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Mädchen, was verbietet euch der Feminismus?

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Liebe Mädchen,
 
Wegen Feminismus mal wieder. Großes Thema. Wichtig. Bewegt sich was. Ist aber auch noch viel zu tun, eh klar. Uns interessiert jetzt mal das, was schon passiert ist. Das, man muss das ja aktiver formulieren, was ihr schon erreicht habt. Was ihr erkämpft habt. Denn dass das ein Kampf war, und immer noch ist, das wird jetzt einfach mal nicht mehr diskutiert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


 
Das Ding ist aber nun: So ein Kampf geht ja selten ohne Spuren vorüber. Er hinterlässt etwas. Im besten Fall etwas Positives wie Normen, an denen man sein späteres Handeln orientiert. Im schlechteren Fall aber vielleicht auch ein paar Blessuren. Und mit ihnen vielleicht eine kleine Verbissenheit bei der Umsetzung der Normen. Wer Normen hart erkämpfen musste, der hält manchmal vielleicht dogmatischer an ihnen fest als er müsste. Oder?
 
An dieser Stelle könnt ihr jetzt noch schnell widersprechen. Dann ist das Thema durch. Wenn ihr dieser Grundannahme jetzt aber auch nur ein kleines bisschen zustimmt, dann würden wir gerne noch etwas konkreter werden. Und fragen: Ist das mit dem Feminismus und euch in stillen Momenten vielleicht auch so? Gibt es ein paar Dinge, die ihr (manchmal) total gerne machen würdet, dann aber sagt: Nope, kann ich mir vor den Sistas nicht erlauben! Krieg ich volle Möhre auf den Sack von denen. Oder auch: No way, könnte ich nicht mehr in den Spiegel schauen! Oder auch: Shit, war ich da nicht schon weiter?!
 
Wir meinen das jetzt mal nicht provokant. Wir fragen mit absoluter Naivität. Keine Ahnung, was das sein könnte. Sich mal für ne Woche nen Sugar Daddy gönnen? Sich von einem (älteren) Typen mit halb säftelnden aber auf eine eklige Art auch irgendwie charmanten Komplimenten einwickeln lassen? Unten liegen?
 
Wir hätten da saugern mal nen Einblick. Oder geht der auch schon nicht?
 
Eure Jungs

>>>Die Mädchenantwort von martina-holzapfl<<<




Liebe Jungs,

braucht ihr gar nicht so rumzudrucksen, ist eine berechtigte und gute Frage. Trifft mitten rein in diesen Konflikt, der da in mir brodelt und bestimmt auch in vielen anderen Frauen. Steht ja seit ein paar Jahren auch das ganze Internet voll von diesem Thema. Wahnsinnig anstrengend: Überall wird rumgezickt und rumgedruckst und überanalysiert und unteranalysiert – ein riesiger Titten- und Schwanzvergleich: Wer hat Recht? Wer ist der Klügste und Korrekteste und Reflektierteste?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ich selbst habe immer so meine Probleme mit dieser Art von Richtig-oder-falsch-Zankerei. Weil ich glaube, dass jeder für sich selbst entscheiden muss, was sich grad gut anfühlt. Für mich fühlt es sich grad zum Beispiel gut an, mich weder als Feministin noch als Anti-Feministin zu bezeichnen. Vieles, was Diskriminierung vorbeugen soll, wirkt auf mich nämlich, als würde es Diskriminierung provozieren. Damit will ich nichts zu tun haben.

Ich will einfach nur Ich sein. Auf meine ganz eigene Weise. So, dass man mich ernstnimmt und mir was zutraut, und ich mich von den Leuten, bei denen es mir was bedeutet, respektiert und anerkannt fühle. Wie genau mein Geschlecht da mit reinspielt oder meine weiße Haut oder mein Alter, ist mir ehrlich gesagt erst mal scheißegal. Das dauernd und jeden Tag mitzureflektieren und dann auch noch dauernd darüber zu sprechen und es zum Thema und zur Kategorie zu machen, kommt mir angestrengt vor und wichtigtuerisch. Und irgendwie auch nicht vollständig.

