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Der Vertrag mit dem Schlächter

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„Hallo? Spreche ich mit dem Tierheim?“ „Ja, Mayers am Apparat.“ „Ich rufe aus folgendem Grund an: Haben Sie Esel oder Kleinpferde, also Ponys? Oder meinetwegen irgendwas anderes in der Größe?“ „Nein, tut mir Leid. Wir haben Katzen, Hunde, Meerschweinchen, Kaninchen und Hammerhaie, aber…“ „Hammerhaie?!“ „Hahaha, kleiner Scherz… nein. Esel haben wir nicht. Auch keine Ponys.“ „Schade. Und wissen Sie zufällig, ob es in irgendwelchen anderen Tierheimen Esel, Mulis, Ponys gibt?“ „Nein, das kann ich Ihnen leider nicht sagen, Herr Lamp.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Illustration: Daniela-Pass Die Suche nach einem Esel gestaltet sich schwieriger als gedacht. Dabei ist doch alles andere schon vorbereitet. Aus einem Stück Umzugskarton habe ich zwei Schilder gebastelt und meine Thermos-Tasse mit dem Abbild eines Rotfinken vorne drauf steht auch schon parat. Ich habe eine ausgeleierte Trainingshose aus dem Altkleidersammelcontainer gezogen und seit drei Tagen bei einem befreundeten Zoofachhändler im Tierfutterlager deponiert. Der Geruch muss stimmen, wenn es an das Mitleid und die Geldbörse der Fußgängerzonenmenschen geht. Zirkusgeruch, bitte! Fehlt nur noch der verschissene Esel. Das kann doch nicht sein, daß es hier in Berlin keine Möglichkeit gibt, irgendwo billig einen Esel zu bekommen. Der muß ja nicht mal gesund sein – je magerer, desto besser! Vielleicht haben die beim Filmtierverleih ja einen Esel für mich. Ein Anruf. Es gibt: Hunde, Katzen, Mäuse, Ratten, eine Gambia-Riesenhamsterratte gar, eine Bartagame und einen Wolf, aber Esel: Fehlanzeige. Was ist nur aus Deutschland geworden. Früher, in meiner Jugend, da hätte man an jeder Straßenecke einen Esel angeboten bekommen, und jetzt: Bartagamen! Riesenratten! Ob meiner Bestürzung, dass schon wieder eine meiner Riesen-Geschäftsideen durch die in meinem Heimatland herrschenden Verhältnisse zunichte gemacht wird, dass im Rahmen der Globalisierung nicht nur Arbeitsplätze nach Rumänien, Indien oder Afrika verlagert sondern zu allem Überfluss auch noch heimische Nutztiere im Filmbusiness chancenlos gegen ausländische Billigbartagamen sind, bekomme ich Hunger. War es bei Edison, angeblich, ein vom Baum fallender Apfel, der ihn die Schwerkraft entdecken und definieren ließ, so ist es bei mir eine Salami, die ich im Gemüsefach vergessen hatte. Schnell im Internet recherchiert und eine knappe Stunde später stehe ich im Nordwesten Berlins in einer Rossschlächterei. Dem Rossschlächtermeister stelle ich mich als tierlieben Stoiker vor. „Mein Name ist Florian Lamp und ich wollte Sie um einen kleinen Gefallen bitten. Ich weiß, dass Sie nur ihrem Beruf nachgehen, wenn Sie Pferde und andere wiehernde Huftiere zu Fleisch verarbeiten“ ´Was?` scheint der Blick des Schlächters zu fragen. „Ich bin von der „Stiftung Tierwunsch“ und wir setzen uns für Tiere im Todestrakt ein, Tiere, die ihrem Schicksal nicht mehr entgehen können. Unser aktuelles Projekt ist es, Kleinpferden, die vorm Gang zum Schlachter stehen, noch ein letztes Mal die Schönheit der Natur zu zeigen. Deswegen wollte ich sie fragen, ob Sie mir erlauben würden, mir eines ihrer Schlachtpferde für nächsten Dienstag auszuborgen…“ „Aber wie stellen Sie sich das vor?“ „Ich würde am frühen Morgen vorbeikommen, das Pferd in Empfang nehmen und dann mit ihm einen wunderschönen Frühlingstag im Tiergarten genießen. Abends würde ich es Ihnen selbstverständlich wieder wohlbehalten abliefern. Hier, ich habe mir erlaubt, einen Vertrag aufzusetzen. Bitte: Mein Personalausweis, damit Sie wissen, daß ich kein Betrüger bin.“ „Ja, … und was habe ich davon?“ „Sie haben einem Pferd am Lebensabend noch etwas Gutes getan und außerdem erhalten Sie eine gerahmte Urkunde, laut der sie sich am Projekt „Ritt in den Sonnenuntergang“ der „Stiftung Tierwunsch“ beteiligt haben.“ Mit einem Handschlag besiegeln der Schlächter und ich den Vertrag. Nächsten Dienstag werde ich Kasse machen. Und zwar ordentlich.

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