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Mädchen, warum verbrennt ihr immer noch BHs?

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Die Jungsfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Kann ja sein, dass mich gleich die feministische Keule umnietet, aber ich erzähle es trotzdem: Als vor einigen Tagen im Zuge der Studentenproteste auch von einer erfolgreichen BH-Verbrennung berichtet wurde, dachte ich, das wäre ein Witz. War es aber nicht. Das Abfackeln der Büstenhalter ist bis heute eine absolut ernstgemeinte Zutat in einem Protestkuchen, das erfuhr ich später. Aber warum? Ich bin kein Experte auf dem Gebiet der Miederwaren-Einäscherung, kann mir aber ungefähr zusammenreimen, dass die ersten BH-Feuer Ende der 60er-Jahre als Protest gegen das enge und schlecht sitzende Frauenbild der Gesellschaft und als Akt der sexuellen Revolution einen Sinn machten. Trotz dieser Vernichtungsaktionen ist der BH aber geblieben und zwar nicht nur als Kleidungsstück für unterdrückte und spießige Fräuleins, sondern, naja, als etwas das wie Brot und Socken eben dazugehört. Da ich durchaus gelegentlich mit kämpferischen und furchtbar klugen Frauen verkehre, kann ich berichten, dass auch sie überwiegend BHs tragen und sich noch nie konkret darüber beklagt haben. Im Gegenteil bekam ich eher mal zu hören, dass das Herumlaufen ohne BH die Brüsteinhaberin unwohl fühlen lässt bzw. dass dieses im Falle von amtlichen Hupen auch als nahezu unmöglich geschildert wird. Ja, wie denn nun? Ist der BH immer noch ein Korsett, dessen ihr euch in einer idealen Welt gerne dauerhaft entledigen würdet? Von uns aus könntet ihr das gerne, würde ich mal sagen. Oder ist der BH doch eigentlich ein Hilfsmittel, auf das ihr nicht verzichten mögt, so ähnlich eben wie auf Socken und Brot? Wofür steht eine BH-Verbrennung dann heute? Allgemeine feministische Unzufriedenheit?


Die Mädchenantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich habe meinen BH noch nie verbrannt und wüsste jetzt auch nicht genau, wieso ich das ernsthaft tun sollte. Fakt ist ja, dass rein brüstemäßig mittlerweile wirklich alles geht: Die Zeiten der definierten Kleiderordnungen sind lange vorbei und unter dem Shirt hervorstehende Nippel sind auch längst keine skandalöse Obszönität mehr. Wer es also einfach gerne luftig, frei und haltlos hat, und es irgendwie auch ein bisschen gut findet seine natürlichen Brustkonturen unter den Klamotten erahnen zu lassen, darf das immer und überall tun. Tatsächlich ist es aber so, wie ihr schon sagt: Die meisten Frauen schätzen den Halt, den der BH ihnen gibt so sehr, dass ihn sogar einige am liebsten gar nicht mehr missen möchten. Für die gibt es nämlich sogar Schlaf BHs. Wenn jetzt also noch eine behauptet, für ihr Brustempfinden gäbe es keinen passenden BH, hat sie die unerahnbaren Weiten der heutigen BH-Landschaft noch nicht so ganz begriffen. Den Mädchen, die dieser Tage im Rahmen der Studentenproteste BHs verbrennen, geht es also bei der Aktion ganz bestimmt nicht um den Bequemlichkeitsfaktor des Kleidungsstücks. Und auch ihre Rolle als Frau in der Gesellschaft müssen sie damit nicht verteidigen. In erster Linie wollen sie mit den Verbrennungen an die allgemein feurige Revolutionsstimmung aus den 60ern erinnern und zeigen: Das können wir auch! Wir sind auch willensstark, unabhängig und bereit zum Kampf! Sie sind dabei vom selben Schlag wie Jungs, die sich mit Akustik-Gitarre und dem Liederbuch ihres Vaters auf die Treppen von besetzten Unis setzen. Beide Gruppen haben bei jeder Reportage über Jugendrevolutionen im Geschichtsunterricht eine Gänsehaut bekommen und angefangen sich die Studentenfotos ihrer 68er-Eltern übers Bett zu hängen. Unter diesen Idolbildern sehnten sie sich jahrelang nach Woodstock-Romantik und exzentrischem Rebellentum. Weil aber all die Regeln, die sie damals gerne mitgebrochen hätten, heute eben einfach schon gebrochen sind, treten sie schließlich seufzend in die Studi-VZ „Ich bin in Wahrheit ein Kind der 70er – und dreissig Jahre zu spät geboren“-Gruppe ein und bestellen sich auf Ebay einen Plattenspieler für die zerkratzten Platten ihrer Eltern. Jetzt aber keimt neue Hoffnung in ihnen auf. Vielleicht steht ein neuer, revolutionärer Umsturz bevor: Man solidarisiert sich weltweit(!) gegen das derzeitige Bildungssystem, das den menschlichen Freigeist zu individuell wertlosen, globalen Humankapital machen will. Eine Chance selber aktiv zu werden und für seine Träume und Rechte einzustehen! Und vielleicht müssen da eben erst schwelgerisch alte BHs neu verbrannt werden und eine Weile lang alte Lieder gesungen werden. Wenn es denn dabei hilft sich das Kampfesfieber so hoch zu treiben, dass man wild genug ist, sich endlich eigene Lieder auszudenken. mercedes-lauenstein

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