Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Meine Band

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Nachdem ich wieder mal eine Absage auf eine meiner Bewerbungen im Briefkasten gefunden habe, schalte ich den Fernseher ein. 50 Cent rappt darüber, dass man reich werden oder beim Versuch reich zu werden, sterben solle. Anschließend erzählt er im Interview, dass er der erste Rap-Milliardär werden wolle. Ich überlege kurz, ob ich auch rappen sollte, entscheide mich dann aber für den einfacheren Weg, Musikmilliardär zu werden. Elvis Presley, Mick Jagger, Paul McCartney - in der Rock/Pop-Sparte gibt es immerhin schon erfolgreiche Beispiele. Ich wähle eine Telefonnummer und mache ein Vorsingen aus.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Inga, die beste Freundin meines guten Freundes Bruno spielt in einer Band. Einer Band, die einen Sänger sucht. Da ich von meinen Gesangsleistungen überzeugt bin, also im negativen Sinn, beschließe ich, bei Inga und den „Red Devilz“ zum Vorsingen vorbeizukommen. Ich werde singen und sie werden es hassen und sagen: „Hm... neee... tut uns Leid, aber...“. Wie bei allen Bewerbungsschreiben, die ich rausschicke eben (Vgl. meinen neuen Rekord, aufgestellt von der „Neuen Pallas Film“. Nur 36 Minuten nachdem ich meine Online-Bewerbung abgeschickt habe, habe ich eine Mail im Postfach „Es tut uns Leid, aber Sie entsprechen nicht unserem Anforderungsprofil“). Ich liebe es, wenn ein Plan scheitert. Es ist Freitag und mein Vorsingtermin steht an. In Richtung Wuhlheide marschiere ich durch einen Wald zum Proberaum, der in einem kleinen Seitengebäude untergebracht ist. Vor der Türe steht Tim und fegt den Hof. Dabei trägt er eine mit Wasser gefüllte Colaflasche ohne Etikett auf dem Kopf und nickt mir freundlich zu. Die Flasche bewegt sich mit, fällt aber nicht. Heute findet im Raum nebenan Jugenddisco statt - dass es so etwas heute noch gibt - 15 türkische Jugendliche sammeln sich vorm Eingang, nachdem eine Vorhut festgestellt hat, dass „noch keine Frauen“ da sind. „Haste mal ne Zigarette“, wird der Schlagzeuger Mike (tätowierte Arme, jobbt in der Autowaschanlage und gibt Kindern für umsonst Schlagzeugunterricht, hat einen Hund namens Aristoteles, den er als Welpen aus Griechenland mitgebracht hat. „Die erste Guns N Roses war eine Offenbarung für mich!“) gefragt. Weil er ein guter Mensch ist, gibt er dem 14-Jährigen eine. 50 Cents „Candyshop“ basst aus dem Gebäude. Einer der Jungs hat „eine Frau“ entdeckt, die sich mit einem Bekannten im Garten nebenan versteckt unterhält. Der Platz vorm Eingang leert sich, der Garten sieht aus, als gebe es etwas umsonst. Zwölf junge Türken beäugen das Mädchen. Die Band beschließt, anzufangen. In der Woche habe ich „I believe in Candy Shops“, Entschuldigung, „I Believe In Miracles“ natürlich, von den „Ramones“ geübt und mir von Zuhause Guns N Roses-CDs schicken lassen. Mike meint, dass sich das alles ganz gut anhöre, besonders, wenn ich „so aggressiv abginge“ mit der Stimme, Aristoteles verfolgt seinen eigenen Schwanz, wenn er nicht gerade versucht, das Verstärkerkabel durchzubeißen und Gitarrist Marco (ein gemeinsamer Freund nennt ihn nur „den Satan“, schwarze längere Haare, Installateur, Gitarre, Bart, Band-T-Shirt von „Sodom“) fragt mich nach dem Ende des Vorsingens, ob ich etwas gegen Alkohol habe, weil ich nichts getrunken habe und dann ein bisschen mehr Bewegung reinkäme, Gitarrist Andy fällt ihm ins Wort und nickt mir zu: „Du MUSST keinen Alkohol trinken hier!“ Auf der zweiten Probe wird er mich auffordern, privat Kette zu rauchen und Whiskey zu trinken, „aber nur für die Stimme...