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Mädchen, warum wollt ihr Hexen sein?

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Die Jungsfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das wirkt jetzt vielleicht nicht so zwingend, aber es ist eine Sache, die mir schon lange immer mal wieder auffällt und jetzt muss sie raus: Die Hexe. In jeder Community und jedem Forum taucht diese altmodische Berufsbezeichnung auf, meistens als Teil des Namens einer Userin. Da sind dann das Hexilein oder die Kleine Hexe, Gewitterhexe, Sexyhexe, hexchen88, etc.. Irgendwie scheint es also ein probater Ausdruck weiblicher Identität zu sein, zumindest irgendeine kleine Rolle zu spielen. Das finde ich bemerkenswert, weil man als Junge mental eigentlich nie etwas mit einer Hexe zu tun hat und auch nicht haben möchte, allerhöchstens, dass man mal die schlimme Vermieterin als „alte Hexe“ bezeichnet, weil sie das ja nun mal ist. Aber jenseits von Kinderbüchern kommt uns diese Figur nie in den Sinn und wir wissen auch nicht, was es bedeutet, wenn sich Mädchen als „Hexe“ bezeichnen oder in Anlehnung daran benennen. Ist das ein aus der Kindheit rührendes Rolemodel? Geht es ums Wildsein, wollt ihr jemanden verhexen? Sagt doch mal.


Die Mädchenantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zugegeben, ich war zuerst etwas verwundert über diese altmodische Frage. Wir dachten nämlich eigentlich, ihr hättet das Phänomen der sich etikettierenden Mädchen spätestens zu dem Zeitpunkt begriffen, als der Trend der „Sprücheshirts für Mädchen“ vor einigen Jahren wieder in der Versenkung verschwand. Da dem aber anscheinend nicht so war, hier eine ausführliche Erklärung der Tatsachen: Sich „Hexe“ zu nennen, egal ob im echten, im virtuellen oder im Tausch-Tagebuchleben mit der besten Freundin - das ist in etwa so, wie sich „Zicke“ zu nennen. Oder „Prinzessin“. Und, wie oben angedeutet, eigentlich eine altmodische Trenderscheinung, die uns an längst vergangene Grundschul- und Unterstufentage erinnert. Deshalb sei hiermit ein für alle Mal klargestellt: diese Mädchen, über die ihr euch da wundert, das sind nicht mehr wir. Das sind jene hängengebliebene Mädchen, bei denen man das Gefühl nicht los wird, dass sie ihr Leben und sich selbst etwas farblos finden. Und glauben, ein plakatives Hervorheben ihrer zweifelhaften Eigenschaften würde sie in die Rolle einer interessanten Powerfrau katapultieren. Die Isi von nebenan ist so ein Beispiel. Vor ihrer Haustür liegt eine Fußmatte mit der subtilen Aufschrift „Zickenalarm“. Dass sie sich dadurch höchstens den faden Schleier leerer Geltungssüchtigkeit anheftet, merkt sie leider nicht. Sich vermeintliche Charakterzüge in Eigenregie auf das Haupt zu schreiben ist nämlich ungefähr so elegant wie ein Candlelight-Dinner im Neonlicht eines Autobahntunnels. Aber das nur kurz zu unserer Verteidigung. Und jetzt zur Antwort auf die Frage, was es denn nun gerade mit der Rolle der Hexe auf sich hat. Hexen sind schließlich alt, schrumpelig und übel verwarzt, oder? Aber so einfach ist das nicht. Denn wir nähern uns hier einem weiblichen Instinkt, der tatsächlich allen Mädchen innewohnt. Und der in seiner ursprünglichen Reinheit außerdem unverzichtbar für die Entwicklung einer echten Superfrau ist - und daher äußerst ernst zu nehmen: die unabdingbare Faszination für starke Frauenbilder. Die Hexe ist da durch ihre Fähigkeit des Zauberns natürlich weit oben auf der Liste der bewunderten Idole. Sie setzt sich durch ihre übersinnlichen Fertigkeiten über jegliche Formen weltlicher Macht hinweg - ganz abgesehen davon, dass sie nebenbei auch noch fliegen kann! Sie ist auf niemanden angewiesen außer auf sich selbst - kann also tun und lassen, was sie nur will. Diese Autarkie fasziniert uns kleine Mädchen von Kindesbeinen an. Und natürlich waren unsere Lieblingshexen keine schrumpeligen Baba Jaga‘s aus slawischen Mythologien. Die Objekte, denen unsere Bewunderung galt, waren moderne Hexen wie Bibi Blocksberg, Hexe Lilli oder Hermine Granger. Später, in Zeiten der frühen Pubertät und im Zuge unserer beginnenden Faszination für amerikanische Serien außerdem Darstellerinnen aus den bekannten Hexen-Serien namens „Buffy“ oder „Charmed“. All diese Frauen einte, im Grunde ganz genau so wie Pippi Langstrumpf, Ronja Räubertochter und im Schulunterricht dann Jeanne d‘Arc und Virginia Woolf eben vor allem dies: sie waren bewundernswerte Frauen, die für das, was in ihren Köpfen vorging und unabdinglich aus ihnen herauswollte, gerade standen. Und mutig genug waren, schon einmal alleine vorzupreschen - ohne Rücksicht auf Verluste. Weil wir uns, genauso wie Bibi und Co., schon lange nicht mehr für unsere Klugheit bestrafen ließen, machte es gleich doppelt Spaß, hin und wieder durch Hexenspiele auf dem Pausenhof zu zeigen, dass wir uns über unsere weiblichen Stärken (allen voran unsere unsterbliche Intuition) bewusst waren. Ob es dazu wirklich nötig war und ist, sich gleich überall plakativ „Hexe“ zu nennen, finde ich weiterhin fraglich. Aber wenn einige Mädchen zwischen drei und siebzehn Jahren eben dazu tendieren, genau das im Freundeskreis oder auf virtuellen Netzwerkplattformen zu tun, ist das vermutlich nur die Äußerung eines gesunden Strebens nach einer kraftvollen Persönlichkeit. Dazu sei aber bitte auch gesagt, dass man diese betuliche Selbstdarstellungsphase vielleicht mit spätestens 18 Jahren überwunden haben sollte. Es wäre dann nämlich gesünder, fortan sein eigenes Idol zu sein. Sich als gestandene Frau immer noch unter einem „Hexen“-Pseudonym als besonders querdenkerisch auszugeben, wirkt albern. Und den Status des faden Mädchens von nebenan wird man so auch nie los. mercedes-lauenstein

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