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Mädchen, nutzt ihr eure Reize aus?

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Ich weiß, diese Frage klingt nicht besonders politisch korrekt. Ich komme auch nur darauf, weil ich neulich Ohrenzeuge einer Mädchenrunde geworden bin, die genau über diese Frage debattierte. Allerdings nicht feministisch erhitzt, sondern ziemlich cool, beinahe nebensächlich. Einen Lehrer gäbe es, so sprachen die jungen Damen in der S-Bahn, bei dem naja, ein kurzer Rock nicht schlecht wäre beim Ausfragen. Das wurde allgemein benickt, als wäre es schlicht ein zu beachtender Umstand. Die andere steuerte bei, dass sie glaubt, auch ihre Fahrprüfung wäre nur deswegen so günstig für sie ausgegangen, weil sie, O-Ton ein „zu krasses Dekolleté" an den Tag gelegt hätte, in weiser Voraussicht. Auch das nahmen die anderen anerkennend zu Kenntnis. Kein „Männer sind solche Ärsche!" sprach aus diesen, zugegeben jungen Mädchen, sondern nur höchstens ein „Männer sind halt so." Bei Bierzelt-Türstehern und ungebetenen Fahrkartenkontrolleuren, so ging es weiter, müsse man eben notgedrungen ein bisschen freizügig herumtanzen, schon hätte man sie auf seiner Seite.

So hatte ich das noch gar nicht gesehen – weibliche Reize als alltägliche Mittel zum Zweck? Habt ihr euch damit wirklich arrangiert, gehört das zu euren Lebens-Taktiken? Oder waren das nur dumme Hühner, die ich da in der S-Bahn belauscht habe?




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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert




Schaut Jungs, es ist so: Da ist dieser Moment, in dem wir zum ersten Mal mit fünfzehn Jahren in einem knappen Rock auf die Straße gehen und plötzlich wird aus allen Ecken gepfiffen, gejohlt und „Oh lala" geraunt. Nie zuvor war uns bewusst, wie viel Macht wir mit einem so kurzen Röckchen besitzen. Es scheint auf die gesamte, internationale Männerwelt aller Altersklassen gleichermaßen zu wirken: Hypnotisierend.

Davon sind wir zuerst geplättet, dann euphorisiert. Vor allem in der Pubertät ist es eines der aufregendsten Gefühle überhaupt, von fremden Menschen gut gefunden zu werden. Noch dazu, wenn man eigentlich gar nichts Großes geleistet hat – außer eben gut auszusehen. Wenn der Busfahrer uns eine Fahrt schenkt, weil wir ihn niedlich angrinsen, der Sportlehrer uns die geschwänzten Stunden streicht, weil wir das knappe Höschen tragen und der Türsteher der Dorfdisko uns trotz gefälschten Ausweises reinlässt, weil unser Top tief ausgeschnitten ist, dann sind das verlässliche Muster. Wir nutzen diese Schwäche der Männer gerne aus - doch es geht es uns dabei gar nicht darum, uns jemanden gefügig zu machen. Wir tun zwar so, weil es uns vor unseren Freundinnen cool und abgebrüht dastehen lässt. Tatsächlich aber sind wir einfach nur unglaublich stolz darauf, dass uns jemand attraktiv findet - wir selbst nämlich tun es nicht.

Während der Pubertät sind wir wie die Geier auf der Suche nach dem passenden Selbstbewusstsein für unsere neue Identität als Frau. Wir stehen komplexe innere Kämpfe mit uns selbst und vor allem im Vergleich mit unseren Freundinnen aus. Deshalb lästern wir auch in der Pubertät so viel und so gerne: Weil wir ständig in einem besseren Licht dastehen möchten als die anderen. Wir sagen: „Hey, die Lucie schon wieder, die hat dem so die Titten ins Gesicht gedrückt, war doch klar, dass sie Eins kriegt, hey die ist echt voll billig hey!" Und machen es doch genau so. In Wirklichkeit wollen wir nämlich nur eines: Bewundert werden. Wir denken eine ganze Zeit lang, dass es dazu unseren wackelnden Hintern braucht – immerhin gibt es dafür den meisten Applaus.

Aber je älter wir werden, desto weniger erfüllt uns dieser Applaus. Wir kapieren, dass das, was wir eigentlich suchen, nicht über ein Gros an nackter Haut zu bekommen ist. Nackt sein und Typen geil machen, das kann jede Frau. Das Spiel mit den Reizen, wie es deine beschriebenen S-Bahn Mädchen also spielen, haben wir auch gespielt, aber eines Tages hat es uns gelangweilt. Wir änderten die Strategie. Wir tragen weiterhin schöne Kleider, und wir pflegen auch unseren Körper. Schön sein wollen wir bis zum bitteren Ende. Aber diese Schönheit soll nicht mehr aus kurzen Röcken, prall zurechtgepushten Glitzerbrüsten und Haarezwirbeln bestehen.

Sondern eher aus so etwas wie: Bezaubern durch kluge Reden, einen wachen Blick, Witz und ein gesundes Selbstbewusstsein. So etwas macht jeden noch so biederen Rollkragenpulli zu purem Sex - und das zu schaffen, das könnte so eine Art aktuelles Ziel sein. Natürlich werden wir solche neuen Reize dann auch an passender Stelle einsetzen– nur diesmal mit ernsthaft gutem Gewissen. Aber nicht mehr beim Sportlehrer oder beim Busfahrer. Sondern zum Beispiel bei einer Wohnungsbesichtigung oder bei der Bewerbung um eine gute Stelle.

mercedes-lauenstein 

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