In irgendeine Falle tappt man doch immer. Vielleicht wäre es am besten, das einfach mal wieder hochzuhalten: Entspannt euch Freunde, es „richtig“ machen, das geht sowieso nicht. Ich denke mir grad: Wer 'ne Tussi sein will, soll 'ne Tussi sein, wer ein krasser Typ sein will, soll ein krasser Typ sein. Alles dazwischen sowieso – muss doch jeder selber wissen.

Aber natürlich bin ich da ganz tief innen drin auch nicht so entspannt, wie ich tue. Auch in mich haben sich diese ganzen Debatten und alten Bilder und eingesessenen Klischees eingebrannt.

Heißt zum Beispiel: Natürlich freue auch ich mich, wenn ich mit meinem Verhalten irgendwelche ollen Klischees breche. Mich hart und rotzig und laut verhalte, und damit zeige: Ey Alter, pass mal auf, ich weiß was ich will und wie und bild’ dir bloß nicht ein, ich sei irgendwie unterzukriegen. Und natürlich ärgere ich mich, wenn ich mich allzu girly-mäßig verhalte und damit eine gewisse Unsouveränität ausstelle. Dann denke ich genau das, was du da oben schon so gut gesagt hast: Oh fuck, das kann ich mir doch jetzt vor den Sistas nicht erlauben.

Was das für Momente sind? Hier eine Liste all meiner persönlicher #darfmanjanichtsagen-Momente:

Alte Männer, beziehungsweise Männer mit Gentleman-Club-Attitüde! Oh holy shit, hab ich ein Faible für Gigolos, die nach alter Schule Tür aufhalten, wissend zwinkern, mit rauher Stimme Dinge so sagen, als wären sie wahnsinnig weise und erfahren und einen herrlich begehrlich hofieren. Ich meine keine Malle-Proll-Männlichkeit, die dauernd nur Titten, Ficken, Arsch, Saufen, Fußball und Grillen brüllt. Die ist mir zuwider. Und ich meine auch keine Hugh-Hefner-Männlichkeit, die Girlys in Häschenoutfits braucht. Ich meine kluge, gestandende Gentleman-Männlichkeit, ein bisschen Stenz, ein bisschen weiser Vater, diese Art von smarter Männlichkeit, die einen ernstnimmt und dennoch keine Gelegenheit zur Charmanz auslässt. Darauf steh ich. Aber wenn man das mal offen sagt, dann mahnt es einem abschätzig entgegen: Das redest du dir doch nur ein, dass das Niveau hat, das ist doch immer dieselbe armselige Flachwichserei, eine ekelhafte 50er-Jahre-Selbstüberschätzung. Für die bist du nur ein süßes, junges Dingchen mit Knackarsch, Hirn egal. Mag sein, mag nicht sein. Irgendwie steh ich drauf. Ich fühl mich nicht automatisch degradiert, nur weil jemand charmant mit mir ist. Gibt ja immer solche und solche. Ich weiß ja, wer ich bin und was ich will. Und das Spiel mag ich trotzdem. Wenn alles angepasst und glatt geschliffen und verboten ist und jede spitze, provokante, anzügliche Irritation verschwindet – wie fucking langweilig ist denn dann bitte? Das ist doch dann schlimmer als jedes Diktator-Regime! Ich amüsier mich gern, fertig. Hand- und Heimwerkerei: Oh, ich bin in meinem tiefsten Inneren so faul. Ich interessiere mich nicht dafür, wie Steckdosen in die Wand zu montieren sind, wie Stromkreisläufe funktionieren. Kreissägen sind mir viel zu laut, mir ist ja schon ein Staubsauger zu laut oder die Klospülung. Oder Kabel! Herrgott, lass mich doch mit Kabeln und Media Markt und Technikscheiße in Ruhe. Soll mein Freund für mich machen. Irgendein Typ, der auf so was steht, oder sich antrainiert hat, auf so was zu stehen, weil man das als Typ so machen muss. Genauso wie Auto reparieren, Fahrrad reparieren und alles andere, das dreckig ist und schmierig und man sich den Finger bei einklemmen kann. Aber das einfach mal so zu sagen? Unemanzipiert und prinzessinnenhaft! Geht nicht.  Spinnen, Ungeziefer, Getier, merkwürdiger Dreck, Ekelkram: Wäh, bäh, igitt, kreisch, jammer, schluchz. Mach das jemand anders für mich weg. Darf man aber ja nicht mehr sagen, so. Muss man ja jetzt cool mit sein. Die Spinne hat mehr Angst vor mir als ich vor ihr. Amen. Stimmt ja einfach nicht, okay? Ich hab Angst, reale Angst, okay? Darf man aber niemandem erzählen. Weich sein. Traurigsein. Erschöpft. PMS haben (Scheißwort!). Zu betrunken sein und nur noch in Babysprache reden können. Getragen werden müssen, zugedeckt, Frühstück ins Bett, Blumen nach Hause.  „Ich kann das nicht“-Sagen. Egal ob beim Job oder beim letzten Schnaps, der eh schon drei zuviel ist. Immer alles gleich weibisch, unemanzipiert. Macht aber Spaß. Verantwortung abgeben macht auch Spaß. Gefangen werden von starken Armen, beflüstert von tiefen Stimmen, die sagen: Hey Kleine, hey Baby, ich mach das, ich hab das im Griff – oh, das ist doch herrlich! Aber: Verboten! Welch Schande!
So, das wär’s fürs Erste. Das Thema Mode hab ich erstmal ausgelassen, da könnte man auch noch mal eine Abhandlung drüber verfassen. Hohe Schuhe, Kurze Röcke, Ausschnitte, Rückenzeigen, … oder Frisuren! Make-up! Alles Minenfelder. Die Katze der Emanzipation beißt sich überall in den Schwanz. Verwechselt viel zu oft Lust und Lebensfreude mit Souveränität. Es ist wirklich eine ganz schön verlogene Scheiße in vielerlei Hinsicht.

