Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Unterwegs mit Deutschlands einzigem Punkrock-Richter

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Wenn Schulklassen eine Verhandlung am Sozialgericht Berlin besuchen, begegnen sich Yonas’ beide Welten manchmal. Neulich stand nach der Sitzung mal wieder ein Mädchen vor dem Richterpult und hielt ein paar CDs in der Hand. Sie wollte ein Autogramm von ihm, dem Vorsitzenden Richter. Doch an dem Gericht herrschen Kontrollen wie am Flughafen. Und so hatten die Sicherheitsleute ihr den Filzstift abgenommen, bevor sie den Saal überhaupt erreicht hatte. Eine Anekdote, wie sie nur Yonas Farag erzählen kann - Deutschlands einziger Richter, der auch Punkrocker ist.

Es ist Donnerstagvormittag in Berlin. In der Nähe des Wannsees fährt ein weißer Mercedes Sprinter auf einen Parkplatz. Dellen, Kratzer und Aufkleber-Reste, eine Schiebetür, die nur noch von außen aufgeht. Selten sieht ein Bandbus so sehr nach Bandbus aus. Yonas Farag, 33, nimmt noch einen Zug an seiner Kippe, hievt seinen Rollkoffer auf die Rückbank und steigt hinterher. Wenn er wie heute Morgen noch im Büro war, stößt er als letzter zur Band. Bassist Hirsch und Schlagzeuger Max Power sitzen schon da. Sie machen sich auf den Weg nach Cuxhaven. Am Abend spielen sie dort auf dem Deichbrand-Festival. 
text richter rocker 1

Yonas Farag bewegt sich in zwei Welten, die unterschiedlicher kaum sein könnten.

Fotos: Kevin Kummer / Monika Keiler

Yonas Farag ist Gitarrist bei Montreal, einer der bekannteren deutschen Punkbands. Seit 2003 haben sie fünf Alben aufgenommen und sind durch 17 Länder getourt. In der gleichen Zeit hat Yonas auch Jura studiert, ist Rechtsreferendar geworden, dann Staatsanwalt. „Punk wird ja häufig verstanden als Dosenbier und Schäferhunde“, sagt er. „Davon sind wir weit entfernt.“ Heute ist er Richter am Berliner Sozialgericht. Und immer noch bei Montreal.

Die Frage: Punk und Staatsdienst, ist das noch ein Widerspruch? Yonas arbeitet immerhin in einem Land, in dem der Fraktionschef der CDU nach dem Wahlsieg bei der Bundestagswahl 2013 einen Song der Toten Hosen gegrölt hat. Wie subversiv ist Punkrock noch? Und wie liberal der Justizapparat, wenn es um die Hobbys seiner Beamten geht? Die Geschichte von Yonas Farag zeigt, dass es im Jahr 2015 womöglich keinen besseren Job für Punkrocker gibt, als Beamter im Staatsdienst zu sein.

 

Die Berliner Senatsverwaltung bestellt Yonas ein. Auf dem Tisch: Songtexte seiner Band

Dabei macht Yonas zu Beginn seiner Juristenlaufbahn andere Erfahrungen. Als junger Staatsanwalt klingelt einmal das Telefon im Sitzungssaal. Die Senatsverwaltung für Justiz, die oberste Aufsichtsbehörde der Berliner Gerichte, bestellt Yonas für den nächsten Tag ein. Als er zum Termin erscheint, liegen Songtexte seiner Band ausgedruckt auf dem Tisch. Zum Beispiel der zum Song „Solang die Fahne weht“, die erste richtige Single von Montreal. Das Video läuft zu der Zeit auf MTV. Es geht um Anpassungsdruck in den Subkulturen. Eine Zeile lautet: „Hast du keinen Nietengürtel, bist du nichts in deinem Viertel“. „Meine Vermutung ist, die haben einfach den Titel gelesen und an die Neonazi-Wiking-Jugend oder so was gedacht“, sagt Yonas.

Die Bedenken kommen nicht von irgendwoher. Tatsächlich arbeitete im oberfränkischen Lichtenfels bis vergangenes Jahr ein bekannter Neonazi als Richter. War den Behörden vorher irgendwie entgangen. In Baden-Württemberg wurde wiederum ein Lehrer und Death-Metal-Musiker 2010 von der Schulaufsicht gedrängt, sein Referendariat abzubrechen. Vorwurf: Seine Band Debauchery würde Gewalt und Missbrauch von Frauen verherrlichen. Yonas sitzt also in der Senatsverwaltung und erklärt, was Montreal so machen. Am Ende glauben sie ihm, dass die Band mit Rechtsextremismus nichts zu tun hat. „Ich dachte, die Sache hat sich damit erledigt.“

