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Mädchen, wir sind doch keine Grapscher?

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Die Jungsfrage: 

Was für ein mieser Start ins Jahr. Als Mann kommt man aus dem Mitschämen für die Artgenossen kaum heraus. Erst benehmen sich die einen in der Silvesternacht wie Gorillas im Böller-Nebel, dann proben ausgerechnet diejenigen aus der "Dirndl-Ausfüllen"-Ecke den #Aufschrei, die sonst unterm Jahr auf Volksfesten die Armlänge Abstand höchstens zu ihrer guten Erziehung einhalten.

Als mit Gleichberechtigung aufgewachsener, von Mutter und Schwestern erzogener, vielleicht sogar feministisch denkender, jedenfalls: als Frauen respektierender junger deutscher Mann hat man eins kapiert: Es gibt auch 2016 leider immer noch No-Go-Areas für Frauen. Wer Lust auf körperliche und seelische Unversehrtheit hat, geht in kein Bierzelt und durch keine Menschenmenge. Zwischen Volksfest und Silvesternacht bestehen kriminelle Grauzonen, in denen Männer meinen, sie dürften alles. Das ist ziemlich ekelhaft. Aber zum Glück immer ein kleines Stück weit weg. Denn: Wir sind doch anders, oder?

In unseren coolen Clubs, wo Jungs in bunten Socken verträumt zu Gitarrenmusik tanzen, wo an der Theke über Bourdieu und Craft Beer diskutiert wird, wo alle wissen, dass "Respekt" keine Rap-Combo und "Rape Culture" kein Ballerspiel ist, da wird doch nicht gegrapscht? Jedenfalls, ganz ehrlich, habe ich persönlich nur sehr, sehr selten eine Grapscherei beobachten müssen. Und wenn, sind wir doch alle sofort auf der Seite der Frau und machen dem Bösewicht aber sowas von klar, wo seine Hände zu sein haben. Von Schlimmerem ganz zu schweigen.

Und doch lugt hinter den selbstgedrehten Zigaretten ein unguter Zweifel hervor: Auch in unseren Freundeskreisen wissen zu viele Mädchen "eine Geschichte" zu erzählen, die meisten sogar mehrere. Auch für unsere Milieus gibt es traurige Statistiken. Sind wir vielleicht doch gar nicht so gut, wie wir denken? Sind wir alle ein bisschen Bierzelt? Also, Mädchen: Wir sind keine Grapscher, oder? Bei uns seid Ihr doch sicher?

Die Mädchenantwort von Mercedes Lauenstein:

Ich möchte leidenschaftlich glauben, was ihr da sagt. Ich hatte noch nie große Lust auf die Rolle des „schwachen Geschlechts“ und bin es leid, im Wochentakt neue Empörungswellen zum Thema böse Männer vs. hilflose Frauen aufbranden zu sehen. Wenn mal wieder irgendwo von Aufschrei und Feminismus die Rede ist, verdrehe ich die Augen, murmele „alles hysterisch-pauschalisiertes Soziologenblabla“ in mich hinein und bleibe ganz bequem bei meiner Sicht der Dinge: cool ist, wer cool ist. Wer ewig alles seinem Geschlecht in die Schuhe schiebt, ist eine Heulsuse und muss lernen, sich zu wehren.

Ich weiß sehr wohl, dass das höchstens die Dreiviertelwahrheit ist. Ich finde es zwar schwierig, in unserem Milieu von „Grapschen“ und „Nötigung“ zu sprechen. Aber ich finde es auch schwierig, euch einfach so Recht zu geben, wenn ihr sagt: Wir? Wir doch nicht! Oder: Alles nur Charaktersache, hat mit dem Geschlecht nix zu tun! Das mit den Übergriffen, das spielt sich zwischen euch und uns alles etwas subtiler ab, weniger bedrohlich, koketter. Und da gibt es durchaus das Muster „Mann“ und das Muster „Frau“. Leider.  

Aber von Anfang an: Erfahrungen aus meinem eigenen Leben und aus vielen Gesprächen mit Freundinnen bestätigen, dass Männer grundsätzlich etwas schief gewickelt sind, wenn es ums Flirten geht. Sie glauben gern, das „Nein“ einer Frau sei nur die erste Aufgabe im großen Liebes-Spiel, dessen Anwärter sich tapfer das finale „Ja“ zu erkämpfen trachtet.

