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Mädchen, warum sind eure Kostüme so pornös?

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Die Jungsfrage 

Liebe Mädchen, angesichts der Bilder, die uns aus den vom Karneval erschütterten Gebieten erreichen und angesichts der kostümierten Damengruppen in unserer harmlosen Straßenbahn, fällt uns etwas auf. Eure, also die weiblichen Kostüme, sind gerne das, was meine Mutter "ganz schön gewagt" nennen würde. Egal, ob das Endkostüm eigentlich eine Katze, eine Krankenschwester oder eine Prinzessin sein soll, die meisten Trägerinnen geben diesen harmlosen Absichten eine gute Portion Bitch und Erotik mit und zeigen ein Dekolletée, mit dem sie sonst nicht in Verbindung gebracht würden.
Nicht wenige verkleiden sich natürlich auch gleich als Sarah Katzenberger, Playboy-Bunny, Show- oder Bondgirl und lassen die zugehörigen Attribute ordentlich raushängen. Netzstrumpfhosen, Lackstiefel, Schmollmund – gibt es überhaupt ein weibliches Kostümmodell das ohne diese Zutaten auskommt?

Nun, wir haben gegen diese grelle Takelage natürlich nichts einzuwenden, fragen uns aber schon, ob hinter diesem temporären Hang zum Ordinären nicht ein stummer Hilfeschrei steckt? So in der Art: Das ganze Jahr über muss ich die Sexbombe unter einer Fassade aus kühl-emanzipierter Fortschrittsfrau verstecken und mit Boyfriend-Jeans und Karohemd klug auf dem Flur stehen. Erst im Karneval darf ich mal Frau sein, wie ich es mir vorstelle.
Oder wollt ihr einfach mal ausprobieren, wie es ist, so rumzulaufen? Reizt euch der Reiz? Und gibt es dafür keine friedlicheren Teststrecken als die Konfetti-Fußgängerzonen im Februar?          



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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Die Mädchenantwort

Liebe Jungs,  
das letzte Mal, als ich Fasching feierte, war ich zwar in der siebten Klasse, aber ich erinnere mich ganz genau: Eine Freundin und ich gingen als Punks. Fertig verkleidet kamen wir aus dem Bad und die Mutter meiner Freundin sagte: „Ihr seht ja viel zu hübsch aus für Punks!“ Sie stöhnte. „Es ist doch immer das Gleiche, egal, wie man sich verkleidet, und wenn man als die Hässlichkeit in Person gehen wollte, es muss eine attraktive Hässlichkeit sein. Das war bei uns früher auch so.“

Die gute Frau hatte Recht und deshalb kann ich deine These nicht abstreiten. Und mir schwant, dass ich meine Worte jetzt sehr vorsichtig wählen muss, dieses Phänomen lässt sich nämlich fast überhaupt gar nicht sympathisch erklären  – weil es natürlich aus nichts als niederer Eitelkeit besteht. Dass die Faszination für Fasching gemeinhin von der diebischen Freude lebt, endlich mal aus seinem Alltag auszubrechen und jede Etikette fallen zu lassen, ist ja keine markerschütternde Erkenntnis. Allein das ständige Küsschengeben und das viele Saufen erklärt ja schon, dass es sich beim Fasching um nichts als um das Freilassen von Trieben handelt. Weil ich aber einige hochgeschätzte und trotzdem faschingsbegeisterte Freundinnen habe, muss ich die weibliche Offenherzigkeit zu dieser Jahreszeit doch ein bisschen verteidigen. Denn ich glaube ja, dass das alljährliche Faschingsaufdonnern einfach bloß so ist, wie im Unterwäscheladen mal probeweise in Strapse hineinzuschlüpfen, während ihr uns begleitet. In echt würden wir die nie ernsthaft anziehen - zu abstoßend der Gedanke, damit wie eine schlechte Stripperin daherzukommen. Probieren wir diese Strapse nun aber im geschützten und völlig unernst gemeinten Raum der Umkleidekabine an, hat das etwas Aufregendes. Wir kichern ein bisschen, drehen uns vorsichtig im Kreis und finden heimlich, dass wir gar nicht so schlecht darin aussehen. Ihr lugt durch den Türspalt und findet das heimlich auch, vielleicht auch nicht nur heimlich, sondern ziemlich unverhohlen. Dann entsteht eine ganz tolle, kurze Ausnahmebegehrlichkeit, die man gemeinsam ein wenig bekichert, beknutscht und befummelt, bis man die Strapse wieder auszieht und auf Nimmerwiedersehen auf die Stange zurückhängt. Kaufen soll sie jemand anders, ein Pärchen vielleicht, das auch schon pinkbefellte Handschellen in der Nachtischschublade liegen hat oder ein Mädchen mit zuviel blauem Lidschatten.
Wir haben uns nur für einen klitzkleinen aufregenden Umkleidemoment am strapsigen Was-wäre-wenn-Charme bedient und so reizvoll er uns danach noch eine Weile im Kopf herumspukte – hätten wir ihn in der Einkaufstüte mit nach Hause genommen, wäre er entzaubert gewesen.  

Fasching ist ein ähnlich unernstgemeinter Raum wie die Umkleidekabine, in dem für kurze Momente alles möglich ist. Wir borgen uns die sexuelle Anmutung nur, wir machen sie uns nicht zu eigen. Zwischen unserem wahren Ich und unserem Kostüm besteht immer eine gewisse ironische Distanz und ehe das Spiel schal wird, beenden wir es. So fühlt sich unsere halbe Nacktheit auch nicht billig an, sondern irgendwie zart und aufregend. Ein bisschen wie ein Krokus, der gerade geschlüpft, und bevor ihr es euch versehen habt auch schon wieder verschwunden ist.   Vielleicht ist das ein böser Trugschluss und zum Schluss doch ganz schrecklich billig. Aber anscheinend macht es vielen Mädchen Spaß - selbst ich als großer Faschingsmuffel bekomme gerade Lust, meine Eitelkeit beizeiten vielleicht mal mit einem Barbarella-Kostüm zu befriedigen. Kluge Superheldin und Sexbombe in einem, was gibt es Besseres?   

mercedes-lauenstein

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