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Mädchen, was passiert in der Damenkloschlange?

Foto: Alessandra Schellnegger; Illustration: Federico Delfrati

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Liebe Mädchen,

keiner steht gerne an, nirgends. In Warteschlangen offenbaren sich selbst beim schüchternsten Spießbürgerchen Verhaltensweisen, die viele Errungenschaften unserer Gesellschaft mal eben außer Kraft setzen. Sei es mit einer beherzten Ellbogen-Drängelei, weil die Schlange „ja eigentlich hier angefangen hat“, Mafia-Platzhalter-Deals („stell dich schon mal an, vierjährige Tochter, ich komme dann in 20 Minuten mit dem Großeinkauf dazu!“) oder dem urdeutschen „Zweite Kassäääää!“-Hilferuf, vorgetragen mit der Inbrunst eines Schiffbrüchigen im Polarmeer.

Die Warteschlange setzt also selbst bei den ausgeglichensten Yoga-Menschen unter uns eine Gereiztheit frei, die natürlich wächst, je nach Länge der Schlange, des Zeitdrucks und der Bedürftigkeit nach der am Schlangenende zu erwartenden Erlösung.

Und genau hier kommen wir zu euch, liebe Mädchen. Es gibt nämlich eine Warteschlange, an der wir regelmäßig mit einer Mischung aus Erstaunen und Mitleid vorübergehen und bei der die Bedürftigkeit naturgemäß doch recht hoch sein müsste: die Schlange vor dem Damenklo. Kloschlangen sind uns nämlich eher fremd und münden in den meisten Fällen höchstens in einem „dann halt der Park gegenüber“. Warum wir hier im Vorteil sind und wie erstrebenswert das ist, sei hier mal außen vor gelassen.

Uns geht es viel mehr um euer Gefühl in dieser Schlange, die man euch in jedem Club, jeder Bar, ach, bei jeder Veranstaltung mit mehr als zehn Menschen, inklusive endloser Wartezeit aufdrückt, während wir meist fröhlich und innnerhalb von fünf Minuten zwei Mal an euch vorbeispazieren.

Wie geht es in dieser Warteschlange unter euch zu? Herrscht da aggressives „Mach ma hinne da vorne“-Geunke? Gedrängel? Mikrodrama? Oder doch eher entspannte Solidarität, Gespräche über das Leben, erste Anzeichen lebenslanger Freundschaften?

Und, die wichtigste Frage: Wann kippt bei euch die Stimmung insofern, dass ihr die überflüssige Zwei-Geschlechtlichkeit der Toilettenräume per Selbstjustiz über Bord werft und zu uns rübermarschiert? Und seid ihr dann Einzelkämpferinnen? Oder schließt man sich zusammen?

Eure Jungs

Die Mädchenantwort: 

maedchenfrage

Liebe Jungs,

ihr habt recht: Keiner steht gerne an, nirgends. Wenn man ein Ziel, vor dem sich verlässlich eine Schlange bildet, auch irgendwie ohne Anstehen erreichen kann, dann wird man das tun. Darum haben wir auch schon früh Strategien entwickelt, mit denen sich das Warten vor der Toilette zur Not vermeiden lässt. Bei großen Veranstaltungen zum Beispiel gehen diejenigen von uns, die schwache Blasen haben, einfach nicht in der Pause zum Klo, sondern kurz davor oder kurz danach. Oder sie trinken prophylaktisch weniger als sonst.

Aber oft lässt sich das Schlangestehen eben nicht vermeiden. Welche Stimmung dann in der Schlange herrscht, hat viel mit dem Ort und mit der Verfassung der Wartenden zu tun.

Nachts im Club zum Beispiel, wenn alle, die da warten, ein bisschen betrunken sind, ist die Atmosphäre höchst seltsam. Das plötzliche Stillstehen in einer viel leiseren und viel helleren, manchmal gar Neonröhren-hellen Umgebung, nachdem man gerade noch im Halbdunklen zu lauter Musik getanzt hat, fühlt sich ein bisschen so an, wie gerade eben noch geschlafen zu haben und davon geweckt worden zu sein, dass jemand zur Tür hereingestürmt ist und das Licht angeknipst hat.

