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Die Jungsfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es gibt da eine weibliche Jemand, mit der ich gerne mal einen Kaffee trinke und mich freue, wenn sie abends zufällig das gleiche Konzert besucht wie ich. Dann redet man und versteht sich fein. Eine hübsche Jemand ist das und deshalb musste ich stark zuhören, als die ganz nebenbei davon erzählte, sie würde sich gerne fotografieren lassen, professionell, ästhetisch und: nackt. Sie mag ihren jungen Knackkörper und sie will sich auch noch in dreißig Jahren erinnern, wie er war. Sagt sie. Nichts weiter und warum denn nicht. Zwei Tage später spaziere ich durch den kleine Ort, in dem ich eine höhere Schule besucht habe und komme am Fotogeschäft vorbei. Neben schrumpligen Frischgetauften und frisch eingecremten Frischvermählten hing auch ein, äh, sinnlicher Frauenakt darin. Eingedrehtes Profil mit Busen im Halbschatten. Ich kenne den Fotografen, er ist ein schlimm-zerzauselter alter Westenträger. Der Gedanke, dass sich meine hübsche Frau Jemand vor ihm auszieht und verrenkt, ging noch lange mit mir spazieren. Mädchen, macht ihr das? Nacktfotos in samtverkleideten Hinterzimmern? Jungsmäßig ist mir da nichts bekannt. fabian-fuchs Die Mädchenantwort

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich will mal mit zwei Beispielen anfangen. Ich komme aus einem kleinen Ort auf dem Land. Jedes Mal, wenn ich nach Hause fahre, mache ich einen kurzen Umweg, mit nur einem einzigen Grund: Ich will bei unserem provinziellen Fotografen, auch so ein verzauselter Westenträger, einen Blick ins Schaufenster werfen, um visuell den neusten Klatsch und Tratsch aufzufangen. Um in Windeseile zu erfahren, wer geheiratet oder geworfen hat, ist das Fotofenster die verlässlichste Informationsquelle unseres Städtchens. In der Vergangenheit hat dieses Fenster aber schon einiges ans Tageslicht gebracht, was besser bedeckt geblieben wäre. Beide Male waren Klassenkameraden von mir involviert. Ich fange mit der Geschichte von Andreas an. Der hat sich nämlich bei unserem Zausel oberkörperfrei mit aufgeknöpfter Jeans und Hand lasziv im Hosenbund fotografieren und in DIN-A-1-Format ins Schaufenster stellen lassen. Ein findiger Mitschüler hat das abfotografiert, in ein Titelblatt eines bekannten Sexheftchens reinmontiert, kopiert und in der ganzen Schule aufgehängt. Andreas war danach ziemlich lange „krank gemeldet“. Die zweite Geschichte handelt von Steffi, deren Schönheit man maximal „apart“ nennen konnte. Steffi wurde immer als graues Mäuschen gehandelt, bis man kurz nach dem Abi ihre Brüste im Schaufenster bewundern konnte. Auf einem Klassentreffen vergangenes Jahr habe ich sie nach dem achten Bier dann gefragt, warum sie das gemacht hat. Sie argumentierte mit der Konservierung ihres jugendlichen Anblicks. Ob sie das nicht komisch fände, wenn sowohl unser Bürgermeister als auch der Sohn vom Metzger wüsste, wie sie nackt aussieht, wollte ich von ihr wissen. Darauf antwortete sie gequält selbstsicher, sie habe nichts zu verstecken und wäre stolz auf ihren Körper. In meinen Ohren klang das ziemlich abgedroschen und eher wie eine klägliche Rechtfertigung. Komplimente tun immer gut und ein Bild, auf dem man gut aussieht, ist ein haltbar gemachtes Kompliment, deswegen würden wir uns schon auch mal nackt ablichten lassen. Der Rahmen ist aber wichtig. Wie soll ein Bild ästhetisch sein, wenn der Fotograf morgens vor der gleichen Kulisse auch Passbilder für Führerscheinanwärter macht und für den Nacktbildertermin nur einen Samtfetzen über einen Stuhl wirft? Die Mischung Amateurmodel und Kleinfotograf hat etwas Schmuddeliges und Stümperhaftes. Solche Bilder schreien geradezu nach überspieltem Minderwertigkeitskomplex und haben fast immer den Sexappeal eines Kuhstalls. Nacktfotos gepaart mit der Aussage, man möchte sich auch noch in dreißig Jahren an den eigenen schicken Hintern erinnern, sind wie ein Hilfeschrei. „Seht her, ich bin jetzt schön. Warum will mich denn keiner?“ Es gibt somit einen weiteren feinen Unterschied bei Nacktbildern: Der Grad des Aufsehens, das darum gemacht wird. Wer solche Fotos wirklich für sich und zur Erinnerung macht, hängt sie nicht in ein Schaufenster in der Fußgängerzone und auch nicht als Poster ins WG-Zimmer. Natürlich freuen wir Mädchen uns, wenn uns unsere Schönheit bestätigt wird oder wir selbst zufrieden beim Blick in den Spiegel lächeln können. Deswegen müssen wir uns aber noch lange nicht öffentlich ausstellen. Illustration: dirk-schmidt

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