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Die sollen sich gefälligst nicht so anstellen, wenn man einmal in drei Monaten auf ein paar Bier nach Hause einlädt und es mal lauter wird. Noch dazu am Wochenende. Die langweiligen Nachbarn. So denke ich mir das immer, natürlich, denn ich bin jung, lebenslustig, und sehr tolerant.

Dachte ich.

Kürzlich passierte mir nämlich Folgendes: Ich wollte einen ruhigen Abend allein zu Hause verbringen. Badewanne, Film, Stille, herrlich! Doch die neue WG über meiner Wohnung feierte. Und zwar richtig. Es war kein gesittetes Bier trinken  -  sondern hörte sich nach Stampfen, Schreien, Kreischen an, so als hätten sie neben drei Jugendzentren und zwei Metalbands auch einen Betonlaster in ihre Wohnung eingeladen und alle gemeinsam beschlossen, jetzt mal so richtig aufzudrehen. Kreisch, quietsch, schrammel, nz, nz, nz, rumpel, donner, knall, wumms. Und so weiter, Dauerschleife. Und durch das Treppenhaus, trampel trampel trippel trippel, hoch und runter. Das Ganze war gerade einmal zehn Minuten am Laufen, da hatte ich das Gefühl, mir brannten alle Sicherungen komplett durch. Ich wütete wie ein Rumpelstilzchen. Was versauten die da oben mir eigentlich meinen bestens geplanten Ruheabend? Wochenende hin oder her, ich hatte große Lust, hochzurennen und ihnen die ganze Bude einzuschimpfen.

Mit allen Kräften hielt ich mich davon ab. Nach ein paar Minuten war ich zwar immer noch empört über den Lärm über mir, mindestens genau so empört war ich aber plötzlich auch über meine Wut. Was für ein elendiger Spießer ich war. Mit meinen 23 Jahren die hysterische Musik-aus-Oma zu spielen, mit dem Besenstiel an die Decke zu hauen. Ich habe das natürlich nicht getan, ich habe mich ja zusammengerissen. Aber es hätte nicht mehr viel gefehlt. Es hätte wirklich nicht mehr viel gefehlt.
Letztendlich war alles weniger schlimm als erwartet, schon um ein Uhr nachts hatte ich meine heißersehnte Ruhe.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert




Ich frage mich jetzt: Was, wenn das wieder passiert? Ab wann habe ich das Recht, meinem erhitzten Gemüt nachzugeben und mich ernsthaft zu beschweren? Ich glaube nicht, dass ich es das nächste Mal aushalte und den Lärm einfach ignorieren werde. Oder doch? Irgendwie muss man doch auch für seine Gefühle einstehen, oder? Macht alles andere nicht eines Tages grau und griesgrämig? Wie gehst du mit Nachbarschaftslärm um - wieviel Spießer steckt in dir?


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