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Mädchen, warum mögt ihr euch oft nicht auf Fotos?

Foto: inkje / photocase / Illustration: Daniela Rudolf

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Liebe Mädchen,

früher war das alles anders mit den Urlaubsfotos: Film mit 36 Bildern verschießen, dann 36 Bilder entwickeln. Waren die Fotos dann mal da, wurde ihr Existenz eher selten infrage gestellt, es waren ja eh nicht sehr viele. Dass jemand beim Durchschauen der Urlaubsfotos plötzlich „bitte zerreiß' das!“ gesagt hätte – unwahrscheinlich. Vielleicht ging das ein oder andere Bild mal plötzlich verschwunden, aber an eine offensive Aufforderung zu deren Vernichtung können wir uns eigentlich nicht erinnern. Ist aber vielleicht auch schon sehr lang her.

Heutzutage schwebt beim Durchschauen von Urlaubsbildern jede Aufnahme in Lebensgefahr. Der Satz „bitte lösch' das!“ fällt mit absoluter Verlässlichkeit. Ganze Urlaubsabschnitte können dieser Zensur zum Opfer fallen, allein weil jemand, meist eine von euch Mädchen, im Nachhinein feststellt, dass da etwas an seinem beziehungsweise ihrem Äußeren nicht stimmte.

Unzählige Bilder gehen für die Nachwelt verloren, weil ihr euch darauf nicht schön findet

Natürlich löschen wir Jungs selbst auch mal klammheimlich Bilder, wenn darauf die Sonne oder der Winkel unseren Körper auf seltsame und unerklärliche Weise verformt haben. Unsere „bitte lösch das!“-Forderungen sind aber zumindest noch ein Verhandlungsangebot und kein Befehl. Es gibt sonst kein Bild von diesem Strandtag? Ja ok, dann bleibt der bleiche Kobold, der da im Sand liegt, eben auf der Speicherkarte. Als neues Profilbild taugt es vielleicht nicht, aber was soll's.

Bei euch allerdings haben wir manchmal das Gefühl, dass ihr ganz grundsätzlich mit eurem Foto-Ich auf Kriegsfuß seid. Wo wir das perfekte Porträt einer Frau im Sonnenuntergang sehen, drückt ihr unvermittelt auf den Mülleimer. Vermeintliche Makel bringen euch dazu, euch mit der nicht gerade günstigen Kamera auf den Boden zu werfen und Aufnahmen in die ewigen Urlaubsfoto-Jagdgründe zu schicken, die das nun wirklich gar nicht verdient haben. Auch Bilder, in denen ihr vielleicht nur am Rande zu sehen seid, gehen dadurch für die Nachwelt verloren. Und obwohl es natürlich ungünstige Winkel, seltsame Lichteinfälle und bad-hair-days gibt, denken wir uns im Stillen als Antwort auf ein rhetorisches „Oh Gott, was ist denn da mit mir los gewesen?“ oft so etwas wie „Naja, so siehst du halt aus.“

Daher unsere Frage: Was ist da los mit euch? Warum gefallt ihr euch selbst so selten auf Fotos? Ist es als Frau schwieriger, auch mit vermeintlich unvorteilhaften Aufnahmen leben zu können, zum Beispiel wegen einem höheren gesellschaftlichen Druck, immer perfekt auszusehen? Oder hat sich da vielleicht bereits etwas getan, so body-positivity-mäßig, und diese Fragen sind in etwa so zeitgemäß wie Kodak-200-Filme?

Eure Jungs

Mädchenantwort

Collage: jetzt.de

Liebe Jungs,

vor kurzem habe ich meinen neuen Personalausweis abgeholt und bin direkt erschrocken über das Foto, das auf ihm zu sehen ist. Das Passfoto war natürlich schon beim Beantragen kein super Bild, aber ich beruhigte mich damals damit, dass es auf dem Ausweis ja eh nur ganz klein zu sehen sein würde. Aber nun finde ich mich darauf in klein genauso hässlich wie ich es in Originalgröße fand. Surprise.