Aber beim Schreiben der Liste ist mir natürlich auch wieder der ein oder andere Gegengedanke gekommen. Mein Gerede ist natürlich nicht wasserfest. Kein Gerede ist jemals wasserfest.

Nehmen wir mal das Beispiel Handwerks-Faulheit und Desinteresse an Technik heraus. Ich könnt, wie gesagt, echt drauf verzichten, anzupacken. Weil ich aber schon das ein oder andere Mal aus reinem „Ich führ mich jetzt nicht so weibisch auf“-Affekt dann doch die Bohrmaschine in die Hand genommen habe, das Auto repariert oder den Computer, ist mir klar, dass immer auch die Regel gilt: Was dich nicht umbringt, macht dich stärker. Fühlt sich nämlich schon auch geil an, zu merken, dass das, was man ätzend fand, weil man zu faul war, sich damit auseinanderzusetzen, gar nicht schwer ist und sogar Spaß macht. Einfach, weil es Spaß macht, was zu können. Was in die Hand zu nehmen.

Und wie lässt sich das jetzt noch mal auf mein vielleicht verbotenstes Faible für alte Gentleman übertragen? Vielleicht so, dass sich das gar nicht ausschließt, eine toughe Bitch zu sein, und trotzdem wahnsinnig drauf abzufahren, hofiert zu werden. „Objekt“ zu sein, wie das jetzt Genderkundige sagen würden. Ich finde, man ist als angebliches „Objekt“ überhaupt nicht immer Objekt. Sondern sehr oft heimliches Subjekt. Kann hypnotisieren und lenken und – naja, am Ende einfach nur völlig gleichberechtigt mitspielen eben. Und dann irgendwann das blöde Reflektiere über Macht und Nichtmacht auch einfach mal sein lassen und sich hingeben. Weil sich hingeben können, oh holy shit, das ist das Allerbeste.


Text: jakob-biazza - Illustration: dirk-schmidt; Cover: Collage Daniela Rudolf

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