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Mädchen, sollen wir euch überhaupt "Mädchen" nennen?

Collage: Federico Delfrati// Screenshot/Facebook

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Die Jungsfrage:

Liebe Mädchen,

schon diese ersten zwei Worte in der Anrede sind diesmal ein Problem. Genauer: das Wort „Mädchen“ ist eines.

Die Big-Bang-Schauspielerin Mayim Bialik hat diese Woche nämlich auf Facebook ein Video veröffentlicht. Sie war darin ziemlich sauer, und mit ihr offenbar ziemlich viele andere Menschen: Innerhalb der ersten Woche sahen 8,5 Millionen Menschen das Video – die vielen Views auf Seiten von Nachrichtenmedien, die das Video klauten und zu einem neuen verwursteten, noch nicht mitgerechnet.

Mayim Bialik hat darin eine Forderung aufgestellt. Sie sagt, man solle erwachsene Frauen nicht als „Girls“, also Mädchen, bezeichnen. Girls seien unter 18 Jahre alt, alles drüber seien Frauen. Sie trotzdem als Mädchen zu bezeichnen sei abwertend und – kurz zusammengefasst – deshalb Teil des Problems, dass Frauen und Mädchen im Jahr 2017 immer noch nicht gleichberechtigt sind.

Diese Kolumne hier heißt Jungs-Mädchenfrage. Nicht Männer-Frauen-Frage. Obwohl es darin um Fragen geht, die vor allem aus der Lebenswelt von Menschen zwischen 18 und 30 stammen. Laut Mayim also keine Mädchenfragen. Sondern Frauenfragen.

Die Diskussion, die Mayim losgetreten hat, geht deshalb nicht nur uns Jungs, sondern auch uns als jetzt-Redaktion was an. Wir wollen von euch wissen, wie ihr den Begriff Mädchen seht.

Fangen wir mal mit der Jungs-Sicht an (und der des Redaktionsleiters, der zu verantworten hat, dass da Jungs-Mädchen-Frage steht und nichts anderes). Für uns und mich ist klar, dass der Begriff Mädchen rein sprachlich natürlich eine klare Definition und Bedeutung hat: Ein Mädchen ist ein weibliches Kind. Also ist er spätestens für weibliche Menschen über 18 streng genommen falsch.

Uns Jungs leuchtet auch vieles ein, was Mayim kritisiert. Dass der Begriff Mädchen abwertend sein kann und so nicht verwendet werden sollte, ist vollkommen klar. Es ist klar, dass zum Beispiel kein Chef oder Kollege über seine Mitarbeiterin oder Kollegin als Mädchen sprechen sollte. Es ist klar, dass die Frauen-Nationalmannschaft nicht die Mädchennationalmannschaft ist (auch nicht, wenn da – was ja theoretisch möglich wäre – unter-18-Jährige zum Einsatz kämen). In beiden Fällen geht es um ernste Dinge, um Berufliches, um Fußball.

Aber was ist mit der Ebene, auf der wir uns hier bewegen? Bei jetzt und wenn wir privat und freundschaftlich miteinander umgehen? Die Fragen, die wir hier stellen, meinen wir auch ernst. Und meine Kollegin, die diese Frage gleich beantworten wird, respektiere ich natürlich. Ich nehme sie ernst, unter anderem, weil sie wahnsinnig klug ist und hervorragend schreibt. Und trotzdem beginne ich diese Frage lieber mit „Liebe Mädchen“, als mit „Liebe Frauen“. Weil die Begriffe Mädchen und Jungs spüren lassen, dass es hier ums Jungsein geht. Um das Leben, in dem Elternabende, Ü-30-Partys, eine Midlife-Crisis und all der Kram noch keine Rolle spielen. Sondern um das Leben, in dem man sucht, ausprobiert, einfach macht. In dem oft auch noch ein bisschen weniger Ernst ist und stattdessen immer Musik und dienstags Abstürzen in Bars und Rucksackreisen und Pennen auf fremden Couchen und Knutschen. Die Begriffe grenzen uns also eher von den Älteren ab, als dass sie dazu da wären, euch klein zu machen.

Aus diesem Grund sagen wir auch, wenn wir mit Kumpels was unternehmen, dass wir „mit den Jungs“ ausgehen und nicht „mit den Männern“. Ihr sprecht in meiner Wahrnehmung auch eher von Mädchen- oder Mädelsabenden, und gibt sogar die Mädchenmannschaft, ein Blog junger Feministinnen, gegründet von den Autorinnen des Buchs „Wir Alphamädchen“, das einen jüngeren, unverkrampfteren Feminismus fordert.

Klar, das heißt noch lange nicht, dass wir euch deswegen auch Mädchen nennen dürfen. Ich sollte ja auch nicht durch die Bronx laufen und da alle mit „Nigger“ anreden, weil ein paar Rapper das auch untereinander machen. 