Doch bald darauf meldet sich das Vorzimmer des Generalstaatsanwalts, des obersten Staatsanwalts in Berlin. Yonas muss wieder antreten. Zwei Stunden dauert das Gespräch diesmal. Musik fällt unter die Kunstfreiheit und muss nicht als Nebentätigkeit genehmigt werden. „Ich glaube, er wollte mir ins Gewissen reden, dass ich das trotzdem besser bleiben lasse. Der hat das Reizwort Punk gehört und uns sofort in einer Ecke verortet.“

Später bekommt Yonas einen Brief, in dem nur steht: Einer Genehmigung bedarf sein Hobby nicht. Alles gut. Yonas und seine zwei Bandkollegen kommen aus der Kleinstadt Schwarzenbek östlich von Hamburg. 1999 fangen sie an, zusammen Musik zu machen, seit 2003 als Montreal. Da ist Yonas schon Jurastudent. „Nach dem Abi wollte ich erst mal Musik machen. Ich dachte, nebenbei kann ich noch was Sinnvolles tun. Dümmer wird man davon ja nicht.“ Der Band wegen bleibt er zum Studieren in Hamburg. Im vierten Semester erscheint das Debüt-Album „Alles auf Schwarz“.

 

Das erste Staatsexamen schreibt Yonas 2006 – parallel ist er mit der Bloodhound Gang auf Tour

Ankunft auf dem Deichbrand-Festival. Ausladen, Aufbau, Warterei und ein paar Wodka-Bull. Dann gehen Montreal auf die Bühne. Das Rockfestival gehört mit 45 000 Besuchern inzwischen zu den größten in Deutschland. Der Donnerstag ist ein Warmlaufen fürs Wochenende, noch sind nicht alle Besucher angereist. Zur Showtime um 19 Uhr ist das Zelt ordentlich gefüllt. Das Karohemd, mit dem Yonas morgens aus dem Büro gekommen ist, hat er abgelegt. Darunter trägt er ein weißes, ärmelloses Shirt. Es wirkt wie ein klassisches Unterhemd, wie es Leute mit Bürojob eben so tragen. Wäre da nicht der Schriftzug auf der Vorderseite: „Fass mir an die Füße“ – ein Fanshirt der befreundeten Punkband Das Pack. Dazu trägt Yonas immer noch eine graue Jeans und Leinenturnschuhe.

Für die Verwandlung vom Richter zum Punkrocker muss er sich nicht umziehen. Das erste Staatsexamen schreibt Yonas 2006, parallel ist er mit der Bloodhound Gang auf Tour. „Am Montag hatte ich eine Prüfung, am Samstag zuvor haben wir in Nürnberg gespielt. Auf der Rückfahrt ist unser Bus liegengeblieben. Das war der Moment wo ich dachte: Jetzt geht’s zu Ende. Aber irgendwie sind wir nach Hamburg zurückgekommen und das war meine beste Klausur im ganzen Examen.“ Im entscheidenden Jahr seines Studiums spielen Montreal mehr als hundert Konzerte. 

 

Was tun, wenn die Gerichtspräsidentin fragt, ob man auf der Weihnachtsfeier spielen möchte?

 

Yonas’ Arbeitsplatz, das Sozialgericht Berlin, liegt direkt gegenüber des Hauptbahnhofs. Ein Neorenaissance-Bau von 1875, große schwere Eingangstür, alte Holztreppen führen nach oben. In Sitzungssaal 208 sitzt Yonas in Robe, neben ihm zwei ehrenamtliche Richterinnen. Eine Vertreterin des Versorgungsamts kommt mit Rollköfferchen herein, kurz darauf der Kläger, ein Rentner im gestreiften Hemd. Seit einem Herzinfarkt hat er einen Schwerbehindertenausweis, irgendwann kam noch Diabetes dazu. Er klagt auf einen höheren Grad der Behinderung. Yonas hört sich die Beschwerden des Mannes an, fragt nach, zitiert aus Gutachten. Die Sitzung gleicht mehr einem Beratungsgespräch als einer Verhandlung. In dem Fall sieht er keine Chancen für die Klage. Auf seinen Rat hin zieht der Kläger sie zurück. „Seien Sie vorsichtig“, sagt Yonas zum Abschied, langsam verlässt der Mann den Saal.

