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Bis zu 4000 Euro brutto für die Sexarbeiterin

Foto: unsplash/Pablo Heimplatz Bearbeitung: jetzt.de

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Die Anfänge 

Schon als Jugendliche habe ich mir vorgestellt, wie es wäre, eine Prostituierte zu sein. Damals hielt ich das für sehr unrealistisch – auch, weil ich noch von sehr vielen Klischees geprägt war. Nach meinem Studium konnte ich mir keinen „normalen“ Job vorstellen, sondern wollte einerseits noch mehr lernen und mich weiterentwickeln und hatte andererseits ein großes Interesse an Sexualität – sowohl ganz praktisch, als auch philosophisch. Ich war in Berlin und die Vorstellung, als Prostituierte zu arbeiten, erschien mir plötzlich gar nicht mehr so unerreichbar. Ich habe es dann einfach ausprobiert.

Das erste Date war ein bisschen komisch. Ich hatte mich dafür auf einer Internetplattform angemeldet – ich wusste ja noch nicht, ob ich das überhaupt kann, und wollte mich deswegen nicht von einer Agentur abhängig machen. Solche Plattformen funktionieren wie soziale Netzwerke und wenn man neu ist, bekommt man sehr viele Anfragen. Mir war es nicht so wichtig, mit was für einer Person ich mein erstes Date habe, es war mir eher wichtig zu gucken, ob ich mich überhaupt auf eine fremde Person einlassen kann. Das macht für mich auch den Reiz an der Sexarbeit aus: sehr schnell auf eine sehr intime Ebene kommen, etwas über die geheimsten Wünsche und Fantasien der Person herausfinden und das dann auch wirklich zusammen zu machen. Ich habe meinem Date nicht erzählt, dass er mein erstes ist, weil mich das in eine verletzliche Position gebracht hätte. Als ich gemerkt habe, dass der Job wirklich cool ist, bin ich dabei geblieben. 

Der Job 

Ich mache nicht jeden Tag Dates, das wäre viel zu viel. Es gibt Tage, an denen treffe ich Kunden oder arbeite in einem Dominastudio, an anderen Tagen arbeite ich an eigenen Projekten als Filmemacherin oder habe einfach frei. Ein sehr großer Teil meiner Arbeit ist aber auch mich darum zu kümmern, dass ich Termine bekomme. Gerade in Berlin gibt es sehr viele Sexarbeiterinnen und die Konkurrenz ist groß. Ich muss sehr gute Werbung machen, mit Kunden kommunizieren, meine Profile auf den unterschiedlichen Plattformen aktuell halten, Fotoshootings organisieren und neue Bilder von mir hochladen. Man kann nicht einfach nur ein Profil machen und davon ausgehen, dass die Dates von alleine kommen. Einen gewissen „Marktdruck“, dass man viele verschiedenen Sachen anbieten muss, gibt es natürlich schon. Ich biete aber zum Beispiel kein anal an, weil ich da keine Lust drauf habe, obwohl ich weiß, dass ich dadurch Kunden verliere. Kann sein, dass andere das dann trotzdem machen. Ich glaube, das kommt immer auf die persönliche Situation an. Ich bin in einer relativ privilegierten Situation: Ich hab keine Familie, die ich ernähren muss, keine Schulden oder finanziellen Druck und bin daher sehr frei in meiner Arbeit und kann mir aussuchen, was ich mache oder nicht.

Die schwierigen Momente 

Am häufigsten wird die „Girlfriend-Experience“ gebucht: Ich gebe dem Kunden das Gefühl, dass ich ihn wirklich schätze und für ihn da bin – wie eine Freundin eben. Die Freundin ist dann manchmal noch ein bisschen kinky drauf und mag Fesselspiele oder ein bisschen Spanking. Küssen ist auf jeden Fall auch mit dabei – das ist so eine alte Hurentradition, dass Huren nicht küssen, aber schon als ich eingestiegen bin, war Küssen absolut Standard. Das ist nicht immer ganz leicht, denn für ein paar Stunden bietet man eine Illusion und danach ist Schluss. Es passiert schon, dass Kunden dann auch privat Zeit mit mir verbringen wollen. Oft sind das auch so Zwischenformen: Ich bleibe ein bisschen länger beim Date und schenke dem Kunden Zeit, weil er mich darum bittet. Dabei muss ich ständig abwägen, ob das noch okay ist, weil ich dafür ja nicht bezahlt werde, aber gleichzeitig natürlich auch will, dass er mich noch einmal bucht. Aber zum Glück bin ich nicht darauf angewiesen und wenn ich merke, dass das auf viel emotionale Arbeit hinausläuft, dann lasse ich es – auch, um mich zu schützen. Grundsätzlich muss man sehr auf seine Grenzen achten. Sowohl auf die körperlichen, indem man Dinge, die man nicht mag, klar abblockt, als auch auf die psychischen Grenzen, indem man die Erwartung der Kunden nicht ungefiltert an sich heranlässt.