Dementsprechend belämmert und mit kleinen Äuglein grinsen sich die Schlange stehenden Damen dann auch an, schweigen meist solidarisch und nutzen die Wartezeit, um die verschwitzte Frisur zu richten. Ausnahmen sind die, die gemeinsam hergekommen sind und jetzt kichern und tuscheln wie Schulmädchen. Und die, die vom Alkohol eher aggressiv werden und darum rumpöbeln, wenn jemand mal länger braucht, wegen Kotze oder Koks oder was die Menschen eben so aufhält auf dem Club-Klo.

Schönere Schlangen sind die bei Konzerten oder anderen Veranstaltungen, bei denen klar ist, dass alle, die hergekommen sind, aus ein und dem selben Grund hier sind: Weil sie irgendwen oder irgendwas anschauen und/oder anhören und/oder bejubeln und/oder genießen wollen. Das macht sie dann glücklich und dieses Glück im Herzen macht den Druck in der Blase erträglicher, dementsprechend entspannt sind die Menschen dann in der Kloschlange. Weil sie sich noch dazu einander verbunden fühlen, entstehen hier auch am ehesten Gespräche. Und solche Kloschlangen-Smalltalk-Gespräche sind manchmal die schönsten überhaupt: völlig unverbindlich, zeitlich extrem begrenzt und immer sehr freundlich.

Wenn eine von uns mit dem Gedanken spielt, aufs Herrenklo auszuweichen, wird sie es erst mal eine Weile observieren

Aber bevor hier ein Mythos von der „besonderen Atmosphäre der Damenkloschlange“ entsteht, müssen wir noch kurz einlenken und sagen: Meistens machen Frauen in der Kloschlange, was sie immer machen, wenn sie warten müssen (und was auch ihr macht, wenn ihr warten müsst). Also vor sich hin oder aufs Handy starren. Seltsamerweise sieht man fast nie, wie eine Frau in einer Kloschlange ein Buch oder eine Zeitschrift liest. Vermutlich, weil sie doch immer so halb aufmerksam sein muss. Immerhin geht es ja recht regelmäßig ein paar Schritte vorwärts und je mehr Klokabinen, desto größer die Herausforderung mitzukriegen, wo gerade die nächste frei geworden ist. Außerdem haben viele Warteschlangen ein eher anstrengendes Ende: Da steht man dann eingeklemmt zwischen dem Gang mit den Kabinen und den Waschbecken und muss aufpassen, nicht dauernd irgendwem auf die Füße zu steigen oder den Weg zu versperren. 

Und nun noch zur – wie ihr findet – „wichtigsten Frage“: Wann weichen wir aus aufs Herrenklo? Zum einen natürlich, wenn die Schlange wirklich elendig lang ist. Zum anderen spielen zwei weitere Faktoren eine wichtige Rolle: erstens die Frequentierung der Herrentoilette und zweitens der Mut einer Einzelnen.

Wenn eine von uns mit dem Gedanken spielt, auf die anderen Toilettenräume auszuweichen, wird sie sie erst mal eine Weile observieren. Die Zeit dazu hat sie ja sowieso. Wie viele Männer gehen da ein und aus? Sind es relativ wenige und sind die Abstände zwischen den einzelnen Besuchern relativ groß? Und dann muss sie eben noch mutig genug sein, als Erste auszuscheren und da rüber zu gehen. Unter den Blicken all der anderen wartenden Frauen, von denen viele  vermutlich denken werden: „Puh, ganz schön schamlos!“ Andere hingegen werden sich anschließen und ihrem Beispiel folgen. Sie werden sich dem Risiko aussetzen, den Raum zu betreten und Männer zu verschrecken, die mit offenen Hosenställen am Pissoir stehen. Oder sie betreten einen leeren Raum und freuen sich, um dann, eingeschlossen in der Klokabine, zu hören, dass jetzt doch jemand reingekommen ist. Das ist kein schöner Moment, in dem man abwägen muss, ob man jetzt flink und leise (und unhygienischerweise ohne Händewaschen) raushuscht – oder ob man noch aus der Kabine heraus mit möglichst glockenheller Stimme „Achtung, nicht erschrecken!“ ruft und dann beim Händewaschen angestrengt überall hinschaut, nur nicht zum Typen am Pissoir.

Aber all das ist oft immer noch besser, als das quälend lange Schlangestehen. Denn ihr habt ja Recht: Keiner steht gerne an, nirgends.

Eure Mädchen

Was die Jungs sonst noch interessiert:

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