Also erklärt doch mal bitte: Wie seht ihr den Mädchenbegriff? Wie erlebt ihr seine Verwendung? Wann ist er okay und wann nicht?

Danke, eure Jungs.

Die Mädchenantwort: 

maedchenfrage

Liebe Jungsmännerbubenkerle,

 

juhu, über Sprache sprechen! Macht immer Freude. Ist aber auch nicht ganz leicht, weil komplex. Um es uns und euch leichter zu machen, greife ich auf das Stilmittel „Gliederung“ zurück und erstelle geschwind ein Inhaltsverzeichnis dieses Textes:

 

1. Die Marke

2. Das Kuscheln

3. Die Herablassung

 

Ich glaube nämlich, dass sich fast jede Verwendung des Begriffs „Mädchen“ in eine dieser drei Kategorien einteilen lässt und sich die Bedeutung des Begriffs erheblich unterscheidet, je nachdem, wer sie wann wie gebraucht. Und damit unterscheidet sich dann eben auch, wie wir es finden, „Mädchen“ genannt zu werden.

 

1. Die Marke

 

Gleich als erstes, damit das vom Tisch ist: Ja, dieses Jahrhunderte alte Format heißt „Jungs-Mädchen-Frage“. Irgendwann in grauer Vorzeit hat es jemand erfunden und sich gesagt: „Wir machen was mit Geschlechterunterschieden und Sex und so und ‚Jetzt‘ ist ein Jugendmagazin, da darf das nicht so klingen, als hätte jemand dabei Bürokleidung an. Wir brauchen einen Namen, der jung klingt und so ein ganz kleines bisschen ironisch ist, die Texte sollen auch hin und wieder ein bisschen zugespitzt sein, da muss also klar sein, dass wir nicht behaupten, unsere Behauptungen seien in Stein gemeißelte Wahrheiten!“ Und so wurde der Name Jungs-Mädchen-Frage geboren. Stelle ich mir zumindest ungefähr so vor, müsstet ihr aber eventuell noch mal beim altvorderen Dirk von Gehlen nachfragen, ob es wirklich so war.

 

Was ich damit eigentlich sagen will: Die Jungs-Mädchen-Frage ist mittlerweile längst eine Marke. So ähnlich wie die in eurer Frage erwähnte Mädchenmannschaft. Ein selbstgewählter Titel, mit dem alle Beteiligten okay sind, weil sie wissen, wie er gemeint ist. Gleichzeitig steht das Wort „Mädchen“ in diesen Titeln für diesen gewissen Jugend-Impetus, für ein bisschen weniger Stock im Arsch und dafür, es sich ab und zu rauszunehmen, sich nicht an irgendwelche Erwachsenen-Konventionen zu halten, sondern mit kluger Spontaneität drauf los zu leben und zu denken und zu argumentieren. Und dabei hat „Mädchen“ dann eigentlich gar nicht diese verniedlichende Unschuld-vom-Lande-mit-wenig-IQ-Aura, sondern wirkt eher stark und dabei wendig. Eher wie in „Girl Power“ und weniger wie in „Barbie Girl“. Und damit können wir sehr gut leben (und an dieser Stelle kurz erwähnen, dass wir für die Jungs-Mädchen-Frage zwar regelmäßig auf den Deckel kriegen – aber der Vorwurf lautet dann meist „zu heteronormativ“ und so gut wie nie „Was soll das mit dem Namen? Wir sind Frauen!“ Weil das eh allen klar ist.).

2. Das Kuscheln

 

Ich bin nicht die beste Ansprechpartnerin, was diese Form der „Mädchen“-Verwendung angeht, weil ich meine Freundinnen grundsätzlich „Freundinnen“ nennen – aber ich weiß, dass viele Mädchen und Frauen (!) ihre Freundinnen „Mädels“ nennen. Das machen sie mit 16 und mit 26 und mit 36 und sicher machen einige es auch noch mit 46, 56 und 66. Das ist dann wie eine Art Gruppen-Kosename, eine Verniedlichung. Also eigentlich das, was an dem Begriff problematisch ist. Aber da kommt es eben sehr genau auf die Ebene an, auf der man sich begegnet.