 

Yonas’ Büro im Sozialgericht liegt in einem Anbau an das historische Gebäude. Eine kleine Topfpflanze steht darin, Wasserflaschen, auf dem Tisch liegen Akten, daneben ein paar überreife Bananen, die einen süßlichen Geruch verbreiten. Nichts deutet darauf hin, dass hier der Gitarrist einer Punkband seine Urteile tippt. Wenn Yonas direkt von der Arbeit in den Tourbus steigt, braucht er Zeit zum Umschalten. Auf weiten Strecken hat er manchmal Akten dabei. Die fünfstündige Fahrt zum Deichbrand nach Cuxhaven fällt auf eine ruhige Woche am Gericht. Yonas döst, blättert durch die Zeit und den Kicker. Die ersten Stunden spricht er wenig. „Bei uns wird zwar nicht groß rumgepöbelt und gesoffen, aber das sind halt meine besten Freunde und mit denen rede ich anders als mit Klägern oder Anwälten.“

 

In Yonas’ Beruf geht es um Menschen, die auf einen Schwerbehinderten-Parkausweis hoffen. Im Tourbus geht es darum, dass der Kaiser’s im Wedding abgerissen wird – „der einzige Supermarkt, den man mit dem Auto anfahren konnte, um nach Festivals das Leergut abzugeben. Da kommt ja schon immer einiges zusammen.“ Ist er auf der Bühne und im Verhandlungssaal der gleiche Typ? Zumindest erfüllt er beide Rollen mit großer Unaufgeregtheit. Auf Tour haben Montreal nur einen Soundmischer dabei, sonst machen sie alles selbst. Sie gehen einfach auf die Bühne, sagen „Hallo“ und legen los.

 

Nach dem Konzert posiert Yonas im Graben vor der Bühne für Selfies. Vor einer Gerichtssitzung reicht er den Beteiligten die Hand, fragt nach, ob die offenen Fenster okay sind. Dass bei seinem Eintritt in den Saal alle aufstehen, scheint ihm eher unangenehm zu sein. Manchmal sagt er sofort: „Bleiben Sie sitzen.“ Im Backstage-Bereich eines großen Festivals geht es zu wie auf einem großen Familientreffen. Nur mit mehr Alkohol und weniger Frauen. Man begrüßt sich, trinkt ein Bier zusammen, spielt eine Runde Tischtennis. Irgendwann komme natürlich oft die Frage, was man sonst eigentlich so mache. „Manchmal gab es erstaunte Blicke zu meinem Beruf.“ Aber eine Diskussion darüber hat er noch nie geführt.

 

Eigentlich ist sein Job sogar ziemlich praktisch für ein Musikerleben. Montreal waren im Frühjahr auf einer kleinen Deutschland-Tour, im Sommer spielen sie große Festivals, im Herbst nochmal eine Clubtour. Alle zwei Jahre gehen sie ins Studio. Um das Management kümmert sich zwar Hirsch, aber auch Yonas ist gut beschäftigt. Trotzdem reichen die Einnahmen nicht, dass alle drei Bandmitglieder davon leben könnten. Das Richterdasein bietet Yonas ein sicheres Einkommen mit vielen Freiheiten: Wenn nicht gerade Verhandlungen anstehen, deren Termine er selbst festlegt, hat er keine festen Arbeitszeiten. Niemand kontrolliert seine Anwesenheit am Gericht. Normalerweise geht er trotzdem jeden Tag ins Büro. „Für den Auftritt am Donnerstag hatte ich einfach zwei Tage vorher Urlaub beantragt.“

 

Andere Jobs beim Staat sind ähnlich Band-kompatibel. Yonas kennt eine ganze Reihe Leute aus befreundeten Punkbands, die als Lehrer arbeiten: Der Sänger der Band Benzin, die sich im April nach zehn Jahren aufgelöst hat. Auf dem Deichbrand redet Yonas darüber mit den Jungs von KMPFSPRT, von denen gleich zwei als Lehrer arbeiten. Auch die Hamburger Skapunk-Legenden Rantanplan hatten lange einen Lehrer in der Band. Es gibt natürlich auch politische, linke Punkbands, die niemals einen Eid auf den Staat leisten würden. Aber viele Punkrocker führen ein erstaunlich bürgerliches Leben. „Was mir daran gefällt, ist die Narrenfreiheit, die man hat. Ich will aber auch nicht mit allen in einen Topf geworfen werden. Viel linker Punk ist stumpfes Parolengedresche.“

 

Seit dem Termin beim Generalstaatsanwalt muss sich Yonas am Gericht nicht mehr für seine Musik rechtfertigen. Die Gerichtspräsidentin hat mit seinem Hobby kein Problem. „Als wir das letzte Mal mit Montreal in Berlin gespielt haben, waren sogar richtig viele Richterkollegen da.“ Sie habe ihn auch gefragt, ob er nicht auf der Weihnachtsfeier spielen könne. In solchen Momenten hält Yonas die beiden Welten dann doch lieber auseinander.

  • teilen
  • schließen