Das Privatleben

 

„Arbeitssex“ von „Privatsex“ zu trennen ist für mich überhaupt kein Problem, weil es sich einfach völlig anders anfühlt. Ich habe privat eine Beziehung und das ist ein ganz anderes Mindset, mit dem ich da reingehe. Mein Partner hat selbst als Sexarbeiter und Pornodarsteller gearbeitet und daher auch sehr großes Verständnis für meine Arbeit. Er weiß, dass ihm das nichts wegnimmt. 

Die Frage, die auf Partys immer gestellt wird

Das kommt auf die Party an. Ich bewege mich in Berlin in einem sehr queeren und sexpositiven Umfeld und auf solchen Partys sind alle total cool damit. Wenn ich nicht in dieser Bubble unterwegs bin, überlege ich mir, ob ich überhaupt erzähle, dass ich Sexarbeiterin bin und gerade Lust auf die ganzen Fragen habe, die dann kommen. Aber grundsätzlich sind die Reaktionen eher positiv – zumindest von Leuten aus meiner Generation. Die sind aufgeschlossener und neugierig, haben natürlich aber auch oft die Klischees von Zwang, Gewalt und Straßenprostitution im Kopf. Da wird viel nachgefragt, wie das bei mir so ist. Häufig werden mir auch psychische Probleme unterstellt, von wegen: „Wie krass muss man sein, um das freiwillig zu machen?“, oder , „Bist du missbraucht worden?“ Bin ich nicht. Aber das zeigt die Stigmatisierung von Sexualität und besonders von Sexarbeit in unsere Gesellschaft. Ich würde mir wünschen, dass sich das Bild ändert und die Leute verstehen, dass auch wenn sie sich das für sich selbst nicht vorstellen können, trotzdem andere das freiwillig oder sogar gern tun.

Die Vorurteile

„Seinen Körper verkaufen“ – das halte ich für eine sehr misogyne und auch altmodische Sicht auf Sexarbeit. Arbeit ist meistens nicht ganz freiwillig und ich würde eher die Arbeitsverhältnisse kritisieren, in denen wir uns alle verkaufen. Natürlich gibt es Armutsprostitution und Menschen, die zum Beispiel aus Osteuropa nach Deutschland kommen, und die Arbeit zwar nicht gerne tun, hier aber sehr viel mehr Geld verdienen als sie es zu Hause könnten und sicherlich gute Gründe dafür haben. Ich denke, dass man solchen Leuten zugestehen muss, selbstständige Entscheidungen zu treffen. Eindeutige Zwangssituationen – Ausbeutung, Sklaverei, Menschenhandel –, sind hingegen Verbrechen, die nichts mit Sexarbeit oder mit dem, was ich mache, zu tun haben.

Es ist aus meiner Sicht feministisch, dass Frauen mit ihren Körpern und ihrer Sexualität machen können, was sie wollen. Ich wurde als Frau so sozialisiert, dass ich Männern gefallen muss, sie zufriedenstellen und bedienen soll. Früher habe ich oft Sex gehabt, um jemandem zu gefallen – jetzt lasse ich mich immerhin dafür bezahlen. Was so klingt, als könnten Männer einfach irgendeine Frau bezahlen und dann mit ihr machen, was sie wollen, ist in Wahrheit ganz anders: Nirgendwo ist es so klar wie in der Sexarbeit, dass die Männer sich an die Regeln der Frauen halten müssen, um das zu bekommen, was sie wollen. 

Das Geld 

Das ist schwierig zu sagen, denn ich verdiene natürlich nur so viel, wie ich arbeite, das heißt, ich verdiene auch mal null Euro im Monat. Ich kann aber auch, wenn ich gerad sehr viele Jobs bekomme, 4000 Euro brutto im Monat verdienen. Das hört sich immer sehr gut an, aber man muss mindestens die Hälfte abziehen, weil zu den Steuern und Versicherungen als Selbstständige auch noch die Provision der Agenturen und die Miete für das Studio kommen.

Die Zukunft

Es ist nicht so, dass man irgendwann zu alt für die Sexarbeit ist – das haben mir viele ältere Kolleginnen gezeigt. Ich mache das einfach so lange, wie ich Bock darauf habe. Aber ich entwickele mich gern weiter und ich kann mir auch vorstellen, irgendwann als Psychotherapeutin zu arbeiten. Ich merke gerade in der Diskussion mit Kolleginnen häufig, dass wir mehr Psychotherapeutinnen brauchen, die eine offene Einstellung zur Sexarbeit haben, das nicht pathologisieren und direkt sagen: „Sexarbeit? Okay, das ist das Problem. Hören Sie auf damit!“ Wir brauchen Leute mit einer differenzierteren Einstellung dazu.

* Nicole heißt eigentlich anders, möchte aber lieber anonym bleiben. Der Redaktion ist ihr richtiger Name bekannt.

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