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3000 Euro brutto für die Spenglerin

Foto: Nell Killius; Bearbeitung: jetzt

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Jennifer Konsek ist 20 und seit Sommer 2018 mit ihrer Lehre zur Spenglerin fertig. Sie arbeitet als Junggesellin im Dachdecker-Betrieb ihres Vaters in München. Dass sie mal etwas Handwerkliches machen würde, war ihr schon lange klar: „Ich brauche Bewegung. Nur Rumsitzen ist nichts für mich.“

Die Motivation

Traumberuf Dachdeckerin? Nein, das war es eigentlich nicht, jedenfalls nicht von Anfang an. Eine Zeitlang konnte ich mir Schreinerin sehr gut vorstellen, aber dann hab ich mir überlegt: Wenn Leute das notwendige Kleingeld haben, lassen sie sich ihre Möbel bauen, aber das Geld kann ausgehen und damit auch die Aufträge. Und was mach ich dann? Ein kaputtes Dach muss man einfach reparieren! Also dachte ich: Spenglerin ist besser.

Als Spenglerin arbeite ich mit Blech. Ich verlege keine Ziegel, sondern verkleide Gauben, fasse Kamine ein, befestige Regenrinnen. Bis auf das Material arbeite ich genauso auf dem Dach wie Dachdecker. Inzwischen hab ich sogar gemerkt, dass ich Holz gar nicht so sehr mag. Da fliegen Sägespäne, es ist dreckig.

Der Weg

Gelernt habe ich bei meinem Vater, nach meinem Realschulabschluss. Da war ich 17 Jahre. Ich hab Glück gehabt, weil ich von Anfang an richtig eingebunden war und nicht nur die Aufräumarbeiten erledigen musste. An meinem ersten Arbeitstag hat mein Vater mir die Flex in die Hand gedrückt und gesagt: „Jetzt flex mal die Dachziegel.“

Die Lehrzeit dauert dreieinhalb Jahre, da lernt man von der Pike auf alles, was man für das Handwerk praktisch können muss. Alle fünf Wochen ist man für zwei Wochen in der Berufsschule und bekommt das Fachwissen beigebracht, Materialkunde, die ganzen Regeln – den theoretischen Teil eben. Ich hab aber verkürzt auf drei Jahre. Das ging, weil meine Noten in der Berufsschule gut genug waren.

Ich wollte möglichst schnell aufs Dach. Die Zeit in der Berufsschule fand ich eher nervig, weil ich nie bei einer Baustelle komplett dabei war. Wir machen sehr viel Dachsanierung. Am Anfang war ich dabei, dann wird alles abgerissen – ausgerechnet, wenn’s spannend wurde, saß ich wieder in der Schule. Bis ich zurück auf die Baustelle konnte, war nur noch der Kleinkram zu erledigen.

Ob ich mein ganzes Berufsleben auf dem Dach verbringen werde, weiß ich heute natürlich noch nicht. Eine Möglichkeit für später wäre, dass ich als mich als Fachlehrerin an der Berufsschule ausbilden lasse. Das geht auch ohne Abitur, dafür mit viel praktischer Erfahrung. Und ich könnte mir auch vorstellen, einmal in den Betrieb meines Vaters einzusteigen.

Jetzt mach ich aber erstmal meinen Meister. Gerade diese Woche hab ich mich für den Meisterkurs angemeldet. Im Juni geht’s los, dauert bis März 2020, in diesen zehn Monaten bin ich aus der praktischen Arbeit ganz raus und nur in der Schule. Man kann den Meisterkurs auch berufsbegleitend machen, aber dann dauert das so lang. Ich will es lieber durchziehen. Ich lerne dann, wie man einen Betrieb führt, wie man selbst ausbildet, natürlich wird das ganze Fachwissen wiederholt und man schließt mit einem Meisterstück ab.

Theoretisch könnte ich mit dem Meistertitel mehr im Büro arbeiten, das würde zumindest meinen Rücken schonen – aber im Moment will ich das noch nicht. Ich bin total zufrieden mit meiner Berufswahl. Natürlich kann man an sehr kalten Tagen darüber streiten, wie toll die Arbeit ist, aber dafür sind die sonnigen Tage umso schöner. Im Sommer keine Gauben mehr einzudecken – das würde ich so vermissen.

