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Mädchen, steht ihr auf Prolls?

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Mädchen, wir möchten was über unsere Freunde wissen. Fast jeder von uns hat einen Freund, der ist so, wie wir manchmal gerne selbst wären. Er bricht in Gelächter aus, wenn es ihm gelungen ist, besonders laut und lange zu furzen. Er kann seinen eigenen Namen rülpsen. Er redet nicht über seine Gefühle, und wenn es ein anderer tut, gröhlt er laut: „Schwuuuul!“ Er ist sportlich, hat aber oft gleichzeitig einen Weißbierbauch. Er trägt einen Dreitage-Bart. Er hat Maschinenbau studiert, könnte aber auch Automechaniker sein. Er trinkt viel Alkohol, am liebsten Bier und Wodka Bull.

Unser Kumpel, der Proll, packt die Sachen an, er greift zu, im richtigen Moment auch an euren Hintern.
Ihr dreht euch um. Er sagt: „Geiler Arsch!“
Ihr lächelt und fragt: „Findest du?“
Ein Gespräch beginnt und wenige Minuten später küsst ihr euch.

Wir haben dieses Schauspiel männlicher Eroberungskunst unseres Prollfreunds beobachtet und sind verstört, als hätten wir minutenlang vor einer roten Ampel gewartet, um korrekt bei grünen Licht die Straße zu überqueren, und plötzlich rennt da einer im Schweinsgalopp bei Rot drüber und winkt uns grinsend von der anderen Straßenseite zu.

Haben wir nicht gelernt, charmant zu sein? Höflich, zurückhaltend, ein bisschen schüchtern, klug und witzig? War dieses Verhalten da eben nicht gerade extrem frauenverachtend? Warum knutscht ihr dann mit einem Frauenverachter? Was passiert hier gerade? Verwirrt suchen wir den Fehler in diesem Satyr-Spiel: Wir an seiner Stelle hätten uns das nie erlaubt. Und wenn doch wäre unser Verhalten augenblicklich mit einer Ohrfeige, Geschrei und Entsetzen sanktioniert worden. Vollkommen zu recht, versichern wir uns.
Wie also ist all das möglich? Was gefällt euch am Proll?



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Mädchenantwort

Das Phänomen, das du beschreibst, gibt es auch unter umgekehrten Vorzeichen: Da ist unsere beste Freundin, ein kluges, wunderschönes Mädchen, lustig, kennt sich mit Pop und der Welt aus, ihr unterhaltet euch mir ihr, sagt, man könne sich „ja mal auf Facebook adden“ – nur damit ihr zehn Minuten später mit einer unserem Geschmack nach unappetitlichen Minirock-Maus in der Ecke rumfummelt. Unsere Freundin verlässt wutentbrannt und schockiert den Schauplatz und flucht „Alles Wichser!“

Das ist keine Antwort auf deine Frage, sondern eine Retourkutsche, aber sie ist hilfreich, um einer Antwort näherzukommen. Warum erliegen wir, wo wir uns doch auf die Fahne schreiben, egal ob Junge oder Mädchen, gleichermaßen emanzipiert zu sein, doch manchmal den billigsten Reizen?

Weil es mit Sex wahrscheinlich so ist wie mit allen Dingen, die den Mechanismen von Nachfrage und Angebot unterliegen. Schnödes Beispiel Supermarkt: Wir haben gelernt, auf Qualität zu achten, klar. Gelegentlich geht aber doch der Schnäppchenjäger mit uns durch, sobald ein quietschrotes Schild vor unserer Nase auftaucht, das „SONDERANGEBOT!!!“ schreit. Wir betonen alle, nur noch Bio-Fleisch zu essen, wenn überhaupt. Dann torkeln wir doch nachts um drei aus der Bar heraus und als erstes zu Burger King hinein.

Ihr Jungs habt es heute nicht leicht mit uns. Wir wollen, dass ihr gut ausseht, aber nicht zu gut. Dass ihr gebildet seid, aber trotzdem Fahrräder reparieren könnt. Wir sagen, dass Status keine Rolle spielt, aber einen armen Schlucker wollen wir auch nicht. Wir wollen keine Machos, aber männlich sollt ihr schon sein.

Seit geraumer Zeit kann man abends die Beobachtung machen, dass Balzen irgendwie aus der Mode gekommen ist. Wenn man nicht gerade in einem Club unterwegs ist, der mit einer Tequila-Flatrate für zehn Euro wirbt, ist baggertechnisch kaum noch was los. Das Mädchen schielt, an ihrem Gin Tonic nippend, heimlich zu einem Typen rüber, der ihr gut gefällt. Sie könnte ihn selbst ansprechen, tut es aber nicht, weil es sein könnte, dass er sich überrumpelt fühlt. Diese Blöße will sie sich nicht geben. Der Typ hingegen nimmt ihr Interesse erst gar nicht wahr. Er ist zu sehr mit seinem eigenen Coolsein beschäftigt, damit, sich als begehrenswerten Typen darzustellen, obwohl er sich zutiefst unsicher darüber ist, ob er diesem Idealtyp auch gerecht wird. Er fühlt sich gelähmt, redet mit seinen Freunden, schaut zu dem Mädchen hin, aber schnell wieder weg. Er will sich keine Blöße geben.

Das ist der Augenblick, in dem der Neandertaler, dieser Proll-Freund von euch, die Bühne betritt. Er sieht nicht aus wie ein Schläger. Er hat nur zuviel Jackass geschaut und wahnsinnig schlechte Manieren. Er kultiviert sie und ist sogar stolz darauf. In mitten all jener, die oversexed-and-underfucked sind, erfüllt der Neandertaler jetzt eine Ventilfunktion. Er ist das etwas schäbige Sonderangebot, der Gelegenheitsburger für eigentlich überzeugte Vegetarier. Der Neandertaler erwischt das Mädchen in einem schwachen Moment, in dem sie sich vom männlichen Restpublikum ignoriert fühlt und ihre Eitelkeit dringend befriedigt sehen will. Deswegen geht sie auf seine plumpen Avancen ein. Schön ist das nicht, aber manchmal funktioniert´s. Leider.

xifan-yang

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