“ Tim betritt das Zimmer mit der Flasche auf seinem Kopf, er muss sich ein bisschen bücken in der Tür, aber der Raum selbst ist hoch genug für ihn und die Flasche. Nach und nach verlässt die Band die Räume und Tim erzählt mir, dass es mit Deutschland bergauf ginge, wenn denn die „Konver..., Konserta...“ „.Meinst Du die Konservativen?“ „Ja, die Konversativen.“ Und auch die anderen sich mehr der Natur widmen würden, mehr Grün, Bäume und weniger Straßen. Zum Schluss singe ich mit der Band noch zweimal „Mama Kin“ von Guns N Roses und einmal „I Believe In Miracles“. Inga, Marco, Mike und Andy wollen, dass ich unbedingt wieder komme das nächste Mal. Ich bin in einer Band! Ich bin Sänger in einer Band! Bei der nächsten Probe wird mein Gesangsproblem in Angriff genommen. Nach einmal „I Believe In Miracles“ fragen mich Inga und Mike, ob ich nicht mehr „Rotzen“ könne. Der Gesang sei ja nicht schlecht und für ruhigere Parts in anderen Stücken ganz gut geeignet, aber auf den meisten wäre halt die härtere Gangart gefragt. Und dann rotze ich, ich rotze „Mama Kin“, ich singe und rotze „Blue Suede Shoes“, ich rotze und singe „I Believe In Miracles“. Als ich ausgerotzt habe, spielen mir meine Kollegen ihre restlichen Lieder vor. Viel Material zum Rotzen, weniger für meine Gesangsstimme, die „ein Tenor“ ist, wie mir Inga mitteilt. Ich bin nicht nur in einer Band und in der Band der Sänger: Ich bin auch noch Tenor. Wie Pavarotti, Carreras und wie hieß der Dritte? Der Dritte halt. Die nächste Probe läuft etwas aus dem Ruder: Tim, der mit der Wasserflasche, will rappen und bittet Inga, ihren „Bass wie die Sonne zu spielen“, Mike tickt leicht aus, weil Tim mir das Mikrophon nicht mehr geben will, ich rotze, was das Zeug hält, schwitze dabei so, dass es nicht mehr schön ist und bekomme Kopfweh. Freunde und Freundinnen der Band beobachten das Treiben, zwischendrin ergeben sich interessante Gespräche. Marco meint, die Politik in Deutschland steuere klar auf einen Krieg als Lösung der Wirtschaftskrise zu. Andy meint, auch er als Biochemiker werde keinen Job finden, dazu hat er Probleme an seiner Gitarre und kriegt immer einen Schlag, wenn er sie in die Hand nimmt. Dabei hat er doch alle Bruchstellen im Kabel mit Duct Tape umwickelt. Freund Bruno meint, er möge die Musik zwar nicht, aber ich sänge richtig gut. Ich verbessere ihn nicht, denke mir nur: „Ich singe nicht! ICH ROTZE.“ Der Abend endet in Spandau in der Walfischbar, wo Bruno und ich Tim zu je einem Milchkaffee einladen, uns mit Cola bescheiden und frühere Bandfotos bestaunen. Bandfotos vom allerersten Auftritt: „Das war auf einem Didgeridoo-Festival. Ich kannte den Veranstalter und dann standen wir da oben auf der Bühne. Und dann waren da auch so ein paar Behindertengruppen, die dann, als wir angefangen haben, voll abgegangen sind. "EYY! MEHR E-GITTARRE! BAM BAM BAM, BAM BAM BA BAM!“. Ein mongoloider Jugendlicher macht Breakdance zu „MEHR E-GITTARRE“, die „Red Devilz“ stehen auf einer riesigen, professionell anmutenden Bühne, die Sonne scheint, 14 Uhr nachmittags. Bandfotos von den Aufnahmesessions für die erste, immer noch unveröffentlichte CD mit Computern und Aufnahmezeugs im Tischtennisraum, in dem auch die Jugenddisco stattfindet, Bilder vom größten Auftritt auf einem selbstorganisierten Festival mit mehreren Bands. Ich bin ein „Red Devil“ aus Berlin. Wenn es auf herkömmlichen Weg nicht funktioniert, Geld zu verdienen, dann werde ich jetzt eben ein reicher Rockstar oder sterbe dabei. Fürs erste werde ich aber nebenbei weiter Bewerbungsmappen verschicken, glaube ich. Illustration: Daniela Pass

  • teilen
  • schließen