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Mädchen, warum könnt ihr nicht kraulen?

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Die Jungsfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Wenn ein Mädchen und ein Junge zusammen Baden gehen, sieht das sehr oft so aus: Beide gehen nebeneinander in den See, bis sie ungefähr bis zur Hälfte ihres Körpers im Wasser stehen. Sie halten kurz inne, diese Gegend kurz unter dem Bauchnabel ist ja so eine Stelle, an der sich heranplatschende Wellen immer besonders kalt anfühlen. Irgendwann haben sich beide genug geziert und über die Kälte beklagt. Sie springen ins Wasser und schwimmen los. In diesem Moment beginnen die Unterschiede.

Wir Jungs legen die ersten Meter mit ein paar Kraulzügen zurück. Wir wollen Tempo machen, mit möglichst viel Bewegung den Kälteschock abschütteln, den Kopf unter Wasser haben. Wenn wir nach dieser Startphase innehalten und den Kopf wieder über Wasser haben, drehen wir uns um – und merken, dass ihr in den wenigen Sekunden schon zehn Meter zurückgefallen seid. Ihr krault nämlich nicht, ihr bewegt euch per Brustschwimmen voran.

Mal abgesehen von 16-Jährigen Chinesinnen, die sogar schneller schwimmen als der männliche Olympiasieger, scheint es, als gäbe es einen geheimen Pakt unter euch, einen Mädchenboykott des Kraulens. Ihr habt es aus dem Kreis der in Frage kommenden Fortbewegungsmöglichkeiten im Wasser verbannt. Brustschwimmen mögt ihr, auf den Rücken dreht ihr euch auch hin und wieder, ein paar Tauchzüge unter Wasser zur Abwechslung sind auch drin. Aber ein kraulendes Mädchen an einem Badesee ist in etwa so selten wie ein stilvolles Outfit in einer Popstars-Sendung.

Wenn wir euch dann mal zum Kraulen auffordern oder fragen, warum ihr eigentlich nicht kraulen möchtet, antwortet ihr: „Kann ich nicht.“ Diese Aussage wird von uns normalerweise mit Abwinken und Ausdrücken der Ungläubigkeit kommentiert. Manchmal tretet ihr dann den Beweis an und demonstriert uns eure nicht vorhandene Kraulfähigkeit. Das ist oft wirklich erschütternd. Ihr schafft es, auf fünf Metern drei Meter zur Seite abzudriften – wenn ihr überhaupt soweit kommt und nicht nach drei Zügen prustend und hustend auftaucht, weil ihr euch verschluckt habt.

Kraulen ist nicht sonderlich kompliziert, zumindest ist es nicht schwieriger als Brustschwimmen. Das kriegt ihr problemlos hin. Warum aber können die meisten Mädchen nicht kraulen?

Auf der nächsten Seite liest du die Antwort von kathrin-hollmer.


Die Mädchenantwort von kathrin-hollmer

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Ich muss gleich mal feststellen: Es ist nicht so, dass wir alle nicht kraulen können. Auch für Nicht-Olympia-Schwimmerinnen ist das motorisch zu schaffen. Dass wir's können, haben wir auch schon unter Beweis stellen müssen, im Schwimmunterricht oder für ein Schwimmabzeichen. Aber: Wenn wir heute Schwimmen gehen, sehen wir im Kraulen einfach nicht so den Sinn.  

Dabei geht es gar nicht um die Tatsache, dass man beim Kraulen gezwungenermaßen mit dem Kopf unter Wasser muss. Es soll Mädchen geben, die aus Sorge um ihre Haare mit gestrecktem Hals gaaanz langsam und vorsichtig schwimmen (vermutlich dieselben, die sich vorm Schwimmen schminken). Die sind allerdings Ausnahmen. Was auch wir anderen Mädchen am Kraulen nicht leiden können, ist, dass man dabei die Hälfte der Zeit unter Wasser ist und sich in der restlichen noch mit den Armen welches ins Gesicht spritzt.

Aus diesem Grund tauchen wir auch nicht nach jedem Brustschwimmzug unter. Es sieht nicht so cool aus, wie ihr denkt, wenn ihr nach jedem Zug untertaucht und dann jedes Mal, wenn ihr wieder an der Luft seid, spuckt und laut keuchend einatmet. Da könnt ihr noch so oft mit „Da ist man schneller“ argumentieren. Das mag auf 100 Metern in der Hoffnung auf eine Goldmedaille wichtig sein. Sich nach jedem Zug das Wasser aus dem Gesicht wischen – oder wenigstens wischen wollen – macht einfach keinen Spaß. Das ist auch ok. Wir schwimmen nicht für einen Wettbewerb, sondern für uns, aus Spaß oder um Bewegung zu haben, nicht wegen irgendwelcher Hundertstel-Sekunden. Darum lassen wir euch auch großzügig einen kleinen Vorsprung. Wir wissen ja, dass wir’s könnten.  

Der zweite Grund ist: Auch wenn wir nicht so pingelig mit unserer Frisur sind, so wollen wir euch doch gefallen. Kraulen ist dabei wenig hilfreich. Kraulen sieht einfach nicht elegant aus. Außerdem könnten wir uns ja blamieren, wenn wir das mit dem Kraulen vielleicht doch nicht so professionell hinbekommen - was aber daran liegt, dass wir einfach selten die Gelegenheit zum Üben haben, weil wir vor euch nicht kraulen. Vielleicht ist das der Grund, warum ihr glaubt, dass wir's nicht können: weil ihr uns nie kraulen seht. Denn die einzige Zeit, in der wir beim Schwimmen keinem gefallen wollen, ist, wenn wir, zum Beispiel früh morgens, allein (oder mit einer guten Freundin) höchstens der Schulklasse oder der Rentnerin, mit der wir uns im 50-Meter-Becken batteln, imponieren könnten. Um die zu schlagen, kraulen wir dann auch mal. Vielleicht.

Text: christian-helten - Illustration: Katharina Bitzl

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