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Mädchen, seid ihr junge, moderne Frauen?

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Von modernen jungen Männern, die irgendwas bewirken, hört man selten. Der Typus der modernen jungen Frau aber zieht sich durch die letzten hundert Jahre, und stand dabei oft im Zentrum des gesellschaftlichen Interesses. Mal weil die moderne junge Frau alleine ausging, mal weil sie einen Männerberuf ausübt, mal weil sie sich ihre Sexpartner nach Lust und Laune wählte oder einfach nur eine bestimmte Mode vorantrieb. Tausendmal hat man von der modernen jungen Frau von heute gehört. Aber selten hat man eine getroffen, also ein Mädchen, dass sich selbst so bezeichnet. Ist ja auch komisch, jede junge Frau ist doch wg. dieser Jugend auch gleichzeitig modern, oder? Gibt es auch unmoderne junge Frauen? Wie erlebt ihr diesen Begriff, verpflichtet er euch auf irgendeine Art und Weise und was würdet ihr sagen, zeichnet eine moderne junge Frau von heute aus?



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Natürlich nennen wir uns nicht selbst „moderne junge Frauen".
Den Grund dafür deutest du schon an: Wir sind moderne junge Frauen. Wie könnten wir es auch nicht sein? Viele mutige Frauen haben uns in den letzten Jahrzehnten den Weg zum unabhängigen, selbstbestimmten Leben so dermaßen freigeschaufelt, dass wir dumm und noch dazu undankbar wären, ihn nicht wie selbstverständlich zu beschreiten. 98 Prozent unseres Alltags verstehen wir uns als ganz normale Mädchen und Frauen aus dem Jetzt und Hier, die Attribute „jung" und „modern" als unsichtbare Grundvoraussetzung. Betonen müssen wir das nicht. Das tun höchstens unsere Eltern und Großeltern. Sie haben den gesellschaftlichen Wandel schließlich an der eigenen Haut miterlebt und können den direkten Vergleich ziehen.

Wir allerdings haben kein Abgrenzungsbedürfnis, glauben wir doch, alles ohnehin mindestens genau so gut zu können, wie die Jungs. Warum auch nicht? Unterschiede haben für uns längst nichts mehr mit Geschlechtsmerkmalen zu tun – sondern mit Charakter und Seelenbildung des Individuums. Nur selten - und wenn, dann in den restlichen zwei Prozent unserer Zeit - wird uns spürbar bewusst, dass wir tatsächlich diese „modernen, jungen Frauen" sein müssen, von den alle sprechen. Wir lesen von den großen Ungerechtigkeiten der Vergangenheit, rümpfen dazu die Nase und verziehen das Gesicht. Wenn wir zum ersten Mal mitkriegen, unter welchen Bedingungen Frauen in anderen Ländern leben müssen, kippen wir glatt vom Stuhl. Warum gehen die denn nicht einfach weg da, rufen wir naiv in den Raum, wohlig sattgefuttert an dem reichhaltigen Buffet unserer Möglichkeiten.

Später begreifen wir die Zusammenhänge und lernen unsere Freiheit zu schätzen. Es leuchtet uns sogar ein, wieso Frauenbuchhandlungen, Frauenfahrschulen oder sonstige Frauen-only Institutionen mal einen Sinn ergeben haben - finden ihren heutigen Fortbestand dennoch eher trotzig. Wir kommen schließlich aus Patchworkfamilien, führen gleichberechtigte Beziehungen und haben für Machos der alten Schule bloß noch einen müden Lacher übrig. Wir wollen Freunde sein, nicht Herrscher und Untergegebener. Dass wir nach eurem kratzigen Bart dabei so süchtig sind wie ihr nach unserer zarten Haut, hat damit nichts mehr zu tun. Ihr seht: In fast jedem nur denkbaren Punkt leben wir die Emanzipation heute, ohne sie noch bei ihrem Namen nennen zu müssen.

Dass wir, je wachsamer wir werden, sehen, wie viele versteckte Ungerechtigkeiten es zwischen Männern und Frauen auch in Deutschland heute noch gibt, erschrickt uns natürlich. Denn wir wollen Kinder und Karriere, ein Abenteuerleben und ein warmes Nest: alles und am liebsten zur gleichen Zeit und auf höchstem Niveau. Und wir sind fest davon überzeugt, dass wir die Freiheit haben, uns diesen Anspruch zu erlauben.

Uns dämmert allerdings schon, dass wir all das gar nicht so ohne Weiteres bekommen können. Man sagt ja, dass erst Anfang 30 der Unterschied zwischen der Behandlung der Geschlechter spürbar wird – wenn es dann so richtig losgeht mit Familie und Job. Wir ahnen also, dass da noch sehr unschöne Situationen auf uns zu kommen werden. Und deshalb müssen wir uns wahrscheinlich wieder viel öfter auf den, von unseren Vorfrauen hart erkämpften Titel der „modernen jungen Frauen" besinnen. Und unter seiner Flagge den Kampf gegen die restlichen Geschlechterungerechtigkeiten aufnehmen. Das sind wir uns und unseren Vorgängerinnen schuldig.

mercedes-lauenstein

Text: fabian-fuchs - Foto Cover: neoncolour / photocase.com

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