Die Wirklichkeit

Viele halten Dachdeckerin oder Spenglerin für einen schmutzigen, anstrengenden und gefährlichen Job, aber das stimmt nicht. Es gibt fast immer ein Gerüst, wenn nicht, sind wir angeseilt, es kann also nichts passieren. Und ansonsten muss man halt aufpassen. Gerade im Winter, wenn es kalt und auch mal rutschig ist, bewege ich mich eben vorsichtiger auf dem Dach und mache alles etwas langsamer. Ich hatte jedenfalls noch nie Bedenken.

Oft bin ich die einzige Frau unter vielen Männern. Klar drücken manche mir mal blöde Sprüche rein wie: Frauen gehören in die Küche! Oder: Handwerk ist nichts für Frauen! Aber das nehm ich mir nicht zu Herzen. Außerdem gab und gibt es immer genügend andere, die mich sofort verteidigen. Ich komme gut klar damit. Als Frau muss man einfach man selbst sein. Wir leben heute im 21. Jahrhundert. Da kann eine Frau sich aussuchen, was sie machen will!

Der Tagesablauf

Normalerweise stehe ich um sechs Uhr auf, um sieben Uhr treffen wir uns auf der Baustelle, bis 17 oder 17:30 Uhr wird gearbeitet, im Winter nicht ganz so lang, weil es später hell und früher dunkel wird. Mittags gibt’s eine halbe Stunde bis Stunde Pause. Das ist schon anstrengend, auch körperlich, die Arbeit geht auf den Rücken. „Na, viel Spaß auch!“, hat meine Mutter gesagt, als ich ihr von meinen Berufsplänen erzählt habe. Sie arbeitet in einer orthopädischen Praxis und kriegt die ganzen Menschen mit Rückenbeschwerden mit.

Zum Ausgleich laufe ich, gehe ins Fitnessstudio, mache Krafttraining, überhaupt mach ich sehr viel Sport. Ich trainiere vier Mal pro Woche, zwei Mal Tennis, zwei Mal Hockey, immer abends, an den Wochenenden sind Turniere. Ich halte mich fit, kenne gute Übungen gegen die Rückenschmerzen, hab eine sehr gute Kondition. Ich brauche diese andere Art der Bewegung. Nur auf der Couch rumzuhängen wäre für mich keine Erholung.

Das Privatleben

Ich selbst komme aus einer Großfamilie, habe vier jüngere Geschwister und möchte später unbedingt Kinder haben, mindestens zwei. Familie gehört zu meiner Zukunft dazu. Woran man übrigens erkennen kann, dass ich Handwerkerin bin, sind meine Hände. Mein Freund sagt manchmal, dass er froh ist, wenn ich nicht mehr auf dem Dach arbeite und wieder Frauenhände habe. Das sagt er natürlich im Spaß, denn er unterstützt mich bei dem, was ich mache, voll und ganz.

Das Geld

Als Junggesellin verdiene ich 3.000 Euro brutto. Das Gehalt steigt aber mit der Berufserfahrung: Je länger ich arbeite, desto mehr verdiene ich. Als Geselle kann man bis zu 3500 Euro brutto verdienen, als Meisterin verdiene ich sowieso mehr, da bekommt man dann so um die 4000 Euro.

Die Frage, die auf Partys immer gestellt wird

Am häufigsten ist die Reaktion: Dachdeckerin? DU??? Das glaub ich nicht! Dann zeige ich Fotos und meistens heißt es dann: Wow, das ist ja cool! Respekt, dass du das machst!

Ich hab noch nie einen blöden Spruch gehört – wenn überhaupt, dann von anderen Mädels. Ein paar finden meinen Beruf zwar auch cool, aber die, die sonst hauptsächlich auf ihr Äußeres achten, sind einfach nicht daran interessiert. Ich hab schon zweimal erlebt, dass die sich einfach umgedreht haben und gegangen sind. Aber das ist ja auch klar: Es gibt einfach nicht viele Frauen, die Spenglerin sind.

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