lassen müssen, das hört man schon oft von ihm. Von überraschend vielen Menschen ja.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wieviel davon willst du?

Ohne jetzt ganz tief einsteigen zu wollen, halte ich alle Nationen für ein widerwärtiges Konstrukt, begründet auf nichts anderem als einem gigantischen Gewaltakt, der zum Ausschluss aller führte, die eben nicht drinnen sind. Wer das jetzt für jahrhundertealte Linken-Phrasen hält: stimmt schon. Trotzdem zum Beispiel mal in die Krim schauen. Da kann man das grad ja wieder ganz gut beobachten. Nahostkonflikt auch.  

Egal. Es gibt ja auch besonnene Zeitgenossen, den Bundespräsidenten zum Beispiel, der der Deutschtümelei weithin unverdächtig ist, und der freut sich in der Bild auch sehr auf die WM. Das Motto "alle im gleichen Rhythmus" klinge nämlich "wie ein kraftvolles Anfeuern oder wie ein großartiges Versprechen auf Gemeinschaft, Gefühle, Ausgelassenheit! Ich muss an das Sommermärchen 2006 denken, als wir Gastgeber waren."  

Deshalb also: Wie hältst du’s mit alldem? Kannst du das Wir-Gefühl verstehen? Ist es für dich etwas, das Menschen Kraft gibt? Weil es gar in unserer Natur begründet ist, dass wir uns abgrenzen wollen? Gibt es das für dich: ein positives Gemeinschaftsgefühl innerhalb einer Nation? Fahnen am Auto? Schwarz-rot-goldene Schminke im Gesicht? Patriotismus: gut; Nationalismus: schlecht? Oder zwei Seiten derselben Medaille? Und welche Rolle spielt der Sport da? Oder, zusammengefasst: Wie viel "Wir" brauchst du?

Text: elias-steffensen - Bild: dpa

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