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Mädchen, wie sollen wir zu eurem Untenrum sagen?

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Die Jungsfrage

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eigentlich zeichnen sich Mädchen gegenüber Jungs durch würdevolle Zurückhaltung aus, wenn es um ihr Schatzkästle geht oder den Pippi des Mannes. Früher waren es die Jungs, die im Pausenhof um die Wette rülpsten und in der Sportumkleide mit ihren Schamhaaren prahlten. Heute sind es die männlichen Rapper, die in Musikvideos von der Anatomie ihrer Geschlechtsteile erzählen. Besonders frei fühlen wir uns im Umgang mit unserer Sexualität deswegen noch lange nicht. So obszön wie auf dem Pausenhof waren wir eigentlich nie wieder. In meiner Wahrnehmung ist es in Jungs-Freundeskreisen keinesfalls üblich, offen über die Beschaffenheit der eigenen Gemächter zu sprechen. Nein, vielmehr schätzen wir euren viel reiferen Umgang mit dem Thema. Wir stellen uns das so vor, dass ihr in gemütlichen Mädchenrunden bei einer Tasse Tee so umfassend wie bedacht über eure intimsten Untenrum-Probleme sprecht. Als ich vor wenigen Wochen Charlotte Roches Lesung zu ihrem neuen Roman „Feuchtgebiete“ besuchte, geriet mein Mädchenbild ins Wanken. Sie flutete den Saal eineinhalb Stunden lang mit Obszönitäten, so dass ihr Publikum vor Scham eigentlich hätte ersaufen müssen. In Scham ersoffen bin während der Roche-Lesung aber eigentlich nur ich. So spießig wie während dieser Lesung kam ich mir selten vor. Das überwiegend weibliche Publikum reagierte hingegen begeistert. Die kluge 30-Jährige Autorin las aus ihrem Buch, in der die Hauptfigur - nach Roches Angaben zu 70 Prozent ein Abbild ihrer selbst – Analsexphantasien ausbreitet und mitteilt, wie gerne sie an ihrer Muschi geleckt wird. Für Roche ist es befreiend, ihre Sexualität auf solche Weise zu verbalisieren, sagt sie in Interviews. Mit ihrem Text möchte sie eine Diskussion über das weibliche Selbstverständnis anstoßen. Es geht ihr um weibliches Selbstbewusstsein und Befreiung. Das ist auch das Thema der als „Lady Bitch Ray“ bekannten Rapperin Reyhan Sahin. Sie spielt die weibliche Hauptrolle in Özgür Yildirim Film „Chiko“, der im April ins Kino kommt. Im Internet moderiert sie eine Sendung namens „Große Fische, kleine Fische“. Ihrem Studiogast B-Tight gesteht sie ihre Vorliebe fürs „Muschikraulen“: „Wir Frauen haben immer spritzige Fotzen“, sagt sie. Auch Sahin ist offenbar eine reflektierte und gebildete Frau, sie promoviert an der Bremer Universität in Linguistik. Ihr erklärtes Ziel ist es, die vermeintliche Domäne der Männer auf verbalisierte Sexualität zu durchbrechen. Wie steht ihr dazu? Treffen Roche und Sahin da einen Nerv? Ist es euch wirklich ein bislang gesellschaftlich unterdrücktes Bedürfnis, öfters mal „Fotze“ oder „Muschikraulen“ zu sagen? Auf der nächsten Seite kannst du die Mädchen-Antwort lesen


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wenn es um uns und unser primäres Geschlechtsorgan geht, zeichnen wir uns tatsächlich mit Zurückhaltung aus, lieber Sascha. Wenn wir uns an Mädelsabenden über „Muschis“ austauschen und was die alles Lustiges machen, dann sind wir entweder sehr betrunken oder meinen im Zweifelsfall die Katzen unserer Großtanten. Mit Würde hat das eher nicht so viel zu tun. Sondern leider nur mit einer gewissen Unfähigkeit. Im großen und ganzen hätten wir es nämlich manchmal gar nicht so unnötig unser Zwischen-den-Beinen zu besprechen. Denn so eine Vagina stellt in der Tat einen Angelpunkt der Mädchenexistenz dar. Manchmal tut sie weh, manchmal macht sie uns warm und froh, manchmal ist sie beleidigt, ohne, dass wir verstehen, was wir ihr jetzt schon wieder getan haben. Einmal im Monat blutet sie und krampft sich zusammen – wie sollten wir da kein Verhältnis zu ihr haben? Insofern ist das, was Charlotte Roche und Lady Bitch Ray machen, kulturelle und politische Arbeit. Genau, sie wollen uns Mädchen, die wir nicht mal eben locker über dieses sehr wichtige Körperteil reden, helfen, die Zähne auseinander zu kriegen. Und damit mit einer lang andauernden Tradition aufräumen, die weibliche Geschlechtlichkeit negierte, indem sie sie zu sprachlosen Zone machte. Letztendlich ist jedoch die Art und Weise, wie dieses Thema in den letzten Wochen durch sämtliche Medien geht, aber nicht sehr konstruktiv. Mit uns Mädchen hat es nämlich nicht mehr viel zu tun. Viel Aufhebens wird um die vermeintliche Radikalität der beiden Ladies gemacht, die es wagen, immer wieder laut und deutlich die Vagina zu belabern. Bei uns kommt das letztlich nur als gleichförmiges Brummen an. Doch wenn wir ein genaues Ohr an die Diskussion halten, dann können wir dabei doch einiges für uns raus filtern. Und für uns selbst ein Wort finden, das nicht so hässlich ist wie „Fotze“, das den Kern der Sache trifft. Denn ein Kernthema, das ist die gute alte Punkt-Punkt-Punkt für uns nun mal durchaus. charlotte-schneider

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