- • Startseite
- • Jungsfrage
-
•
Mädchen, warum könnt ihr so gut Maß halten?
Die Jungsfrage:
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Jungsfrage zum Anhören wird präsentiert von Süddeutsche Zeitung Audio - dort gibt es auch weitere Fragen zum Anhören! Es gibt zwei Klischees über Mädchen und Alkohol und mindestens eines davon stimmt. Klischee-Nummer 1: Betrunkene Mädchen sind unerträglich, weil laut, aggressiv und tölpelhaft. Nummer 2: Mädchen sind vernünftiger als Jungs – deshalb können sie zwar nicht besser mit Alkohol umgehen als Jungs, aber ohne, das heißt, Verzichten fällt Mädchen viel leichter. Während sich ein Junge in einer Gruppe männlicher Begleiter geniert, als einziger kein Bier zu bestellen, ist es für Mädchen ein Leichtes, ausführlich das Kräutertee-Angebot zu prüfen oder selbstbewusst eine Schorle zu bestellen. Das ist wie gesagt Klischee, aber bei der Prüfung meines Bekanntenkreises lässt sich der Eindruck nicht verwischen: Nicht nur bei der Getränkebestellung gelingt den Mädchen der Verzicht weitaus leichter als den Jungs. Beim Schulschwimmen balgen die sich um den besten Platz auf dem Fünf-Meter-Brett und kämen nie auf die Idee, sich freiwillig in voller Montur an den Beckenrand zu hocken, wo auch heute wieder zwei Mädchen in Würde und Anstand sitzen und verzichten. Beim Skifahren, Fleischkonsum und sogar beim Sex (Stichwort: Kopfschmerz) gelingt Euch Mädchen, was für Jungs nur unter Qualen möglich ist: das Aussetzen, Pausieren und Maßhalten. Wie macht Ihr das? Habt Ihr einen geheimen Schalter, der Euch in den vernünftigen Modus versetzt und bei uns bauseitig fehlt? Trainiert Ihr Euch die Fähigkeit zum Verzicht an oder wisst Ihr einfach so, wann genug ist und man besser aufhört? Und vor allem: Wie können wir das auch lernen?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Mädchenantwort:
Die Jungsfrage zum Anhören wird präsentiert von Süddeutsche Zeitung Audio - dort gibt es auch weitere Fragen zum Anhören! Jungs, muss ich gleich zurück fragen: Wann war das letzte Mal, dass euch jemand wie ein radfahrendes Rhinozeros angeschaut hat, weil ihr euch nach einem langen Tag eine wohl verdiente Pizza reingepfiffen habt, ohne auch nur ein Anstandsstück liegen zu lassen? Das ist einer Freundin von mir neulich beim Italiener passiert. Oder: Wann hat jemand zuletzt eure Leber schon nach drei Bier als unfassbar standhaft bezeichnet? In dem Fall ging es um meine. Das Geheimnis unserer Mäßigung ist: Nichts anderes wird von uns erwartet. In einer reinen Bierrunde können wir unbekümmert Schorle trinken, weil es niemand komisch findet. Es gilt als ganz normal, dass ein Mädchen eben vernünftig ist und das Vergnügen hinter ihren Teint stellt, vor allem unter der Woche. Maßlos sein, über die Strange schlagen – das sind Freizeitaktivitäten, von denen Mädchen in der Regel eher abgeraten wird. Begründet wird das – ja, leider, mal wieder – mit unseren Körpern. Los geht es in der Pubertät. Mädchen bekommen in dieser Zeit nämlich nicht nur Brüste und all das andere Zeug. Wir bekommen auch einen neuen Stoffwechsel. Auf einmal reagieren unsere Körper auf das, was wir in sie stecken. Wer als Kind noch problemlos vier Kugeln Eis plus eine Megaportion Spaghetti Bolognese nach einem durchtobten Tag verdrücken konnte, stellt plötzlich fest, dass sie sich in dieser Größenordnung nicht mehr wohl fühlt. Und selbst, wenn nicht, dann lauert garantiert irgendwo ein Vater, eine Mutter, eine Großtante oder eine beste Freundin, die ihr klar macht, das es so sein sollte: „Wie? Vier Kugeln, bist du sicher?“. In dieser Zeit lernen wir ein Geschwader neuer Feindworte kennen: Kalorien, Wampe, Fett, Speckpolster. Containmentpolitik ist angesagt: Adieu, selbstvergessenes Schlingen, hallo Kohlehydratparanoia. Der Spruch: „Boah, ich hab grad eine Tafel Schokolade gegessen, jetzt habe ich voll das schlechte Gewissen“ wird erst zum Mantra und dann zur selffulfilling prophecy. Euch glücklichen Jungs ist er in der Regel völlig fremd. Ihr dürft euren Kinderstoffwechsel nämlich noch ein bisschen länger behalten, bis ihr ungefähr 26 seid. In dem Alter sind wir dann weiter als ihr: Wir können euch dann ganz genau sagen, dass das, was sich über eurem Hosenbund abzeichnet, direkt mit den Nachtpizzas und Feierabendbieren zusammen hängt und regelmäßiges Sportschaugucken daran nichts ändern wird. Das heißt aber nicht, dass es Mädchen leichter fallen würde, zu verzichten. Wir fangen nur früher damit an, uns Dinge zu versagen, weil wir wissen, dass wir für jedes „ja“ mit einem Anfall schlechten Gewissens bezahlen müssen. Und so ein schlechtes Gewissen, egal wie grundlos, tut mehr weh als der schlimmste Kater – das könnt ihr mir glauben. Mädchen sind eben überhaupt nicht essenziell vernünftiger als Jungs. Gut, wir begreifen vielleicht früher als ihr, dass das Heimwegbier am nächsten Morgen immer schmerzt und eigentlich keine Notwendigkeit hat. Aber dass wir das tun, liegt einfach nur daran, dass wir sehr viel früher damit anfangen, unsere Genüsse mit Sorge zu beobachten und zu bewerten. Das ist weder besonders erstrebenswert, noch macht es wirklich Spaß – ich vermute fast, ihr wollt das lieber nicht lernen. meredith-haaf