Wie gerne würde ich nun zum Bürgerbüro gehen, mit der zuständigen Person sprechen und sagen: „Bitte, löschen Sie das.“ Mache ich aber natürlich nicht, man hat ja seinen Stolz. Auch mit zu langer Nase und personalausweisfarben.

Denn eigentlich muss und kann man ja gar nicht perfekt aussehen. Wer will das schon? Perfekt sein? In der Antwort liegt das Problem: Wir wollen es, unser Stolz will es. Zumindest wollen wir nicht ganz so schlimm aussehen, wie auf manchen Handyfotos. Und ja, das geht beides: ein bisschen fotogener sein wollen und trotzdem ein emanzipiertes Selbstbild haben. Stichwort Body-Positivity: Wir wollen ja gar nicht aussehen wie weichgezeichnete Hollywoodstars. Uns selbst wollen wir trotzdem optisch gefallen.

Ein Problem in der Smartphone-Ära ist, dass wir seitdem viel mehr Bilder von uns machen können und nicht wie damals beim Kodak-Film auf 32 Bilder beschränkt sind. Und durch die Sozialen Netzwerke teilen wir diese Bilder dann auch noch öfter mit anderen Menschen. Gleichzeitig werden uns auch viel häufiger die in unseren Augen perfekten Bilder von Freundinnen, Bekannten, Fremden unter die Nase gerieben: Fotos sind keine Privatsache mehr. Fotos sind etwas geworden, das wir für Publikum machen. Und ihr doch auch, oder?

Dadurch, dass es viel mehr Fotos von uns gibt, geht natürlich auch der Satz „Lösch das“ leichter über die Lippen. Denn wir wissen, wir müssen keine zwanzig Euro ausgeben, um einen Film entwickeln zu lassen. Wenn wir auf einem Foto ungünstig von unten getroffen sind oder man sieht, wie asymmetrisch unsere Gesichtshälften sind, kann man es ja nochmal versuchen.

Wer einmal bemerkt hat, dass er unterschiedlich große Augen hat, wird das nie wieder los

Viel schwerer wiegt allerdings die Frage „Sehe ich WIRKLICH so aus?” Denn sie zeugt davon, dass uns unsere Foto-Erscheinung gerade wirklich zu schaffen macht. Im Standbild festgehalten fallen uns nämlich oft nur die negativen Details auf. Da sehen wir nicht, dass wir vielleicht hübsch lächeln, sondern nur, dass unsere Augenbrauen nicht gezupft sind, die Zähne nicht gerade genug stehen oder die Augen halb geschlossen sind. Wir kennen uns vielleicht einfach zu gut und sind strenger mit uns, als wir es mit jemand anderem wären. Alles, was man objektiv an uns schön finden könnte - Lächeln, Augen, Grübchen, Brauen, Nasen, Zähne – nehmen wir auf Fotos von uns selbst irgendwie nicht mehr wahr.

Während wir diese Fehler bei uns selbst mit Fleiß suchen, würden sie uns bei Freundinnen oder auf Fotos von Fremden nie auffallen. Auf den Fotos der Anderen sehen wir stattdessen gerne das Perfekte und Einschüchternde. Wir glauben übrigens, dass es euch da genauso geht, und dass ihr nur zu stolz seid, das zuzugeben. Ein schlechtes Foto tut eben weh, fünf oder fünfzehn noch mehr: Wer einmal bemerkt hat, dass er unterschiedlich große Augen hat, wird das nie wieder los.

Jetzt ist es ja aber auch nicht so, als würden wir ständig Fotos von uns selbst nach Mängeln absuchen. Das wäre ja irre. Wenn wir nach dem Aufstehen in den Spiegel schauen, sind wir oft zufrieden mit uns. Aber zu dem, was wir auf einem Foto ohnehin nicht ändern können, müssen nicht auch noch der dämliche Gesichtsausdruck oder die Augenringe kommen und dann für alle Ewigkeit in den sozialen Netzwerken festgehalten werden. Deswegen lasst uns doch bitte in Ruhe noch ein paar Bilder machen, so lange, bis wir nicht nur euch, sondern auch uns selbst gefallen. Das ist nämlich verdammt wichtig.  

Eure Mädchen

Was die Jungs sonst noch von den Mädchen wissen wollen:

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