Das führt auf Volksfest-Ebene dann zu diesem platten „Lach doch mal“-Ding, aus der nassforschen Überzeugung heraus, eine Frau umwerben zu müssen, erobern, herauszufordern, umzustimmen. Anders gesagt: Ihr „Nein“ nicht für voll zu nehmen. Ich glaube, dass viele Typen denken, Frauen würden sich aus Koketterie zieren. Ein freundlich signalisiertes, augenzwinkerndes „Nein danke, kein Interesse, aber vielen Dank für das Kompliment“ scheint vielen Männern als: „Na, da musst du dich schon bisschen mehr ins Zeug legen“.    

Wie oft schon habe ich geglaubt, mich verständlich gemacht zu haben, und die Baggerei hörte trotzdem nicht auf? Wie oft habe ich mich selbst schon denken hören: „Alter, warum glaubst du, dass ich das, was ich sage, nicht so meine?“ Tausend Mal! Allerdings: Was genau habe ich denn gesagt? Hab ich wirklich „Nein!“ gesagt? Konnte man meine Gebärden wirklich verstehen, oder konnte nur ich sie verstehen, weil ich halt aus meinem Hirn rausschaue und meinen Subtext mithöre?

 

Ich glaube, dass viele Frauen, und da nehme ich mich nicht aus, oft aus Verlegenheit, Höflichkeit und Gefallsucht eine Spur zu fröhlich, lustig und charmant auf Anmachen reagieren. Und eben doch nicht genau klar machen, wann das Spiel vorbei ist. Die eben nur glauben, ein „Nein!“ signalisiert, in Wahrheit aber ein „Vielleicht...?“ von sich gegeben haben. Das souveräne Mittelmaß zwischen Lässigkeit und Hysterie auszuloten fällt uns verdammt schwer. Erst recht im Suff.   Dieses Zusammenspiel aus Männermut und Frauenkoketterie hat in meinem Leben schon zu den denkwürdigsten Situationen geführt.

 

Wie gesagt: „Grapschen“ oder „Nötigung“ wären mir für dieses Verhalten viel zu aggressive Vokabeln, aber es geht in die Richtung: Hände, im Gespräch ungefragt abgelegt auf Schultern, Beinen oder Haarschopf. Kesse Kniffe in Nase und Wange. Zartes über die Wange Streicheln oder unermüdliches Auf-die-Tanzfläche-Gezerre. Und natürlich die Auftritte jener Lustmolche, die um vier Uhr morgens in mein Taxi nach Hause einstiegen um mir, in den extremen Fällen, bis in den Hausflur zu folgen und um Einlass in meine Wohnung zu betteln, „nur noch auf ein Glas Wasser“.  

 

Zum Glück ist mir noch nie ein Typ untergekommen, der ein finales Nein nicht akzeptiert hat. Mit den meisten Kerlen war der Weg dahin nur einfach sehr, sehr nervtötend. Einen total im Liebesspiel fiebernden Typen zu erden ist nämlich ungefähr so anstrengend, wie ein überdrehtes Kind oder einen verzogenen Welpen zur Vernunft bringen zu wollen. Oft empfand ich eher Mitleid mit den Jungs, die bei mir nicht landen konnten, weil ihr vermeintlich heldenhaftes Spiel aus meiner Warte so erbärmlich aussah.  

 

Was ist die Moral von der Geschicht? Ihr müsst vorsichtiger werden, hellhöriger, anständiger. Aber wir müssen vor allem deutlicher werden. Klartext reden, und zwar glaubwürdig. Bisschen mehr Eier in der Hose haben. Bisschen weniger Angst davor, gleich als hysterisch und empört zu gelten. Cool nein sagen. Gut flirten. Respektvoll fragen, welcher Schritt als nächster denn nun dem Gegenüber genehm wäre. Ehrlich antworten. Schreibt euch einfach mal auf: vorsichtiger nachfragen. Klartext fordern. Klartext respektieren. Wir schreiben uns auf: deutlicher werden. Abgebrühter werden.  

 

Es lohnt sich. Die aufregendste, interessanteste, allerbeste, bis heute unübertroffene Nacht überhaupt hatte ich mit einem Typen, der mich gefragt hat, ob er mich anfassen darf, bevor er es getan hat. Ich habe ihn nie wieder gehen lassen.     

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