 

Freundinnen, die sich untereinander „Mädchen“ oder „Mädels“ nennen, kennen sich, sind sich vertraut, sind so oder so auf Augenhöhe. Wo Augenhöhe gesetzt ist, ist verniedlichen erlaubt, weil es dann nicht respektlos ist, sondern Zuneigung ausdrückt. „Mädchen“ ist in diesem Zusammenhang ein Begriff wie gemeinsames Kuscheln auf dem Sofa. Auch Müttern und Omas ist der Begriff erlaubt. Erstens wegen ihres Alters und zweitens wegen emotionaler Nähe. Meine Mutter fragt zum Beispiel immer, ob ich Weihnachten auch wieder eine Feier „mit den Mädchen“ mache. Sie weiß, dass wir mittlerweile Frauen sind. Aber als wir Freundinnen wurden, war sie längst eine Frau und wir eben noch Mädchen. Papas und Opas dürfen auch „Mädchen“ sagen, wenn die Voraussetzung der emotionalen Nähe gegeben ist, müssen dabei aber etwas vorsichtiger sein – es kann bei ihnen schneller nach Altherren-Witz oder leichter Anzüglichkeit klingen, als ihnen lieb ist. Womit wir bei der letzten Kategorie sind:

 

3. Die Herablassung

 

Noch mal mit Blick auf Kapitel 1 dieser Antwort: „Jungs-Mädchen-Frage“ geht klar, „Männer-Mädchen-Frage“ ginge überhaupt nicht klar. Der Begriff wird nämlich immer dann zum Problem, wenn er ein bestehendes Machtgefälle illustriert oder ein noch nicht bestehendes erschafft und zementiert. In der Situation, die Mayim Bialik in ihrem Video beschreibt, ist das so. Es ist ja eine Art Flirt- oder Anmach-Situation und ein Fremder, der eine ihm unbekannte, erwachsene Frau als „Mädchen“ bezeichnet“, stellt gleich mal klar: mit Augenhöhe ist nix. Bei der Frau kommt das an wie: „Ich bin hier der Typ und sie ist jung und knackig und sicher auch ein bisschen naiv.“ Vielleicht ist es gar nicht so gemeint (sagt auch Bialik), aber das ist ja oft der Fall, wenn es um diskriminierende Sprache geht. „Er meinte das doch nett“ ist eine Erklärung, warum er das gesagt hat – aber richtig ist es darum noch lange nicht. Darum ist es ja so wichtig, ab und zu darüber nachzudenken, was man wie und wann zu wem sagt.

 

Der Anmach-Mann hat mit dem Begriff „Mädchen“ ein Machtgefälle geschaffen. In anderen Situationen wird damit eines zementiert. Immer dann nämlich, wenn der sprechende Mann in der Hierarchie sowieso schon über der Frau steht. Zum Beispiel in der Berufswelt. Dass der Begriff „Mädchen für alles“ (der ja auch für Jungs und Männer verwendet wird) für die niedrigste Stufe einer Arbeits-Hierarchie steht, sagt eigentlich schon alles. Ein Chef sollte seine Mitarbeiterinnen nicht als „Mädels“ bezeichnen, und schon gar nicht „als meine Mädels“. Schwieriger ist das in Belegschaften mit flachen Hierarchien. In einer gewissen „Jugend-Redaktion“ zum Beispiel. Ich denke, die okaye Lösung, die wir hier gefunden haben, ist, dass ihr uns „Mädchen“ nennt und wir euch „Jungs“. Aber auch in diesem Falle sollten wir ruhig hin und wieder darüber nachdenken, was das mit uns macht (denn es macht etwas mit uns, it’s Sprache, Baby, die macht immer was), und ob wir das, was es macht, wollen.

 

Ein richtig schwieriger Fall in der ganzen „Mädchen“-Thematik sind meiner Meinung nach übrigens heterosexuelle Beziehungen: Wenn Männer ihre Partnerin „mein Mädchen“ nennen. Ja, ich weiß, eben habe ich Kosenamen noch erlaubt. Aber in einer gesellschaftlich und geschichtlich so extrem durch Rollenklischees und Machtgefälle belasteten Personenkonstellation wie der heterosexuellen Paarbeziehung, sollte man da vorsichtig sein. Und zum Beispiel mal darüber nachdenken, ob eine Frau wohl jemals „mein Junge“ zu ihrem Partner gesagt hat. Wenn ein Paar das so hält, okay, dann wäre es wieder auf Augenhöhe. Aber ansonsten klingt „mein Mädchen“ aus dem Mund eines Partners so, als würde er gerade ein besonders schönes Pferd tätscheln oder die alte Hündin schmeichelnd hinter den Ohren kraulen, bevor er ihr eine Anti-Zecken-Ampulle im Nacken ausdrückt.

 

Langer Rede kurzer Sinn: Am besten denkt ihr einfach jedes Mal kurz nach, bevor ihr „Mädchen“ sagt und dann läuft das schon. Denn was Feminismus und auch Feminismus und Sprache angeht, haben wir eigentlich eh sehr viel größere und wichtigere Probleme zu lösen. Sage ich jetzt mal so, um die Abhandlung der Mädchen-Thematik auf einem versöhnlichen „Alles halb so wild“-Ton enden zu lassen.

 

Erwachsene Grüße,

eure Frauen

 

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